Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Als ich dich nennete, erkundigte sie sich was
du für eine Art Kerls wärest. Jch beschrieb dich
besser, als du es verdienest, um mich in dir zu lo-
ben. Jch sagte ihr aber zugleich, daß du ein
wunderlicher Kerl im äußerlichen wärest; damit sie
nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und sich
hernach gar zu sehr vor dir scheuen möge, wenn sie
dich zu sehen bekömmt. Daß du ein halbes Unge-
heuer bist, ist für dich ein Vortheil. Wenn du
ein angenehmeres Ansehen hättest, so würden die
Leute in deinem Umgange nichts besonderes, nichts
angenehmes finden. Jetzt sehen sie an dir einen Bä-
ren: wenn sie dich aber sprechen, so wollen sie vor
Verwunderung ausser sich kommen, weil sie etwas
gleiches mit einem Menschen an dir gewahr wer-
den. Freue dich über deine Mängel, die deine
größesten Vollkommenheiten sind, und die dir
Vorzüge verschaffen, welche du sonst nie erlangen
würdest.

Die Miethe, in der wir uns befinden, ist nichts
weniger als bequem. Jch habe das insonderheit
auszusetzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch-
gang haben: weil ich zum voraus sahe, daß ihr
dieser Umstand mißfällig seyn würde. Jch sagte
ihr, wenn ich nur gewiß wüßte, daß man uns
nicht nachsetzen würde, so wollte ich mich von ihr
entfernen, weil sie dieses ernstlich begehrete. Der
Teufel muß dem Mädchen im Hertzen stecken,
wenn ich ihr nicht allen Schatten des Argwohns
benehmen kann. Sie muß wider alle Vernunft

und


Als ich dich nennete, erkundigte ſie ſich was
du fuͤr eine Art Kerls waͤreſt. Jch beſchrieb dich
beſſer, als du es verdieneſt, um mich in dir zu lo-
ben. Jch ſagte ihr aber zugleich, daß du ein
wunderlicher Kerl im aͤußerlichen waͤreſt; damit ſie
nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und ſich
hernach gar zu ſehr vor dir ſcheuen moͤge, wenn ſie
dich zu ſehen bekoͤmmt. Daß du ein halbes Unge-
heuer biſt, iſt fuͤr dich ein Vortheil. Wenn du
ein angenehmeres Anſehen haͤtteſt, ſo wuͤrden die
Leute in deinem Umgange nichts beſonderes, nichts
angenehmes finden. Jetzt ſehen ſie an dir einen Baͤ-
ren: wenn ſie dich aber ſprechen, ſo wollen ſie vor
Verwunderung auſſer ſich kommen, weil ſie etwas
gleiches mit einem Menſchen an dir gewahr wer-
den. Freue dich uͤber deine Maͤngel, die deine
groͤßeſten Vollkommenheiten ſind, und die dir
Vorzuͤge verſchaffen, welche du ſonſt nie erlangen
wuͤrdeſt.

Die Miethe, in der wir uns befinden, iſt nichts
weniger als bequem. Jch habe das inſonderheit
auszuſetzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch-
gang haben: weil ich zum voraus ſahe, daß ihr
dieſer Umſtand mißfaͤllig ſeyn wuͤrde. Jch ſagte
ihr, wenn ich nur gewiß wuͤßte, daß man uns
nicht nachſetzen wuͤrde, ſo wollte ich mich von ihr
entfernen, weil ſie dieſes ernſtlich begehrete. Der
Teufel muß dem Maͤdchen im Hertzen ſtecken,
wenn ich ihr nicht allen Schatten des Argwohns
benehmen kann. Sie muß wider alle Vernunft

