Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



Gründe an, und sein Wunsch schien zu seyn, daß
diese Gründe etwas bey Jhnen gelten möchten.
Wie selten thun das die Leute von seiner Art, von
denen es heißt:

Ein jeder liebet sich in seinem lieben Kinde,
So wie das liebe Kind sich in dem Spie-
gel liebt.

Sie pflegen gemeiniglich keinen andern Grund an-
zuführen, warum wir sie lieben sollen, als, weil
sie die Gnade haben uns zu lieben.

Wenn ich an Jhrer Stelle und eben so von
den Kleinigkeiten des Wohlstandes eingenommen
wäre; so möchte ich mich vielleicht eben so ver-
halten, als Sie. Jch würde erwarten, daß die
Manns-Person mit höflichen aber ernstlichen Bit-
ten in mich drünge, daß sie hiemit fortführe, und
daß alle ihre Worte und Handlungen auf diesen
eintzigen Zweck gerichtet wären. Wenn ich aber
bemerckte, daß mein Liebhaber an meiner Liebe zwei-
felte und dieser Zweifel die Ursache seiner Künste
und des Aufschubes wäre: so wollte ich ihm entwe-
der die Zweifel benehmen, oder ihm auf ewig gute
Nacht sagen.

Wenn Sie dieses letzte erwähleten, so wollte ich
in der That zeigen, daß ich Jhre Anna Howe
bin; ich wollte entweder suchen, Jhnen eine gehei-
me Zuflucht zu verschaffen, oder ich wollte Glück
und Unglück mit Jhnen theilen.

Jch ärgere mich über den Menschen, daß er den
Aufschub seiner Bitte bis auf die Ankunft des Obri-
sten Morden so leicht Platz finden ließ. Jch fürchte

aber
A a 2



Gruͤnde an, und ſein Wunſch ſchien zu ſeyn, daß
dieſe Gruͤnde etwas bey Jhnen gelten moͤchten.
Wie ſelten thun das die Leute von ſeiner Art, von
denen es heißt:

Ein jeder liebet ſich in ſeinem lieben Kinde,
So wie das liebe Kind ſich in dem Spie-
gel liebt.

Sie pflegen gemeiniglich keinen andern Grund an-
zufuͤhren, warum wir ſie lieben ſollen, als, weil
ſie die Gnade haben uns zu lieben.

Wenn ich an Jhrer Stelle und eben ſo von
den Kleinigkeiten des Wohlſtandes eingenommen
waͤre; ſo moͤchte ich mich vielleicht eben ſo ver-
halten, als Sie. Jch wuͤrde erwarten, daß die
Manns-Perſon mit hoͤflichen aber ernſtlichen Bit-
ten in mich druͤnge, daß ſie hiemit fortfuͤhre, und
daß alle ihre Worte und Handlungen auf dieſen
eintzigen Zweck gerichtet waͤren. Wenn ich aber
bemerckte, daß mein Liebhaber an meiner Liebe zwei-
felte und dieſer Zweifel die Urſache ſeiner Kuͤnſte
und des Aufſchubes waͤre: ſo wollte ich ihm entwe-
der die Zweifel benehmen, oder ihm auf ewig gute
Nacht ſagen.

Wenn Sie dieſes letzte erwaͤhleten, ſo wollte ich
in der That zeigen, daß ich Jhre Anna Howe
bin; ich wollte entweder ſuchen, Jhnen eine gehei-
me Zuflucht zu verſchaffen, oder ich wollte Gluͤck
und Ungluͤck mit Jhnen theilen.

Jch aͤrgere mich uͤber den Menſchen, daß er den
Aufſchub ſeiner Bitte bis auf die Ankunft des Obri-
ſten Morden ſo leicht Platz finden ließ. Jch fuͤrchte

