Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
daß es ihre Schuldigkeit ist, Gehorsahm zu leisten.
Hiemit ging sie hinunter, und verließ mich mit ei-
nem gekränckten Hertzen und überfließenden Au-
gen. Selbst die Widerhohlung dieser Geschichte
kränckt mich von neuen. Jch kann vor Thränen
nicht mehr schreiben, die mir die Augen so verdun-
ckeln, daß ich alles durch Wolcken sehe-



Mittwochens um 5. Uhr.

Jch will noch ein paar Zeilen hinzu thun. Un-
ten an der Treppe ward Frau Hervey von meiner
Schwester empfangen, die sich einzubilden schien,
daß sie lange nach ihr bey mir geblieben wäre Sie
hatte ihre letzte Ermahnung zum Gehorsahm ge-
hört; und lobete sie davor: predigte aber noch mit
dem Ausdruck wider mich: haben sie je so viel ver-
kehr ten Eigensinn erlebt? Hätten sie dencken kön-
nen daß das hinter Clärchen, hinter ihrer Clär-
chen
steckte? Wer soll nachgeben? Sie oder ihr
Vater?
Es war gantz recht, daß sie ihr dieses
sagten.

Meine Base gab ihr eine Antwort, und es
schien, als wollte sie ihr Mitleyden bezeugen. Jch
konnte aber nur den Ton und nicht die Worte
hören.

So eine wunderliche Beständigkeit bey so un-
billigen Forderungen! Allein mein Bruder und
meine Schwester stellen alles, was ich thue und
rede auf der schlimmen Seite vor: und ich habe
keine Gelegenheit mich zu verantworten. Meine
Schwester sagt: niemand würde sich mit mir
gewagt haben, wenn sie mich für eine solche

Fech-
K k 4

der Clariſſa.
daß es ihre Schuldigkeit iſt, Gehorſahm zu leiſten.
Hiemit ging ſie hinunter, und verließ mich mit ei-
nem gekraͤnckten Hertzen und uͤberfließenden Au-
gen. Selbſt die Widerhohlung dieſer Geſchichte
kraͤnckt mich von neuen. Jch kann vor Thraͤnen
nicht mehr ſchreiben, die mir die Augen ſo verdun-
ckeln, daß ich alles durch Wolcken ſehe-



Mittwochens um 5. Uhr.

Jch will noch ein paar Zeilen hinzu thun. Un-
ten an der Treppe ward Frau Hervey von meiner
Schweſter empfangen, die ſich einzubilden ſchien,
daß ſie lange nach ihr bey mir geblieben waͤre Sie
hatte ihre letzte Ermahnung zum Gehorſahm ge-
hoͤrt; und lobete ſie davor: predigte aber noch mit
dem Ausdruck wider mich: haben ſie je ſo viel ver-
kehr ten Eigenſinn erlebt? Haͤtten ſie dencken koͤn-
nen daß das hinter Claͤrchen, hinter ihrer Claͤr-
chen
ſteckte? Wer ſoll nachgeben? Sie oder ihr
Vater?
Es war gantz recht, daß ſie ihr dieſes
ſagten.

Meine Baſe gab ihr eine Antwort, und es
ſchien, als wollte ſie ihr Mitleyden bezeugen. Jch
konnte aber nur den Ton und nicht die Worte
hoͤren.

So eine wunderliche Beſtaͤndigkeit bey ſo un-
billigen Forderungen! Allein mein Bruder und
meine Schweſter ſtellen alles, was ich thue und
rede auf der ſchlimmen Seite vor: und ich habe
keine Gelegenheit mich zu verantworten. Meine
Schweſter ſagt: niemand wuͤrde ſich mit mir
gewagt haben, wenn ſie mich fuͤr eine ſolche

