Jch antwortete: ich kennete mich besser, als daß ich mich durch seine fließende Rede würde hochmü- thig machen lassen. Weil er doch vorgäbe, ein so ungemeiner Freund von der Aufrichtigkeit zu seyn; so möchte er nichts als die allerstrengste Wahrheit reden, wenn er von mir etwas und zwar mir in das Gesicht sagen wollte. Wenn er gleich aus herabgelassener Gutigkeit glaubete, daß er Ursache hätte, mir etwas schmeichelndes zu sagen; so würde er doch dabey desto mehr Vergnügen em- pfinden, wenn er bedächte, daß er ein so ausseror- dentlich kluges Frauenzimmer zu einer so grossen Thörin hätte machen können. Mein Verstand erhebe nur sein Kunst-Stück.
Der Mensch verdient in der That nicht, daß ich ihm höflicher begegne. Hat er mich nicht zur Thörin, zur allerlächerichsten Thörin gemacht? Jch fürchte, daß dieses seine eigenen Gedancken sind.
Er wunderte sich - - er erstaunete gantz, daß ich alle seine Worte so wider ihn gebrauchte. Er wäre unglücklich, daß mich nichts was er redete oder thäte bewegen könnte, eine gute Meinung von ihm zu fassen. Er bäte mich, ich möchte ihm nur zu erkennen geben, was er thun sollte, um sich einiges Zutrauen bey mir zu erwerben.
Vor allen Dingen (sagte ich) sey mein Wunsch, daß er mich verlassen möchte. Jch fände nicht, daß sich meine Freunde die Mühe gäben, mich zu beunruhigen. Wenn er nach London, nach der Grafschaft Berck, oder wohin er sonst beliebte,
reisen
Jch antwortete: ich kennete mich beſſer, als daß ich mich durch ſeine fließende Rede wuͤrde hochmuͤ- thig machen laſſen. Weil er doch vorgaͤbe, ein ſo ungemeiner Freund von der Aufrichtigkeit zu ſeyn; ſo moͤchte er nichts als die allerſtrengſte Wahrheit reden, wenn er von mir etwas und zwar mir in das Geſicht ſagen wollte. Wenn er gleich aus herabgelaſſener Gutigkeit glaubete, daß er Urſache haͤtte, mir etwas ſchmeichelndes zu ſagen; ſo wuͤrde er doch dabey deſto mehr Vergnuͤgen em- pfinden, wenn er bedaͤchte, daß er ein ſo auſſeror- dentlich kluges Frauenzimmer zu einer ſo groſſen Thoͤrin haͤtte machen koͤnnen. Mein Verſtand erhebe nur ſein Kunſt-Stuͤck.
Der Menſch verdient in der That nicht, daß ich ihm hoͤflicher begegne. Hat er mich nicht zur Thoͤrin, zur allerlaͤcherichſten Thoͤrin gemacht? Jch fuͤrchte, daß dieſes ſeine eigenen Gedancken ſind.
Er wunderte ſich ‒ ‒ er erſtaunete gantz, daß ich alle ſeine Worte ſo wider ihn gebrauchte. Er waͤre ungluͤcklich, daß mich nichts was er redete oder thaͤte bewegen koͤnnte, eine gute Meinung von ihm zu faſſen. Er baͤte mich, ich moͤchte ihm nur zu erkennen geben, was er thun ſollte, um ſich einiges Zutrauen bey mir zu erwerben.
Vor allen Dingen (ſagte ich) ſey mein Wunſch, daß er mich verlaſſen moͤchte. Jch faͤnde nicht, daß ſich meine Freunde die Muͤhe gaͤben, mich zu beunruhigen. Wenn er nach London, nach der Grafſchaft Berck, oder wohin er ſonſt beliebte,
reiſen
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Jch antwortete: ich kennete mich beſſer, als daß
ich mich durch ſeine fließende Rede wuͤrde hochmuͤ-
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ſo ungemeiner Freund von der Aufrichtigkeit zu
ſeyn; ſo moͤchte er nichts als die allerſtrengſte
Wahrheit reden, wenn er von mir etwas und zwar
mir in das Geſicht ſagen wollte. Wenn er gleich
aus herabgelaſſener Gutigkeit glaubete, daß er
Urſache haͤtte, mir etwas ſchmeichelndes zu ſagen;
ſo wuͤrde er doch dabey deſto mehr Vergnuͤgen em-
pfinden, wenn er bedaͤchte, daß er ein ſo auſſeror-
dentlich kluges Frauenzimmer zu einer ſo groſſen
Thoͤrin haͤtte machen koͤnnen. Mein Verſtand
erhebe nur ſein Kunſt-Stuͤck.
Der Menſch verdient in der That nicht, daß
ich ihm hoͤflicher begegne. Hat er mich nicht zur
Thoͤrin, zur allerlaͤcherichſten Thoͤrin gemacht?
Jch fuͤrchte, daß dieſes ſeine eigenen Gedancken
ſind.
Er wunderte ſich ‒ ‒ er erſtaunete gantz, daß
ich alle ſeine Worte ſo wider ihn gebrauchte. Er
waͤre ungluͤcklich, daß mich nichts was er redete
oder thaͤte bewegen koͤnnte, eine gute Meinung
von ihm zu faſſen. Er baͤte mich, ich moͤchte ihm
nur zu erkennen geben, was er thun ſollte, um
ſich einiges Zutrauen bey mir zu erwerben.
Vor allen Dingen (ſagte ich) ſey mein Wunſch,
daß er mich verlaſſen moͤchte. Jch faͤnde nicht,
daß ſich meine Freunde die Muͤhe gaͤben, mich zu
beunruhigen. Wenn er nach London, nach der
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/166>, abgerufen am 24.11.2024.
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