Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Jch decke ihm ferner seinen Hochmuth etwas
auf, da er es sich für schimppflich hält, auf meine
Brieffe zu warten, und von Nachtschleigern
redet. Jch melde ihm: "er habe nicht Ursache,
"hierüber unzufrieden und empfindlich zu seyn.
"Seine üble Lebens-Art, und sonst nichts, sey
"Schuld daran: denn lasterhafte Sitten über-
"wögen alle Vorzüge des Standes und der Ge-
"burt, und machten den Adel dem allerverächt-
"lichsten Päbel und der Canaille gleich. Sie
"zwüngen einen, wenn ich es in seiner Sprache
"ausdrücken sollte, sich wie ein Dieb und Nacht-
"schleicher an den Wänden her zu stehlen. Er
"möchte übrigens die Gütigkeit für mich haben,
"ferner keinen Brief von mir zu erwarten, den
"er auf eine so unangenehme und verächtliche
"Weise aufsuchen müßte.

"Seine vielen Versicherungen und seine Eyd-
"Schwüre, damit er bey aller Gelegenheit so
"fertig wäre, gölten bey mir desto weniger, weil
"ich daraus schliessen müßte, er sey selbst von sich
"überzeugt, daß man einem Herrn von seiner
"Art ohne sehr viele Versicherungen nicht trauen
"könnte. Jch pflegte eines Mannes Absichten
"nicht nach seinen Worten, sondern nach seinen
"Handlungen zu beurtheilen. Jch würde immer
"mehr überzeuget, daß ich allen Briefwechsel mit
"ihm abbrechen müßte, da ich sehe, daß meine
"Freunde ohnmöglich dahin zu bringen wären,
"ihm ihr Ja-Wort zu geben, und daß er es auch
"niemahls verdienen würde.

Jch
der Clariſſa.

Jch decke ihm ferner ſeinen Hochmuth etwas
auf, da er es ſich fuͤr ſchimppflich haͤlt, auf meine
Brieffe zu warten, und von Nachtſchleigern
redet. Jch melde ihm: „er habe nicht Urſache,
„hieruͤber unzufrieden und empfindlich zu ſeyn.
„Seine uͤble Lebens-Art, und ſonſt nichts, ſey
„Schuld daran: denn laſterhafte Sitten uͤber-
„woͤgen alle Vorzuͤge des Standes und der Ge-
„burt, und machten den Adel dem allerveraͤcht-
„lichſten Paͤbel und der Canaille gleich. Sie
„zwuͤngen einen, wenn ich es in ſeiner Sprache
„ausdruͤcken ſollte, ſich wie ein Dieb und Nacht-
„ſchleicher an den Waͤnden her zu ſtehlen. Er
„moͤchte uͤbrigens die Guͤtigkeit fuͤr mich haben,
„ferner keinen Brief von mir zu erwarten, den
„er auf eine ſo unangenehme und veraͤchtliche
„Weiſe aufſuchen muͤßte.