Fech-
K k 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0539" n="519"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
daß es ihre Schuldigkeit i&#x017F;t, Gehor&#x017F;ahm zu lei&#x017F;ten.<lb/>
Hiemit ging &#x017F;ie hinunter, und verließ mich mit ei-<lb/>
nem gekra&#x0364;nckten Hertzen und u&#x0364;berfließenden Au-<lb/>
gen. Selb&#x017F;t die Widerhohlung die&#x017F;er Ge&#x017F;chichte<lb/>
kra&#x0364;nckt mich von neuen. Jch kann vor Thra&#x0364;nen<lb/>
nicht mehr &#x017F;chreiben, die mir die Augen &#x017F;o verdun-<lb/>
ckeln, daß ich alles durch Wolcken &#x017F;ehe-</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">Mittwochens um 5. Uhr.</hi> </p><lb/>
        <p>Jch will noch ein paar Zeilen hinzu thun. Un-<lb/>
ten an der Treppe ward Frau <hi rendition="#fr">Hervey</hi> von meiner<lb/>
Schwe&#x017F;ter empfangen, die &#x017F;ich einzubilden &#x017F;chien,<lb/>
daß &#x017F;ie lange nach ihr bey mir geblieben wa&#x0364;re Sie<lb/>
hatte ihre letzte Ermahnung zum Gehor&#x017F;ahm ge-<lb/>
ho&#x0364;rt; und lobete &#x017F;ie davor: predigte aber noch mit<lb/>
dem Ausdruck wider mich: haben &#x017F;ie je &#x017F;o viel ver-<lb/>
kehr ten Eigen&#x017F;inn erlebt? Ha&#x0364;tten &#x017F;ie dencken ko&#x0364;n-<lb/>
nen daß das hinter <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen,</hi> hinter ihrer <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;r-<lb/>
chen</hi> &#x017F;teckte? Wer &#x017F;oll nachgeben? <hi rendition="#fr">Sie</hi> oder <hi rendition="#fr">ihr<lb/>
Vater?</hi> Es war gantz recht, daß &#x017F;ie ihr die&#x017F;es<lb/>
&#x017F;agten.</p><lb/>
        <p>Meine Ba&#x017F;e gab ihr eine Antwort, und es<lb/>
&#x017F;chien, als wollte &#x017F;ie ihr Mitleyden bezeugen. Jch<lb/>
konnte aber nur den Ton und nicht die Worte<lb/>
ho&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>So eine wunderliche Be&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit bey &#x017F;o un-<lb/>
billigen Forderungen! Allein mein Bruder und<lb/>
meine Schwe&#x017F;ter &#x017F;tellen alles, was ich thue und<lb/>
rede auf der &#x017F;chlimmen Seite vor: und ich habe<lb/>
keine Gelegenheit mich zu verantworten. Meine<lb/>
Schwe&#x017F;ter &#x017F;agt: <hi rendition="#fr">niemand wu&#x0364;rde &#x017F;ich mit mir<lb/>
gewagt haben, wenn &#x017F;ie mich fu&#x0364;r eine &#x017F;olche</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k 4</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Fech-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[519/0539] der Clariſſa. daß es ihre Schuldigkeit iſt, Gehorſahm zu leiſten. Hiemit ging ſie hinunter, und verließ mich mit ei- nem gekraͤnckten Hertzen und uͤberfließenden Au- gen. Selbſt die Widerhohlung dieſer Geſchichte kraͤnckt mich von neuen. Jch kann vor Thraͤnen nicht mehr ſchreiben, die mir die Augen ſo verdun- ckeln, daß ich alles durch Wolcken ſehe- Mittwochens um 5. Uhr. Jch will noch ein paar Zeilen hinzu thun. Un- ten an der Treppe ward Frau Hervey von meiner Schweſter empfangen, die ſich einzubilden ſchien, daß ſie lange nach ihr bey mir geblieben waͤre Sie hatte ihre letzte Ermahnung zum Gehorſahm ge- hoͤrt; und lobete ſie davor: predigte aber noch mit dem Ausdruck wider mich: haben ſie je ſo viel ver- kehr ten Eigenſinn erlebt? Haͤtten ſie dencken koͤn- nen daß das hinter Claͤrchen, hinter ihrer Claͤr- chen ſteckte? Wer ſoll nachgeben? Sie oder ihr Vater? Es war gantz recht, daß ſie ihr dieſes ſagten. Meine Baſe gab ihr eine Antwort, und es ſchien, als wollte ſie ihr Mitleyden bezeugen. Jch konnte aber nur den Ton und nicht die Worte hoͤren. So eine wunderliche Beſtaͤndigkeit bey ſo un- billigen Forderungen! Allein mein Bruder und meine Schweſter ſtellen alles, was ich thue und rede auf der ſchlimmen Seite vor: und ich habe keine Gelegenheit mich zu verantworten. Meine Schweſter ſagt: niemand wuͤrde ſich mit mir gewagt haben, wenn ſie mich fuͤr eine ſolche Fech- K k 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/539
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/539>, abgerufen am 03.05.2024.