Als ich dich nennete, erkundigte sie sich was du für eine Art Kerls wärest. Jch beschrieb dich besser, als du es verdienest, um mich in dir zu lo- ben. Jch sagte ihr aber zugleich, daß du ein wunderlicher Kerl im äußerlichen wärest; damit sie nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und sich hernach gar zu sehr vor dir scheuen möge, wenn sie dich zu sehen bekömmt. Daß du ein halbes Unge- heuer bist, ist für dich ein Vortheil. Wenn du ein angenehmeres Ansehen hättest, so würden die Leute in deinem Umgange nichts besonderes, nichts angenehmes finden. Jetzt sehen sie an dir einen Bä- ren: wenn sie dich aber sprechen, so wollen sie vor Verwunderung ausser sich kommen, weil sie etwas gleiches mit einem Menschen an dir gewahr wer- den. Freue dich über deine Mängel, die deine größesten Vollkommenheiten sind, und die dir Vorzüge verschaffen, welche du sonst nie erlangen würdest.
Die Miethe, in der wir uns befinden, ist nichts weniger als bequem. Jch habe das insonderheit auszusetzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch- gang haben: weil ich zum voraus sahe, daß ihr dieser Umstand mißfällig seyn würde. Jch sagte ihr, wenn ich nur gewiß wüßte, daß man uns nicht nachsetzen würde, so wollte ich mich von ihr entfernen, weil sie dieses ernstlich begehrete. Der Teufel muß dem Mädchen im Hertzen stecken, wenn ich ihr nicht allen Schatten des Argwohns benehmen kann. Sie muß wider alle Vernunft
und
Als ich dich nennete, erkundigte ſie ſich was du fuͤr eine Art Kerls waͤreſt. Jch beſchrieb dich beſſer, als du es verdieneſt, um mich in dir zu lo- ben. Jch ſagte ihr aber zugleich, daß du ein wunderlicher Kerl im aͤußerlichen waͤreſt; damit ſie nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und ſich hernach gar zu ſehr vor dir ſcheuen moͤge, wenn ſie dich zu ſehen bekoͤmmt. Daß du ein halbes Unge- heuer biſt, iſt fuͤr dich ein Vortheil. Wenn du ein angenehmeres Anſehen haͤtteſt, ſo wuͤrden die Leute in deinem Umgange nichts beſonderes, nichts angenehmes finden. Jetzt ſehen ſie an dir einen Baͤ- ren: wenn ſie dich aber ſprechen, ſo wollen ſie vor Verwunderung auſſer ſich kommen, weil ſie etwas gleiches mit einem Menſchen an dir gewahr wer- den. Freue dich uͤber deine Maͤngel, die deine groͤßeſten Vollkommenheiten ſind, und die dir Vorzuͤge verſchaffen, welche du ſonſt nie erlangen wuͤrdeſt.
Die Miethe, in der wir uns befinden, iſt nichts weniger als bequem. Jch habe das inſonderheit auszuſetzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch- gang haben: weil ich zum voraus ſahe, daß ihr dieſer Umſtand mißfaͤllig ſeyn wuͤrde. Jch ſagte ihr, wenn ich nur gewiß wuͤßte, daß man uns nicht nachſetzen wuͤrde, ſo wollte ich mich von ihr entfernen, weil ſie dieſes ernſtlich begehrete. Der Teufel muß dem Maͤdchen im Hertzen ſtecken, wenn ich ihr nicht allen Schatten des Argwohns benehmen kann. Sie muß wider alle Vernunft
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Als ich dich nennete, erkundigte ſie ſich was
du fuͤr eine Art Kerls waͤreſt. Jch beſchrieb dich
beſſer, als du es verdieneſt, um mich in dir zu lo-
ben. Jch ſagte ihr aber zugleich, daß du ein
wunderlicher Kerl im aͤußerlichen waͤreſt; damit ſie
nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und ſich
hernach gar zu ſehr vor dir ſcheuen moͤge, wenn ſie
dich zu ſehen bekoͤmmt. Daß du ein halbes Unge-
heuer biſt, iſt fuͤr dich ein Vortheil. Wenn du
ein angenehmeres Anſehen haͤtteſt, ſo wuͤrden die
Leute in deinem Umgange nichts beſonderes, nichts
angenehmes finden. Jetzt ſehen ſie an dir einen Baͤ-
ren: wenn ſie dich aber ſprechen, ſo wollen ſie vor
Verwunderung auſſer ſich kommen, weil ſie etwas
gleiches mit einem Menſchen an dir gewahr wer-
den. Freue dich uͤber deine Maͤngel, die deine
groͤßeſten Vollkommenheiten ſind, und die dir
Vorzuͤge verſchaffen, welche du ſonſt nie erlangen
wuͤrdeſt.
Die Miethe, in der wir uns befinden, iſt nichts
weniger als bequem. Jch habe das inſonderheit
auszuſetzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch-
gang haben: weil ich zum voraus ſahe, daß ihr
dieſer Umſtand mißfaͤllig ſeyn wuͤrde. Jch ſagte
ihr, wenn ich nur gewiß wuͤßte, daß man uns
nicht nachſetzen wuͤrde, ſo wollte ich mich von ihr
entfernen, weil ſie dieſes ernſtlich begehrete. Der
Teufel muß dem Maͤdchen im Hertzen ſtecken,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/153>, abgerufen am 24.11.2024.
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