Nehmen Sie mir nicht übel, daß ich meine Geschichte durch diese Gedancken unterbreche. Wenn ich in meiner Erzählung immer fortfah- ren sollte, ohne mich durch dergleichen Anmer- ckungen wieder zu erhohlen, so glaube ich kaum, daß ich würde bey mir selbst bleiben können. Die heftigen Gemüths-Bewegungen würden die Oberhand gewiß behalten. Wenn ich aber unter dem Schreiben dencke/ so kühlt und legt sich meine Hitze wieder.
Jch glaube, es währte über eine Viertheil- Stunde, daß ich meinen trostlosen Gedancken nachhing, ehe jemand zu mir kam: denn sie schie- nen alle uneins zu seyn. Meine Base sahe zu- erst in den Saal: o mein liebes Kind, sind sie da? sagte sie, und ging gleich zurück, um den andern Nachricht zu geben.
Hierauf trat (wie es vorher ausgemacht zu seyn schien) mein Onckle Anton herein, und führ- te Herrn Solmes bey der Hand herein, mit den Worten: Geben sie mir ihre Hand/ mein werther Freund/ und erlauben sie mir/ sie herein zu führen. Der neugemachte artige Stutzer folgete ihm in einer schwerfälligen und lächerlichen Leibes-Stellung nach; allein er ging schon galanter, und setzte die Füsse recht jüngfer- lich nieder, um dem, der ihn führete, nicht auf die Füsse zu treten. Entschuldigen Sie dieses, was den Schein einer Leichtsinnigkeit hat, in mei- nem Brieffe; gegen wen wir einmahl eingenom-
men
Die Geſchichte
Nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß ich meine Geſchichte durch dieſe Gedancken unterbreche. Wenn ich in meiner Erzaͤhlung immer fortfah- ren ſollte, ohne mich durch dergleichen Anmer- ckungen wieder zu erhohlen, ſo glaube ich kaum, daß ich wuͤrde bey mir ſelbſt bleiben koͤnnen. Die heftigen Gemuͤths-Bewegungen wuͤrden die Oberhand gewiß behalten. Wenn ich aber unter dem Schreiben dencke/ ſo kuͤhlt und legt ſich meine Hitze wieder.
Jch glaube, es waͤhrte uͤber eine Viertheil- Stunde, daß ich meinen troſtloſen Gedancken nachhing, ehe jemand zu mir kam: denn ſie ſchie- nen alle uneins zu ſeyn. Meine Baſe ſahe zu- erſt in den Saal: o mein liebes Kind, ſind ſie da? ſagte ſie, und ging gleich zuruͤck, um den andern Nachricht zu geben.
Hierauf trat (wie es vorher ausgemacht zu ſeyn ſchien) mein Onckle Anton herein, und fuͤhr- te Herrn Solmes bey der Hand herein, mit den Worten: Geben ſie mir ihre Hand/ mein werther Freund/ und erlauben ſie mir/ ſie herein zu fuͤhren. Der neugemachte artige Stutzer folgete ihm in einer ſchwerfaͤlligen und laͤcherlichen Leibes-Stellung nach; allein er ging ſchon galanter, und ſetzte die Fuͤſſe recht juͤngfer- lich nieder, um dem, der ihn fuͤhrete, nicht auf die Fuͤſſe zu treten. Entſchuldigen Sie dieſes, was den Schein einer Leichtſinnigkeit hat, in mei- nem Brieffe; gegen wen wir einmahl eingenom-
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Die Geſchichte
Nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß ich meine
Geſchichte durch dieſe Gedancken unterbreche.
Wenn ich in meiner Erzaͤhlung immer fortfah-
ren ſollte, ohne mich durch dergleichen Anmer-
ckungen wieder zu erhohlen, ſo glaube ich kaum,
daß ich wuͤrde bey mir ſelbſt bleiben koͤnnen. Die
heftigen Gemuͤths-Bewegungen wuͤrden die
Oberhand gewiß behalten. Wenn ich aber
unter dem Schreiben dencke/ ſo kuͤhlt und legt
ſich meine Hitze wieder.
Jch glaube, es waͤhrte uͤber eine Viertheil-
Stunde, daß ich meinen troſtloſen Gedancken
nachhing, ehe jemand zu mir kam: denn ſie ſchie-
nen alle uneins zu ſeyn. Meine Baſe ſahe zu-
erſt in den Saal: o mein liebes Kind, ſind ſie
da? ſagte ſie, und ging gleich zuruͤck, um den
andern Nachricht zu geben.
Hierauf trat (wie es vorher ausgemacht zu
ſeyn ſchien) mein Onckle Anton herein, und fuͤhr-
te Herrn Solmes bey der Hand herein, mit den
Worten: Geben ſie mir ihre Hand/ mein
werther Freund/ und erlauben ſie mir/ ſie
herein zu fuͤhren. Der neugemachte artige
Stutzer folgete ihm in einer ſchwerfaͤlligen und
laͤcherlichen Leibes-Stellung nach; allein er ging
ſchon galanter, und ſetzte die Fuͤſſe recht juͤngfer-
lich nieder, um dem, der ihn fuͤhrete, nicht auf
die Fuͤſſe zu treten. Entſchuldigen Sie dieſes,
was den Schein einer Leichtſinnigkeit hat, in mei-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/336>, abgerufen am 24.11.2024.
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