aber
A a 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0385" n="371"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Gru&#x0364;nde an, und &#x017F;ein Wun&#x017F;ch &#x017F;chien zu &#x017F;eyn, daß<lb/>
die&#x017F;e Gru&#x0364;nde etwas bey Jhnen gelten mo&#x0364;chten.<lb/>
Wie &#x017F;elten thun das die Leute von &#x017F;einer Art, von<lb/>
denen es heißt:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l> <hi rendition="#fr">Ein jeder liebet &#x017F;ich in &#x017F;einem lieben Kinde,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#fr">So wie das liebe Kind &#x017F;ich in dem Spie-</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">gel liebt.</hi> </hi> </l>
          </lg><lb/>
          <p>Sie pflegen gemeiniglich keinen andern Grund an-<lb/>
zufu&#x0364;hren, warum wir &#x017F;ie lieben &#x017F;ollen, als, weil<lb/>
&#x017F;ie die Gnade haben uns zu lieben.</p><lb/>
          <p>Wenn ich an Jhrer Stelle und eben &#x017F;o von<lb/>
den Kleinigkeiten des Wohl&#x017F;tandes eingenommen<lb/>
wa&#x0364;re; &#x017F;o mo&#x0364;chte ich mich vielleicht eben &#x017F;o ver-<lb/>
halten, als Sie. Jch wu&#x0364;rde erwarten, daß die<lb/>
Manns-Per&#x017F;on mit ho&#x0364;flichen aber ern&#x017F;tlichen Bit-<lb/>
ten in mich dru&#x0364;nge, daß &#x017F;ie hiemit fortfu&#x0364;hre, und<lb/>
daß alle ihre Worte und Handlungen auf die&#x017F;en<lb/>
eintzigen Zweck gerichtet wa&#x0364;ren. Wenn ich aber<lb/>
bemerckte, daß mein Liebhaber an meiner Liebe zwei-<lb/>
felte und die&#x017F;er Zweifel die Ur&#x017F;ache &#x017F;einer Ku&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
und des Auf&#x017F;chubes wa&#x0364;re: &#x017F;o wollte ich ihm entwe-<lb/>
der die Zweifel benehmen, oder ihm auf ewig gute<lb/>
Nacht &#x017F;agen.</p><lb/>
          <p>Wenn Sie die&#x017F;es letzte erwa&#x0364;hleten, &#x017F;o wollte ich<lb/>
in der That zeigen, daß ich Jhre <hi rendition="#fr">Anna Howe</hi><lb/>
bin; ich wollte entweder &#x017F;uchen, Jhnen eine gehei-<lb/>
me Zuflucht zu ver&#x017F;chaffen, oder ich wollte Glu&#x0364;ck<lb/>
und Unglu&#x0364;ck mit Jhnen theilen.</p><lb/>
          <p>Jch a&#x0364;rgere mich u&#x0364;ber den Men&#x017F;chen, daß er den<lb/>
Auf&#x017F;chub &#x017F;einer Bitte bis auf die Ankunft des Obri-<lb/>
&#x017F;ten <hi rendition="#fr">Morden</hi> &#x017F;o leicht Platz finden ließ. Jch fu&#x0364;rchte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 2</fw><fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[371/0385] Gruͤnde an, und ſein Wunſch ſchien zu ſeyn, daß dieſe Gruͤnde etwas bey Jhnen gelten moͤchten. Wie ſelten thun das die Leute von ſeiner Art, von denen es heißt: Ein jeder liebet ſich in ſeinem lieben Kinde, So wie das liebe Kind ſich in dem Spie- gel liebt. Sie pflegen gemeiniglich keinen andern Grund an- zufuͤhren, warum wir ſie lieben ſollen, als, weil ſie die Gnade haben uns zu lieben. Wenn ich an Jhrer Stelle und eben ſo von den Kleinigkeiten des Wohlſtandes eingenommen waͤre; ſo moͤchte ich mich vielleicht eben ſo ver- halten, als Sie. Jch wuͤrde erwarten, daß die Manns-Perſon mit hoͤflichen aber ernſtlichen Bit- ten in mich druͤnge, daß ſie hiemit fortfuͤhre, und daß alle ihre Worte und Handlungen auf dieſen eintzigen Zweck gerichtet waͤren. Wenn ich aber bemerckte, daß mein Liebhaber an meiner Liebe zwei- felte und dieſer Zweifel die Urſache ſeiner Kuͤnſte und des Aufſchubes waͤre: ſo wollte ich ihm entwe- der die Zweifel benehmen, oder ihm auf ewig gute Nacht ſagen. Wenn Sie dieſes letzte erwaͤhleten, ſo wollte ich in der That zeigen, daß ich Jhre Anna Howe bin; ich wollte entweder ſuchen, Jhnen eine gehei- me Zuflucht zu verſchaffen, oder ich wollte Gluͤck und Ungluͤck mit Jhnen theilen. Jch aͤrgere mich uͤber den Menſchen, daß er den Aufſchub ſeiner Bitte bis auf die Ankunft des Obri- ſten Morden ſo leicht Platz finden ließ. Jch fuͤrchte aber A a 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/385
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/385>, abgerufen am 23.05.2024.