schlechtere Gedancken von ihnen fassen möge, wenn sie ihm einige Gunst erzeigen, die aus der Schwä- che ihres Hertzens hergeleitet werden könnte. Denn hänget nicht des Mannes Ehre von der Frau ab? Beschimpfen ihre Vergehungen nicht den Mann mehr, als sie selbst.
Habe ich ohne Ursache eine Abneigung gehabt, Fesseln zu tragen?
Wohlann denn, auf die Probe! denn ich lege mir jetzt im Ernst die Frage vor, ob ich heyrathen soll? und ob sie meine Liebste von dem ersten oder von dem zweyten Range seyn soll?
Jch will billig verfahren. Jch will dem lieben Kinde alle Gerechtigkeit wiederfahren lassen, ja ich will recht gütig, recht edel handeln. Jch will mei- ne Clarissa so wohl nach ihren eigenen Urtheilen über sich, als nach unsern Grund-Sätzen prüfen.
Sie verweiset es sich, daß sie mit mir Briefe gewechselt hat, da bekannt war, daß ich eine freye Lebens-Art führte. Es war in der That meine erste Absicht, sie in einen geheimen Briefwechsel zu ziehen: und ich erhielt meinen Zweck durch Mittel, die ihr selbst unbekannt waren.
Was hatte sie für Ursachen, die sie bewogen, mit mir Briefe zu wechseln? Sind es keine Ursachen, die ihrer übertriebenen Tugend verdächtig sind; warum verweiset sie sich den Briefwechsel?
Jst es möglich gewesen, daß sie fehlete? und daß sie so lange fortfuhr zu fehlen?
Jch frage nicht, wer der Versucher, oder wie starck und scheinbar die Versuchung gewesen sey.
Auf
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ſchlechtere Gedancken von ihnen faſſen moͤge, wenn ſie ihm einige Gunſt erzeigen, die aus der Schwaͤ- che ihres Hertzens hergeleitet werden koͤnnte. Denn haͤnget nicht des Mannes Ehre von der Frau ab? Beſchimpfen ihre Vergehungen nicht den Mann mehr, als ſie ſelbſt.
Habe ich ohne Urſache eine Abneigung gehabt, Feſſeln zu tragen?
Wohlann denn, auf die Probe! denn ich lege mir jetzt im Ernſt die Frage vor, ob ich heyrathen ſoll? und ob ſie meine Liebſte von dem erſten oder von dem zweyten Range ſeyn ſoll?
Jch will billig verfahren. Jch will dem lieben Kinde alle Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, ja ich will recht guͤtig, recht edel handeln. Jch will mei- ne Clariſſa ſo wohl nach ihren eigenen Urtheilen uͤber ſich, als nach unſern Grund-Saͤtzen pruͤfen.
Sie verweiſet es ſich, daß ſie mit mir Briefe gewechſelt hat, da bekannt war, daß ich eine freye Lebens-Art fuͤhrte. Es war in der That meine erſte Abſicht, ſie in einen geheimen Briefwechſel zu ziehen: und ich erhielt meinen Zweck durch Mittel, die ihr ſelbſt unbekannt waren.
Was hatte ſie fuͤr Urſachen, die ſie bewogen, mit mir Briefe zu wechſeln? Sind es keine Urſachen, die ihrer uͤbertriebenen Tugend verdaͤchtig ſind; warum verweiſet ſie ſich den Briefwechſel?
Jſt es moͤglich geweſen, daß ſie fehlete? und daß ſie ſo lange fortfuhr zu fehlen?
Jch frage nicht, wer der Verſucher, oder wie ſtarck und ſcheinbar die Verſuchung geweſen ſey.
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ſchlechtere Gedancken von ihnen faſſen moͤge, wenn
ſie ihm einige Gunſt erzeigen, die aus der Schwaͤ-
che ihres Hertzens hergeleitet werden koͤnnte. Denn
haͤnget nicht des Mannes Ehre von der Frau ab?
Beſchimpfen ihre Vergehungen nicht den Mann
mehr, als ſie ſelbſt.
Habe ich ohne Urſache eine Abneigung gehabt,
Feſſeln zu tragen?
Wohlann denn, auf die Probe! denn ich lege
mir jetzt im Ernſt die Frage vor, ob ich heyrathen
ſoll? und ob ſie meine Liebſte von dem erſten oder
von dem zweyten Range ſeyn ſoll?
Jch will billig verfahren. Jch will dem lieben
Kinde alle Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, ja ich
will recht guͤtig, recht edel handeln. Jch will mei-
ne Clariſſa ſo wohl nach ihren eigenen Urtheilen
uͤber ſich, als nach unſern Grund-Saͤtzen pruͤfen.
Sie verweiſet es ſich, daß ſie mit mir Briefe
gewechſelt hat, da bekannt war, daß ich eine freye
Lebens-Art fuͤhrte. Es war in der That meine
erſte Abſicht, ſie in einen geheimen Briefwechſel zu
ziehen: und ich erhielt meinen Zweck durch Mittel,
die ihr ſelbſt unbekannt waren.
Was hatte ſie fuͤr Urſachen, die ſie bewogen, mit
mir Briefe zu wechſeln? Sind es keine Urſachen,
die ihrer uͤbertriebenen Tugend verdaͤchtig ſind;
warum verweiſet ſie ſich den Briefwechſel?
Jſt es moͤglich geweſen, daß ſie fehlete? und
daß ſie ſo lange fortfuhr zu fehlen?
Jch frage nicht, wer der Verſucher, oder wie
ſtarck und ſcheinbar die Verſuchung geweſen ſey.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/183>, abgerufen am 24.11.2024.
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