Der ein und dreyßigste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Dienstag Abends, und die gantze Nacht hindurch.
Wohlan! ich lebe noch, und ich bin noch hier. Allein ich weiß nicht, wie lange beydes währen wird. Jch habe sehr viel zu schreiben, und vielleicht habe ich nur wenige Zeit dazu übrig. Jch kan aber doch den Umstand nicht vorbey lassen, daß mich die alberne Elisabeth durch ihr ungestümes Wesen in ein neues Schre- cken setzte, als sie Herrn Solmes bey mir an- meldete, ob ich mich gleich schon vorhin in solcher Unordnung befand, daß es nicht nöthig gewe- sen wäre, mich von neuen zu erschrecken.
Fräulein! Fräulein! Fräulein! schrye sie, so geschwind sie konnte, mit auseinander gesper- reten Armen; alle Finger sperrete sie auch von einander: wollen sie so gütig seyn/ und in ihren Saal gehen. Alle im Hause sind schon drinnen. Es ist eine recht grosse Versammlung. Herr Solmes ist auch da. Er sieht so artig aus als ein Graf. Er hat eine charmante gepuderte Peruque auf; schöne Spitzen-Manchetten; einen besetz- ten Rock; und eine Weste die gantz von silbernen Spitzen starret. Er sieht recht artig aus, das können sie mir zuglauben.
Sie
Die Geſchichte
Der ein und dreyßigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Dienſtag Abends, und die gantze Nacht hindurch.
Wohlan! ich lebe noch, und ich bin noch hier. Allein ich weiß nicht, wie lange beydes waͤhren wird. Jch habe ſehr viel zu ſchreiben, und vielleicht habe ich nur wenige Zeit dazu uͤbrig. Jch kan aber doch den Umſtand nicht vorbey laſſen, daß mich die alberne Eliſabeth durch ihr ungeſtuͤmes Weſen in ein neues Schre- cken ſetzte, als ſie Herrn Solmes bey mir an- meldete, ob ich mich gleich ſchon vorhin in ſolcher Unordnung befand, daß es nicht noͤthig gewe- ſen waͤre, mich von neuen zu erſchrecken.
Fraͤulein! Fraͤulein! Fraͤulein! ſchrye ſie, ſo geſchwind ſie konnte, mit auseinander geſper- reten Armen; alle Finger ſperrete ſie auch von einander: wollen ſie ſo guͤtig ſeyn/ und in ihren Saal gehen. Alle im Hauſe ſind ſchon drinnen. Es iſt eine recht groſſe Verſammlung. Herr Solmes iſt auch da. Er ſieht ſo artig aus als ein Graf. Er hat eine charmante gepuderte Peruque auf; ſchoͤne Spitzen-Manchetten; einen beſetz- ten Rock; und eine Weſte die gantz von ſilbernen Spitzen ſtarret. Er ſieht recht artig aus, das koͤnnen ſie mir zuglauben.
Sie
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0310"n="304"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#fr">Der ein und dreyßigſte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hirendition="#fr">Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein<lb/>
Howe.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Dienſtag Abends, und die gantze<lb/>
Nacht hindurch.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>ohlan! ich lebe noch, und ich bin noch hier.<lb/>
Allein ich weiß nicht, wie lange beydes<lb/>
waͤhren wird. Jch habe ſehr viel zu ſchreiben,<lb/>
und vielleicht habe ich nur wenige Zeit dazu<lb/>
uͤbrig. Jch kan aber doch den Umſtand nicht<lb/>
vorbey laſſen, daß mich die alberne <hirendition="#fr">Eliſabeth</hi><lb/>
durch ihr ungeſtuͤmes Weſen in ein neues Schre-<lb/>
cken ſetzte, als ſie Herrn <hirendition="#fr">Solmes</hi> bey mir an-<lb/>
meldete, ob ich mich gleich ſchon vorhin in ſolcher<lb/>
Unordnung befand, daß es nicht noͤthig gewe-<lb/>ſen waͤre, mich von neuen zu erſchrecken.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Fraͤulein! Fraͤulein! Fraͤulein!</hi>ſchrye ſie,<lb/>ſo geſchwind ſie konnte, mit auseinander geſper-<lb/>
reten Armen; alle Finger ſperrete ſie auch von<lb/>
einander: <hirendition="#fr">wollen ſie ſo guͤtig ſeyn/ und in<lb/>
ihren Saal gehen. Alle im Hauſe ſind<lb/>ſchon drinnen. Es iſt eine recht groſſe<lb/>
Verſammlung. Herr Solmes iſt auch da.<lb/>
Er ſieht ſo artig aus als ein Graf. Er hat<lb/>
eine charmante gepuderte Peruque auf;<lb/>ſchoͤne Spitzen-Manchetten; einen beſetz-<lb/>
ten Rock; und eine Weſte die gantz von<lb/>ſilbernen Spitzen ſtarret. Er ſieht recht<lb/>
artig aus, das koͤnnen ſie mir zuglauben.</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Sie</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[304/0310]
Die Geſchichte
Der ein und dreyßigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Dienſtag Abends, und die gantze
Nacht hindurch.
Wohlan! ich lebe noch, und ich bin noch hier.
Allein ich weiß nicht, wie lange beydes
waͤhren wird. Jch habe ſehr viel zu ſchreiben,
und vielleicht habe ich nur wenige Zeit dazu
uͤbrig. Jch kan aber doch den Umſtand nicht
vorbey laſſen, daß mich die alberne Eliſabeth
durch ihr ungeſtuͤmes Weſen in ein neues Schre-
cken ſetzte, als ſie Herrn Solmes bey mir an-
meldete, ob ich mich gleich ſchon vorhin in ſolcher
Unordnung befand, daß es nicht noͤthig gewe-
ſen waͤre, mich von neuen zu erſchrecken.
Fraͤulein! Fraͤulein! Fraͤulein! ſchrye ſie,
ſo geſchwind ſie konnte, mit auseinander geſper-
reten Armen; alle Finger ſperrete ſie auch von
einander: wollen ſie ſo guͤtig ſeyn/ und in
ihren Saal gehen. Alle im Hauſe ſind
ſchon drinnen. Es iſt eine recht groſſe
Verſammlung. Herr Solmes iſt auch da.
Er ſieht ſo artig aus als ein Graf. Er hat
eine charmante gepuderte Peruque auf;
ſchoͤne Spitzen-Manchetten; einen beſetz-
ten Rock; und eine Weſte die gantz von
ſilbernen Spitzen ſtarret. Er ſieht recht
artig aus, das koͤnnen ſie mir zuglauben.
Sie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/310>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.