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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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"lein zugegen wäre. Auf niemanden giebt die
"Gesellschaft Achtung, als auf Herr Lovelacen."

Er hat in der That in seiner gantzen Aufführung
etwas natürlich-vornehmes: und das ungestüme
Wesen, das er bisweilen annimt, ist eben desto we-
niger zu entschuldigen, weil er nicht nöthig hat, sich
dadurch Furcht zu erwerben. Sein einnehmendes
Lächeln, seine angenehme Stimme und Person,
seine artige Aufführung, so oft er es sich vornimt
gefällig zu seyn, zeigen genugsam, daß ihm die La-
ster, die Härte, das ungestüme und brausende
Wesen nicht angebohren sind, sondern daß ihn bloß
die üble Gesellschaft verführet hat. Er hat, wie
es mir vorkommt, ein offenes und ehrliches Gesicht.
Sind Sie nicht meiner Meinung? Auf die ses in die
Augen fallende Gute gründet sich meine Hoffnung,
daß er sich vielleicht ändern und bessern möchte.

Allein dieses ist ein Räthsel für mich, wie es mög-
lich ist, daß einer, der den Nahmen eines Cavalliers
mit so grossem Recht träget, der die Welt und Bü-
cher so wohl kennet, der die gelehrten und lebenden
Sprachen verstehet, ein Vergnügen an solcher Ge-
sellschaft finden, und sich an so frostigen Reden be-
lustigen kann, die sich zu seinem Verstande und Ge-
lehrsamkeit gar nicht schicken. Mir fällt nur eine
einzige Ursache bey, welche ihn hiezu bewegen kann,
und die eine niederträchtige Seele verrathen würde:
nehmlich sein Hochmuth, nach welchem es ihm
zum Vergnügen gereicht, wenn er der Anführer und
der klügste unter seinen Freunden ist. Wie

wider-



„lein zugegen waͤre. Auf niemanden giebt die
„Geſellſchaft Achtung, als auf Herr Lovelacen.

Er hat in der That in ſeiner gantzen Auffuͤhrung
etwas natuͤrlich-vornehmes: und das ungeſtuͤme
Weſen, das er bisweilen annimt, iſt eben deſto we-
niger zu entſchuldigen, weil er nicht noͤthig hat, ſich
dadurch Furcht zu erwerben. Sein einnehmendes
Laͤcheln, ſeine angenehme Stimme und Perſon,
ſeine artige Auffuͤhrung, ſo oft er es ſich vornimt
gefaͤllig zu ſeyn, zeigen genugſam, daß ihm die La-
ſter, die Haͤrte, das ungeſtuͤme und brauſende
Weſen nicht angebohren ſind, ſondern daß ihn bloß
die uͤble Geſellſchaft verfuͤhret hat. Er hat, wie
es mir vorkommt, ein offenes und ehrliches Geſicht.
Sind Sie nicht meiner Meinung? Auf die ſes in die
Augen fallende Gute gruͤndet ſich meine Hoffnung,
daß er ſich vielleicht aͤndern und beſſern moͤchte.

Allein dieſes iſt ein Raͤthſel fuͤr mich, wie es moͤg-
lich iſt, daß einer, der den Nahmen eines Cavalliers
mit ſo groſſem Recht traͤget, der die Welt und Buͤ-
cher ſo wohl kennet, der die gelehrten und lebenden
Sprachen verſtehet, ein Vergnuͤgen an ſolcher Ge-
ſellſchaft finden, und ſich an ſo froſtigen Reden be-
luſtigen kann, die ſich zu ſeinem Verſtande und Ge-
lehrſamkeit gar nicht ſchicken. Mir faͤllt nur eine
einzige Urſache bey, welche ihn hiezu bewegen kann,
und die eine niedertraͤchtige Seele verrathen wuͤrde:
nehmlich ſein Hochmuth, nach welchem es ihm
zum Vergnuͤgen gereicht, wenn er der Anfuͤhrer und
der kluͤgſte unter ſeinen Freunden iſt. Wie

wider-
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[504/0518] „lein zugegen waͤre. Auf niemanden giebt die „Geſellſchaft Achtung, als auf Herr Lovelacen.„ Er hat in der That in ſeiner gantzen Auffuͤhrung etwas natuͤrlich-vornehmes: und das ungeſtuͤme Weſen, das er bisweilen annimt, iſt eben deſto we- niger zu entſchuldigen, weil er nicht noͤthig hat, ſich dadurch Furcht zu erwerben. Sein einnehmendes Laͤcheln, ſeine angenehme Stimme und Perſon, ſeine artige Auffuͤhrung, ſo oft er es ſich vornimt gefaͤllig zu ſeyn, zeigen genugſam, daß ihm die La- ſter, die Haͤrte, das ungeſtuͤme und brauſende Weſen nicht angebohren ſind, ſondern daß ihn bloß die uͤble Geſellſchaft verfuͤhret hat. Er hat, wie es mir vorkommt, ein offenes und ehrliches Geſicht. Sind Sie nicht meiner Meinung? Auf die ſes in die Augen fallende Gute gruͤndet ſich meine Hoffnung, daß er ſich vielleicht aͤndern und beſſern moͤchte. Allein dieſes iſt ein Raͤthſel fuͤr mich, wie es moͤg- lich iſt, daß einer, der den Nahmen eines Cavalliers mit ſo groſſem Recht traͤget, der die Welt und Buͤ- cher ſo wohl kennet, der die gelehrten und lebenden Sprachen verſtehet, ein Vergnuͤgen an ſolcher Ge- ſellſchaft finden, und ſich an ſo froſtigen Reden be- luſtigen kann, die ſich zu ſeinem Verſtande und Ge- lehrſamkeit gar nicht ſchicken. Mir faͤllt nur eine einzige Urſache bey, welche ihn hiezu bewegen kann, und die eine niedertraͤchtige Seele verrathen wuͤrde: nehmlich ſein Hochmuth, nach welchem es ihm zum Vergnuͤgen gereicht, wenn er der Anfuͤhrer und der kluͤgſte unter ſeinen Freunden iſt. Wie wider-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/518>, abgerufen am 24.11.2024.