Jch wiederhohle also meine Bitte: "daß er "ferner gar nicht mehr an mich gedencken möch- "te: da ja sein Herkommen, seine Anverwandten, "und seine noch zu erwartenden Erbschaften, so "ansehnlich wären, daß er, wenn ihm nur seine "Lebens-Art nicht im Wege stünde, sich zu der al- "ler vortheilhaftesten Parthey Hofnung machen, "und durch ein Frauenzimmer glücklich werden "könnte, deren Gemüth sich zu dem seinigen bes- "ser schickte. Jch müßte dieses desto ernstlicher "von ihm verlangen, nachdem er durch sein un- "höfliches Betragen gegen die Meinigen und "durch seine nachtheiligen Reden von ihnen, den "Verdacht erweckt habe, als hielte er nicht aus "Zuneigung zu mir, sondern aus Bitterkeit gegen "jene so unabläßig um mich an."
Dieses ist der Jnhalt meines Briefes an ihn. Jch traue dem Manne so viel Verstand zu, daß er begreiffen wird, daß nicht meine Neigung gegen ihn, sondern meine bedrängten Um- stände die Fortsetzung unsers Briefwechsels veranlasset haben. Jch wünsche auch, daß er dieses begreiffen möge. Dem Moloch opfer- te man nichts mehr als den Leib der Kinder auf: allein der Götze würde noch abscheulicher seyn, dem Vernunft, Gehorsam und alles was wir sind, aufgeopfert werden muß.
Jhre Frau Mutter meynt, daß die Meini- gen endlich nachlassen werden. GOtt gebe, daß es geschehe. Allein mein Bruder und meine
Schwe-
Die Geſchichte
Jch wiederhohle alſo meine Bitte: „daß er „ferner gar nicht mehr an mich gedencken moͤch- „te: da ja ſein Herkommen, ſeine Anverwandten, „und ſeine noch zu erwartenden Erbſchaften, ſo „anſehnlich waͤren, daß er, wenn ihm nur ſeine „Lebens-Art nicht im Wege ſtuͤnde, ſich zu der al- „ler vortheilhafteſten Parthey Hofnung machen, „und durch ein Frauenzimmer gluͤcklich werden „koͤnnte, deren Gemuͤth ſich zu dem ſeinigen beſ- „ſer ſchickte. Jch muͤßte dieſes deſto ernſtlicher „von ihm verlangen, nachdem er durch ſein un- „hoͤfliches Betragen gegen die Meinigen und „durch ſeine nachtheiligen Reden von ihnen, den „Verdacht erweckt habe, als hielte er nicht aus „Zuneigung zu mir, ſondern aus Bitterkeit gegen „jene ſo unablaͤßig um mich an.„
Dieſes iſt der Jnhalt meines Briefes an ihn. Jch traue dem Manne ſo viel Verſtand zu, daß er begreiffen wird, daß nicht meine Neigung gegen ihn, ſondern meine bedraͤngten Um- ſtaͤnde die Fortſetzung unſers Briefwechſels veranlaſſet haben. Jch wuͤnſche auch, daß er dieſes begreiffen moͤge. Dem Moloch opfer- te man nichts mehr als den Leib der Kinder auf: allein der Goͤtze wuͤrde noch abſcheulicher ſeyn, dem Vernunft, Gehorſam und alles was wir ſind, aufgeopfert werden muß.