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0153" n="139"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Als ich dich nennete, erkundigte &#x017F;ie &#x017F;ich was<lb/>
du fu&#x0364;r eine Art Kerls wa&#x0364;re&#x017F;t. Jch be&#x017F;chrieb dich<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, als du es verdiene&#x017F;t, um mich in dir zu lo-<lb/>
ben. Jch &#x017F;agte ihr aber zugleich, daß du ein<lb/>
wunderlicher Kerl im a&#x0364;ußerlichen wa&#x0364;re&#x017F;t; damit &#x017F;ie<lb/>
nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und &#x017F;ich<lb/>
hernach gar zu &#x017F;ehr vor dir &#x017F;cheuen mo&#x0364;ge, wenn &#x017F;ie<lb/>
dich zu &#x017F;ehen beko&#x0364;mmt. Daß du ein halbes Unge-<lb/>
heuer bi&#x017F;t, i&#x017F;t fu&#x0364;r dich ein Vortheil. Wenn du<lb/>
ein angenehmeres An&#x017F;ehen ha&#x0364;tte&#x017F;t, &#x017F;o wu&#x0364;rden die<lb/>
Leute in deinem Umgange nichts be&#x017F;onderes, nichts<lb/>
angenehmes finden. Jetzt &#x017F;ehen &#x017F;ie an dir einen Ba&#x0364;-<lb/>
ren: wenn &#x017F;ie dich aber &#x017F;prechen, &#x017F;o wollen &#x017F;ie vor<lb/>
Verwunderung au&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich kommen, weil &#x017F;ie etwas<lb/>
gleiches mit einem Men&#x017F;chen an dir gewahr wer-<lb/>
den. Freue dich u&#x0364;ber deine Ma&#x0364;ngel, die deine<lb/>
gro&#x0364;ße&#x017F;ten Vollkommenheiten &#x017F;ind, und die dir<lb/>
Vorzu&#x0364;ge ver&#x017F;chaffen, welche du &#x017F;on&#x017F;t nie erlangen<lb/>
wu&#x0364;rde&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die Miethe, in der wir uns befinden, i&#x017F;t nichts<lb/>
weniger als bequem. Jch habe das in&#x017F;onderheit<lb/>
auszu&#x017F;etzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch-<lb/>
gang haben: weil ich zum voraus &#x017F;ahe, daß ihr<lb/>
die&#x017F;er Um&#x017F;tand mißfa&#x0364;llig &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Jch &#x017F;agte<lb/>
ihr, wenn ich nur gewiß wu&#x0364;ßte, daß man uns<lb/>
nicht nach&#x017F;etzen wu&#x0364;rde, &#x017F;o wollte ich mich von ihr<lb/>
entfernen, weil &#x017F;ie die&#x017F;es ern&#x017F;tlich begehrete. Der<lb/>
Teufel muß dem Ma&#x0364;dchen im Hertzen &#x017F;tecken,<lb/>
wenn ich ihr nicht allen Schatten des Argwohns<lb/>
benehmen kann. Sie muß wider alle Vernunft<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0153] Als ich dich nennete, erkundigte ſie ſich was du fuͤr eine Art Kerls waͤreſt. Jch beſchrieb dich beſſer, als du es verdieneſt, um mich in dir zu lo- ben. Jch ſagte ihr aber zugleich, daß du ein wunderlicher Kerl im aͤußerlichen waͤreſt; damit ſie nicht einen allzu artigen Kerl erwarten, und ſich hernach gar zu ſehr vor dir ſcheuen moͤge, wenn ſie dich zu ſehen bekoͤmmt. Daß du ein halbes Unge- heuer biſt, iſt fuͤr dich ein Vortheil. Wenn du ein angenehmeres Anſehen haͤtteſt, ſo wuͤrden die Leute in deinem Umgange nichts beſonderes, nichts angenehmes finden. Jetzt ſehen ſie an dir einen Baͤ- ren: wenn ſie dich aber ſprechen, ſo wollen ſie vor Verwunderung auſſer ſich kommen, weil ſie etwas gleiches mit einem Menſchen an dir gewahr wer- den. Freue dich uͤber deine Maͤngel, die deine groͤßeſten Vollkommenheiten ſind, und die dir Vorzuͤge verſchaffen, welche du ſonſt nie erlangen wuͤrdeſt. Die Miethe, in der wir uns befinden, iſt nichts weniger als bequem. Jch habe das inſonderheit auszuſetzen gefunden, daß die Zimmer einen Durch- gang haben: weil ich zum voraus ſahe, daß ihr dieſer Umſtand mißfaͤllig ſeyn wuͤrde. Jch ſagte ihr, wenn ich nur gewiß wuͤßte, daß man uns nicht nachſetzen wuͤrde, ſo wollte ich mich von ihr entfernen, weil ſie dieſes ernſtlich begehrete. Der Teufel muß dem Maͤdchen im Hertzen ſtecken, wenn ich ihr nicht allen Schatten des Argwohns benehmen kann. Sie muß wider alle Vernunft und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/153
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/153>, abgerufen am 04.05.2024.