„Seine vielen Verſicherungen und ſeine Eyd-
„Schwuͤre, damit er bey aller Gelegenheit ſo
„fertig waͤre, goͤlten bey mir deſto weniger, weil
„ich daraus ſchlieſſen muͤßte, er ſey ſelbſt von ſich
„uͤberzeugt, daß man einem Herrn von ſeiner
„Art ohne ſehr viele Verſicherungen nicht trauen
„koͤnnte. Jch pflegte eines Mannes Abſichten
„nicht nach ſeinen Worten, ſondern nach ſeinen
„Handlungen zu beurtheilen. Jch wuͤrde immer
„mehr uͤberzeuget, daß ich allen Briefwechſel mit
„ihm abbrechen muͤßte, da ich ſehe, daß meine
„Freunde ohnmoͤglich dahin zu bringen waͤren,
„ihm ihr Ja-Wort zu geben, und daß er es auch
„niemahls verdienen wuͤrde.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0113" n="107"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi> </fw><lb/>
          <p>Jch decke ihm ferner &#x017F;einen Hochmuth etwas<lb/>
auf, da er es &#x017F;ich fu&#x0364;r &#x017F;chimppflich ha&#x0364;lt, auf meine<lb/>
Brieffe zu warten, und von <hi rendition="#fr">Nacht&#x017F;chleigern</hi><lb/>
redet. Jch melde ihm: &#x201E;er habe nicht Ur&#x017F;ache,<lb/>
&#x201E;hieru&#x0364;ber unzufrieden und empfindlich zu &#x017F;eyn.<lb/>
&#x201E;Seine u&#x0364;ble Lebens-Art, und &#x017F;on&#x017F;t nichts, &#x017F;ey<lb/>
&#x201E;Schuld daran: denn la&#x017F;terhafte Sitten u&#x0364;ber-<lb/>
&#x201E;wo&#x0364;gen alle Vorzu&#x0364;ge des Standes und der Ge-<lb/>
&#x201E;burt, und machten den Adel dem allervera&#x0364;cht-<lb/>
&#x201E;lich&#x017F;ten Pa&#x0364;bel und der Canaille gleich. Sie<lb/>
&#x201E;zwu&#x0364;ngen einen, wenn ich es in &#x017F;einer Sprache<lb/>
&#x201E;ausdru&#x0364;cken &#x017F;ollte, &#x017F;ich wie ein Dieb und Nacht-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chleicher an den Wa&#x0364;nden her zu &#x017F;tehlen. Er<lb/>
&#x201E;mo&#x0364;chte u&#x0364;brigens die Gu&#x0364;tigkeit fu&#x0364;r mich haben,<lb/>
&#x201E;ferner keinen Brief von mir zu erwarten, den<lb/>
&#x201E;er auf eine &#x017F;o unangenehme und vera&#x0364;chtliche<lb/>
&#x201E;Wei&#x017F;e auf&#x017F;uchen mu&#x0364;ßte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Seine vielen Ver&#x017F;icherungen und &#x017F;eine Eyd-<lb/>
&#x201E;Schwu&#x0364;re, damit er bey aller Gelegenheit &#x017F;o<lb/>
&#x201E;fertig wa&#x0364;re, go&#x0364;lten bey mir de&#x017F;to weniger, weil<lb/>
&#x201E;ich daraus &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;ßte, er &#x017F;ey &#x017F;elb&#x017F;t von &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;u&#x0364;berzeugt, daß man einem Herrn von &#x017F;einer<lb/>
&#x201E;Art ohne &#x017F;ehr viele Ver&#x017F;icherungen nicht trauen<lb/>
&#x201E;ko&#x0364;nnte. Jch pflegte eines Mannes Ab&#x017F;ichten<lb/>
&#x201E;nicht nach &#x017F;einen Worten, &#x017F;ondern nach &#x017F;einen<lb/>
&#x201E;Handlungen zu beurtheilen. Jch wu&#x0364;rde immer<lb/>
&#x201E;mehr u&#x0364;berzeuget, daß ich allen Briefwech&#x017F;el mit<lb/>
&#x201E;ihm abbrechen mu&#x0364;ßte, da ich &#x017F;ehe, daß meine<lb/>
&#x201E;Freunde ohnmo&#x0364;glich dahin zu bringen wa&#x0364;ren,<lb/>
&#x201E;ihm ihr Ja-Wort zu geben, und daß er es auch<lb/>
&#x201E;niemahls verdienen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0113] der Clariſſa. Jch decke ihm ferner ſeinen Hochmuth etwas auf, da er es ſich fuͤr ſchimppflich haͤlt, auf meine Brieffe zu warten, und von Nachtſchleigern redet. Jch melde ihm: „er habe nicht Urſache, „hieruͤber unzufrieden und empfindlich zu ſeyn. „Seine uͤble Lebens-Art, und ſonſt nichts, ſey „Schuld daran: denn laſterhafte Sitten uͤber- „woͤgen alle Vorzuͤge des Standes und der Ge- „burt, und machten den Adel dem allerveraͤcht- „lichſten Paͤbel und der Canaille gleich. Sie „zwuͤngen einen, wenn ich es in ſeiner Sprache „ausdruͤcken ſollte, ſich wie ein Dieb und Nacht- „ſchleicher an den Waͤnden her zu ſtehlen. Er „moͤchte uͤbrigens die Guͤtigkeit fuͤr mich haben, „ferner keinen Brief von mir zu erwarten, den „er auf eine ſo unangenehme und veraͤchtliche „Weiſe aufſuchen muͤßte. „Seine vielen Verſicherungen und ſeine Eyd- „Schwuͤre, damit er bey aller Gelegenheit ſo „fertig waͤre, goͤlten bey mir deſto weniger, weil „ich daraus ſchlieſſen muͤßte, er ſey ſelbſt von ſich „uͤberzeugt, daß man einem Herrn von ſeiner „Art ohne ſehr viele Verſicherungen nicht trauen „koͤnnte. Jch pflegte eines Mannes Abſichten „nicht nach ſeinen Worten, ſondern nach ſeinen „Handlungen zu beurtheilen. Jch wuͤrde immer „mehr uͤberzeuget, daß ich allen Briefwechſel mit „ihm abbrechen muͤßte, da ich ſehe, daß meine „Freunde ohnmoͤglich dahin zu bringen waͤren, „ihm ihr Ja-Wort zu geben, und daß er es auch „niemahls verdienen wuͤrde. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/113
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/113>, abgerufen am 24.11.2024.