Als ich sahe, daß Herr Lovelace so gleichgül- tig hierbey war, fragte ich ihn, was er mir riethe.
Darf ich Sie fragen Fräulein (sagte er) was ihre Gedancken sind? Jch gebe die Frage zurück, weil sie so sehr darauf dringen, daß ich sie gleich nach ihrer Ankunft in London verlassen soll. Jch weiß nicht was ich ihnen rathen soll ohne sie böse zu machen.
Meine Gedancken sind, daß ich mich vor allen Leuten, die Fräulein Howe ausgenommen, ver- borgen halten muß: und daß sie mich den Augen- blick verlassen sollten. Denn jederman wird glau- ben, daß ich nicht weit von ihnen bin und es ist leichter sie aufzuspüren als mich.
Sie werden doch nicht wünschen auf eine so ge- waltsame Weise in ihres Bruders Hände zu fallen? Jch will den Leuten nicht mit Willen in den Weg kommen, allein wenn sie glaubten, daß ich ihnen auswiche, so würden sie mehr Fleiß anwenden ih- nen nachzuspüren, und mehr Muth haben etwas zu wagen. Wie sollte es mir möglich seyn, eine solche Nachrede zu erdulden, die einem jeden braven Kerl das Hertz brechen muß?
Um Gottes willen! wie viel unglückliche Folgen hat die Thorheit, dazu ich verleitet bin!
Meine liebe Fräulein, ich muß sie um eins bit- ten. Enthalten sie sich so harter Ausdrücke, da sie aus diesem Anschlage sehen, wie wenig die Jhrigen nach gegeben haben würden, wenn ich sie gleich nicht, wie sie es nennen, verleitet hätte. Habe ich mich jemahls gegen die Landes-Gesetze aufgelehnet, wie
ihr
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Als ich ſahe, daß Herr Lovelace ſo gleichguͤl- tig hierbey war, fragte ich ihn, was er mir riethe.
Darf ich Sie fragen Fraͤulein (ſagte er) was ihre Gedancken ſind? Jch gebe die Frage zuruͤck, weil ſie ſo ſehr darauf dringen, daß ich ſie gleich nach ihrer Ankunft in London verlaſſen ſoll. Jch weiß nicht was ich ihnen rathen ſoll ohne ſie boͤſe zu machen.
Meine Gedancken ſind, daß ich mich vor allen Leuten, die Fraͤulein Howe ausgenommen, ver- borgen halten muß: und daß ſie mich den Augen- blick verlaſſen ſollten. Denn jederman wird glau- ben, daß ich nicht weit von ihnen bin und es iſt leichter ſie aufzuſpuͤren als mich.
Sie werden doch nicht wuͤnſchen auf eine ſo ge- waltſame Weiſe in ihres Bruders Haͤnde zu fallen? Jch will den Leuten nicht mit Willen in den Weg kommen, allein wenn ſie glaubten, daß ich ihnen auswiche, ſo wuͤrden ſie mehr Fleiß anwenden ih- nen nachzuſpuͤren, und mehr Muth haben etwas zu wagen. Wie ſollte es mir moͤglich ſeyn, eine ſolche Nachrede zu erdulden, die einem jeden braven Kerl das Hertz brechen muß?
Um Gottes willen! wie viel ungluͤckliche Folgen hat die Thorheit, dazu ich verleitet bin!
Meine liebe Fraͤulein, ich muß ſie um eins bit- ten. Enthalten ſie ſich ſo harter Ausdruͤcke, da ſie aus dieſem Anſchlage ſehen, wie wenig die Jhrigen nach gegeben haben wuͤrden, wenn ich ſie gleich nicht, wie ſie es nennen, verleitet haͤtte. Habe ich mich jemahls gegen die Landes-Geſetze aufgelehnet, wie
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Als ich ſahe, daß Herr Lovelace ſo gleichguͤl-
tig hierbey war, fragte ich ihn, was er mir riethe.
Darf ich Sie fragen Fraͤulein (ſagte er) was
ihre Gedancken ſind? Jch gebe die Frage zuruͤck,
weil ſie ſo ſehr darauf dringen, daß ich ſie gleich
nach ihrer Ankunft in London verlaſſen ſoll.
Jch weiß nicht was ich ihnen rathen ſoll ohne ſie
boͤſe zu machen.
Meine Gedancken ſind, daß ich mich vor allen
Leuten, die Fraͤulein Howe ausgenommen, ver-
borgen halten muß: und daß ſie mich den Augen-
blick verlaſſen ſollten. Denn jederman wird glau-
ben, daß ich nicht weit von ihnen bin und es iſt
leichter ſie aufzuſpuͤren als mich.
Sie werden doch nicht wuͤnſchen auf eine ſo ge-
waltſame Weiſe in ihres Bruders Haͤnde zu fallen?
Jch will den Leuten nicht mit Willen in den Weg
kommen, allein wenn ſie glaubten, daß ich ihnen
auswiche, ſo wuͤrden ſie mehr Fleiß anwenden ih-
nen nachzuſpuͤren, und mehr Muth haben etwas
zu wagen. Wie ſollte es mir moͤglich ſeyn, eine
ſolche Nachrede zu erdulden, die einem jeden braven
Kerl das Hertz brechen muß?
Um Gottes willen! wie viel ungluͤckliche Folgen
hat die Thorheit, dazu ich verleitet bin!
Meine liebe Fraͤulein, ich muß ſie um eins bit-
ten. Enthalten ſie ſich ſo harter Ausdruͤcke, da ſie
aus dieſem Anſchlage ſehen, wie wenig die Jhrigen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/355>, abgerufen am 24.11.2024.
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