widersinnisch ist es, so geitzig auf den Ruhm zu seyn; und sich dennoch mit den Lob-Sprüchen derer zu be- helfen, die nicht im Stande sind zu loben!
Ein schmeichlerisches Lob, das ihm Belford gab, trieb mich aus der unangenehmen Gesellschaft. Die Frau Sinclair hatte ihm vorhin schon sehr gros- se Vorzüge beygelegt, und die Jungfer Parting- ton bekräftigte ihr Lob. Hierauf sagte Herr Bel- ford: "sie sind ein glücklicher Mann, Herr Lovela- "ce. Sie haben so viel Hertz und Verstand, daß keines "von beyden Geschlechtern ihnen widerstehen kann."
Herr Belford sahe mich hiebey mit einem schel- mischen Lächeln an: darauf sahe er seinen erquickten Freund an. Die Augen der gantzen Gesellschaft gaben ihr stilles Ja zu seiner Rede, und waren auf Jhre Clarissa zu ihrer grössesten Beschämung ge- richtet. Mein Hertz machte mir selbst Vorwürfe, und vielleicht stellete es mir die Gesichter der Anwe- senden anders vor als sie waren: denn es ist wahr, ich konnte die Augen nicht aufschlagen.
Wenn doch ein jedes Frauenzimmer, das sich in eine Manns-Person verliebet, (ein Verdacht, wel- chen jedermann auf mich haben muß; denn woher wäre es sonst gekommen, daß ich mich willig von Herrn Lovelace habe entführen lassen, wie die Leu- te glauben?) bedencken möchte, wie hochmüthig es die Manns-Person mache, und wie sehr es sich selbst erniedriget: was für Mitleiden, was für stille Ver- achtung, was für Gesichter, was für ungütige Ur- theile es sich von beyden Geschlechtern dadurch zuzie- het? Gewiß ein solches Frauenzimmer würde sich
selbst
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widerſinniſch iſt es, ſo geitzig auf den Ruhm zu ſeyn; und ſich dennoch mit den Lob-Spruͤchen derer zu be- helfen, die nicht im Stande ſind zu loben!
Ein ſchmeichleriſches Lob, das ihm Belford gab, trieb mich aus der unangenehmen Geſellſchaft. Die Frau Sinclair hatte ihm vorhin ſchon ſehr groſ- ſe Vorzuͤge beygelegt, und die Jungfer Parting- ton bekraͤftigte ihr Lob. Hierauf ſagte Herr Bel- ford: „ſie ſind ein gluͤcklicher Mann, Herr Lovela- „ce. Sie haben ſo viel Hertz und Verſtand, daß keines „von beyden Geſchlechtern ihnen widerſtehen kann.„
Herr Belford ſahe mich hiebey mit einem ſchel- miſchen Laͤcheln an: darauf ſahe er ſeinen erquickten Freund an. Die Augen der gantzen Geſellſchaft gaben ihr ſtilles Ja zu ſeiner Rede, und waren auf Jhre Clariſſa zu ihrer groͤſſeſten Beſchaͤmung ge- richtet. Mein Hertz machte mir ſelbſt Vorwuͤrfe, und vielleicht ſtellete es mir die Geſichter der Anwe- ſenden anders vor als ſie waren: denn es iſt wahr, ich konnte die Augen nicht aufſchlagen.
Wenn doch ein jedes Frauenzimmer, das ſich in eine Manns-Perſon verliebet, (ein Verdacht, wel- chen jedermann auf mich haben muß; denn woher waͤre es ſonſt gekommen, daß ich mich willig von Herrn Lovelace habe entfuͤhren laſſen, wie die Leu- te glauben?) bedencken moͤchte, wie hochmuͤthig es die Manns-Perſon mache, und wie ſehr es ſich ſelbſt erniedriget: was fuͤr Mitleiden, was fuͤr ſtille Ver- achtung, was fuͤr Geſichter, was fuͤr unguͤtige Ur- theile es ſich von beyden Geſchlechtern dadurch zuzie- het? Gewiß ein ſolches Frauenzimmer wuͤrde ſich
ſelbſt
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widerſinniſch iſt es, ſo geitzig auf den Ruhm zu ſeyn;
und ſich dennoch mit den Lob-Spruͤchen derer zu be-
helfen, die nicht im Stande ſind zu loben!
Ein ſchmeichleriſches Lob, das ihm Belford
gab, trieb mich aus der unangenehmen Geſellſchaft.
Die Frau Sinclair hatte ihm vorhin ſchon ſehr groſ-
ſe Vorzuͤge beygelegt, und die Jungfer Parting-
ton bekraͤftigte ihr Lob. Hierauf ſagte Herr Bel-
ford: „ſie ſind ein gluͤcklicher Mann, Herr Lovela-
„ce. Sie haben ſo viel Hertz und Verſtand, daß keines
„von beyden Geſchlechtern ihnen widerſtehen kann.„
Herr Belford ſahe mich hiebey mit einem ſchel-
miſchen Laͤcheln an: darauf ſahe er ſeinen erquickten
Freund an. Die Augen der gantzen Geſellſchaft
gaben ihr ſtilles Ja zu ſeiner Rede, und waren auf
Jhre Clariſſa zu ihrer groͤſſeſten Beſchaͤmung ge-
richtet. Mein Hertz machte mir ſelbſt Vorwuͤrfe,
und vielleicht ſtellete es mir die Geſichter der Anwe-
ſenden anders vor als ſie waren: denn es iſt wahr,
ich konnte die Augen nicht aufſchlagen.
Wenn doch ein jedes Frauenzimmer, das ſich in
eine Manns-Perſon verliebet, (ein Verdacht, wel-
chen jedermann auf mich haben muß; denn woher
waͤre es ſonſt gekommen, daß ich mich willig von
Herrn Lovelace habe entfuͤhren laſſen, wie die Leu-
te glauben?) bedencken moͤchte, wie hochmuͤthig es
die Manns-Perſon mache, und wie ſehr es ſich ſelbſt
erniedriget: was fuͤr Mitleiden, was fuͤr ſtille Ver-
achtung, was fuͤr Geſichter, was fuͤr unguͤtige Ur-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/519>, abgerufen am 24.11.2024.
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