Jhre Frau Mutter meynt, daß die Meini- gen endlich nachlaſſen werden. GOtt gebe, daß es geſchehe. Allein mein Bruder und meine
Schwe-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0114"n="108"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/><p>Jch wiederhohle alſo meine Bitte: „daß er<lb/>„ferner gar nicht mehr an mich gedencken moͤch-<lb/>„te: da ja ſein Herkommen, ſeine Anverwandten,<lb/>„und ſeine noch zu erwartenden Erbſchaften, ſo<lb/>„anſehnlich waͤren, daß er, wenn ihm nur ſeine<lb/>„Lebens-Art nicht im Wege ſtuͤnde, ſich zu der al-<lb/>„ler vortheilhafteſten Parthey Hofnung machen,<lb/>„und durch ein Frauenzimmer gluͤcklich werden<lb/>„koͤnnte, deren Gemuͤth ſich zu dem ſeinigen beſ-<lb/>„ſer ſchickte. Jch muͤßte dieſes deſto ernſtlicher<lb/>„von ihm verlangen, nachdem er durch ſein un-<lb/>„hoͤfliches Betragen gegen die Meinigen und<lb/>„durch ſeine nachtheiligen Reden von ihnen, den<lb/>„Verdacht erweckt habe, als hielte er nicht aus<lb/>„Zuneigung zu mir, ſondern aus Bitterkeit gegen<lb/>„jene ſo unablaͤßig um mich an.„</p><lb/><p>Dieſes iſt der Jnhalt meines Briefes an ihn.<lb/>
Jch traue dem Manne ſo viel Verſtand zu, daß<lb/>
er begreiffen wird, daß nicht meine Neigung<lb/>
gegen ihn, ſondern meine bedraͤngten Um-<lb/>ſtaͤnde die Fortſetzung unſers Briefwechſels<lb/>
veranlaſſet haben. Jch wuͤnſche auch, daß er<lb/>
dieſes begreiffen moͤge. Dem <hirendition="#fr">Moloch</hi> opfer-<lb/>
te man nichts mehr als den Leib der Kinder auf:<lb/>
allein der Goͤtze wuͤrde noch abſcheulicher ſeyn,<lb/>
dem Vernunft, Gehorſam und alles was wir<lb/>ſind, aufgeopfert werden muß.</p><lb/><p>Jhre Frau Mutter meynt, daß die Meini-<lb/>
gen endlich nachlaſſen werden. GOtt gebe, daß<lb/>
es geſchehe. Allein mein Bruder und meine<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Schwe-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[108/0114]
Die Geſchichte
Jch wiederhohle alſo meine Bitte: „daß er
„ferner gar nicht mehr an mich gedencken moͤch-
„te: da ja ſein Herkommen, ſeine Anverwandten,
„und ſeine noch zu erwartenden Erbſchaften, ſo
„anſehnlich waͤren, daß er, wenn ihm nur ſeine
„Lebens-Art nicht im Wege ſtuͤnde, ſich zu der al-
„ler vortheilhafteſten Parthey Hofnung machen,
„und durch ein Frauenzimmer gluͤcklich werden
„koͤnnte, deren Gemuͤth ſich zu dem ſeinigen beſ-
„ſer ſchickte. Jch muͤßte dieſes deſto ernſtlicher
„von ihm verlangen, nachdem er durch ſein un-
„hoͤfliches Betragen gegen die Meinigen und
„durch ſeine nachtheiligen Reden von ihnen, den
„Verdacht erweckt habe, als hielte er nicht aus
„Zuneigung zu mir, ſondern aus Bitterkeit gegen
„jene ſo unablaͤßig um mich an.„
Dieſes iſt der Jnhalt meines Briefes an ihn.
Jch traue dem Manne ſo viel Verſtand zu, daß
er begreiffen wird, daß nicht meine Neigung
gegen ihn, ſondern meine bedraͤngten Um-
ſtaͤnde die Fortſetzung unſers Briefwechſels
veranlaſſet haben. Jch wuͤnſche auch, daß er
dieſes begreiffen moͤge. Dem Moloch opfer-
te man nichts mehr als den Leib der Kinder auf:
allein der Goͤtze wuͤrde noch abſcheulicher ſeyn,
dem Vernunft, Gehorſam und alles was wir
ſind, aufgeopfert werden muß.
Jhre Frau Mutter meynt, daß die Meini-
gen endlich nachlaſſen werden. GOtt gebe, daß
es geſchehe. Allein mein Bruder und meine
Schwe-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/114>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.