Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
im Hause einen Schand-Fleck anhängen: und was
ihr mit der einen Hand bauet, werdet ihr mit der
andern niederreissen. O was für vortrefliche An-
schläge! Allein kleiner Flüchtling ich, kann euch sa-
gen, daß eures Vaters Wille, der am Leben ist,
den Willen des verstorbenen Gros-Vaters um-
stossen wird: und das Gut wird so angewandt wer-
den, wie es mein seel. Gros-Vater ohne Zweifel
gewollt haben würde, wann er eine solche Verän-
derung an seinem theuren Kinde erlebt hätte.
Mit einem Wort, es soll in eure Hände nicht kom-
men, bis mein Vater siehet, daß ihr verständig ge-
nug seyd es wohl zu gebrauchen, oder bis ihr gehor-
sahmes Kind es ihm durch den Weg des Rechtens
abtrotzen könnt.

Fy! Fräulein Harlowe! das schickt sich nicht
g[e]gen eure Schwester! sagte Frau Hervey.

Nein! Frau Base, ich bitte, stören sie sie nicht.
Jch habe noch mehr von ihr ertragen. Entweder
ihr eigener Neid, oder meine Oberen denen ich
mich unterwerfen muß, haben ihr aufgetragen,
übel mit mir umzugehen. Was hinderte mich,
wenn ich mein Gut wider haben wollte? Jch weiß
mein Recht; allein ich dencke nicht daran, mich
deßen zu bedienen. Jch bitte sie, sagen sie meinem
Vater; es mögen die Folgen für mich noch so
schlimm seyn, er mag mich aus dem Hause stossen,
(und das wäre mir allerdings lieber, als mich so
eingesperret und verspottet zu sehen) und solte ich
auch bis auf die äusserste Armuth herunterkommen;
so will ich keine Mittel zu leben suchen, die seinem
Willen zu wider sind.

Nein

Die Geſchichte
im Hauſe einen Schand-Fleck anhaͤngen: und was
ihr mit der einen Hand bauet, werdet ihr mit der
andern niederreiſſen. O was fuͤr vortrefliche An-
ſchlaͤge! Allein kleiner Fluͤchtling ich, kann euch ſa-
gen, daß eures Vaters Wille, der am Leben iſt,
den Willen des verſtorbenen Gros-Vaters um-
ſtoſſen wird: und das Gut wird ſo angewandt wer-
den, wie es mein ſeel. Gros-Vater ohne Zweifel
gewollt haben wuͤrde, wann er eine ſolche Veraͤn-
derung an ſeinem theuren Kinde erlebt haͤtte.
Mit einem Wort, es ſoll in eure Haͤnde nicht kom-
men, bis mein Vater ſiehet, daß ihr verſtaͤndig ge-
nug ſeyd es wohl zu gebrauchen, oder bis ihr gehor-
ſahmes Kind es ihm durch den Weg des Rechtens
abtrotzen koͤnnt.

Fy! Fraͤulein Harlowe! das ſchickt ſich nicht
g[e]gen eure Schweſter! ſagte Frau Hervey.

Nein! Frau Baſe, ich bitte, ſtoͤren ſie ſie nicht.
Jch habe noch mehr von ihr ertragen. Entweder
ihr eigener Neid, oder meine Oberen denen ich
mich unterwerfen muß, haben ihr aufgetragen,
uͤbel mit mir umzugehen. Was hinderte mich,
wenn ich mein Gut wider haben wollte? Jch weiß
mein Recht; allein ich dencke nicht daran, mich
deßen zu bedienen. Jch bitte ſie, ſagen ſie meinem
Vater; es moͤgen die Folgen fuͤr mich noch ſo
ſchlimm ſeyn, er mag mich aus dem Hauſe ſtoſſen,
(und das waͤre mir allerdings lieber, als mich ſo
eingeſperret und verſpottet zu ſehen) und ſolte ich
auch bis auf die aͤuſſerſte Armuth herunterkommen;
ſo will ich keine Mittel zu leben ſuchen, die ſeinem
Willen zu wider ſind.

Nein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0522" n="502"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
im Hau&#x017F;e einen Schand-Fleck anha&#x0364;ngen: und was<lb/>
ihr mit der einen Hand bauet, werdet ihr mit der<lb/>
andern niederrei&#x017F;&#x017F;en. O was fu&#x0364;r vortrefliche An-<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;ge! Allein kleiner Flu&#x0364;chtling ich, kann euch &#x017F;a-<lb/>
gen, daß eures Vaters Wille, der am Leben i&#x017F;t,<lb/>
den Willen des ver&#x017F;torbenen Gros-Vaters um-<lb/>
&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en wird: und das Gut wird &#x017F;o angewandt wer-<lb/>
den, wie es mein &#x017F;eel. Gros-Vater ohne Zweifel<lb/>
gewollt haben wu&#x0364;rde, wann er eine &#x017F;olche Vera&#x0364;n-<lb/>
derung an &#x017F;einem <hi rendition="#fr">theuren Kinde</hi> erlebt ha&#x0364;tte.<lb/>
Mit einem Wort, es &#x017F;oll in eure Ha&#x0364;nde nicht kom-<lb/>
men, bis mein Vater &#x017F;iehet, daß ihr ver&#x017F;ta&#x0364;ndig ge-<lb/>
nug &#x017F;eyd es wohl zu gebrauchen, oder bis ihr gehor-<lb/>
&#x017F;ahmes Kind es ihm durch den Weg des Rechtens<lb/>
abtrotzen ko&#x0364;nnt.</p><lb/>
        <p>Fy! Fra&#x0364;ulein H<hi rendition="#fr">arlowe!</hi> das &#x017F;chickt &#x017F;ich nicht<lb/>
g<supplied>e</supplied>gen eure Schwe&#x017F;ter! &#x017F;agte Frau <hi rendition="#fr">Hervey.</hi></p><lb/>
        <p>Nein! Frau Ba&#x017F;e, ich bitte, &#x017F;to&#x0364;ren &#x017F;ie &#x017F;ie nicht.<lb/>
Jch habe noch mehr von ihr ertragen. Entweder<lb/>
ihr <hi rendition="#fr">eigener Neid,</hi> oder meine Oberen denen ich<lb/>
mich unterwerfen muß, haben ihr aufgetragen,<lb/>
u&#x0364;bel mit mir umzugehen. Was hinderte mich,<lb/>
wenn ich mein Gut wider haben wollte? Jch weiß<lb/>
mein Recht; allein ich dencke nicht daran, mich<lb/>
deßen zu bedienen. Jch bitte &#x017F;ie, &#x017F;agen &#x017F;ie meinem<lb/>
Vater; es mo&#x0364;gen die Folgen fu&#x0364;r mich noch &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chlimm &#x017F;eyn, er mag mich aus dem Hau&#x017F;e &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
(und das wa&#x0364;re mir allerdings lieber, als mich &#x017F;o<lb/>
einge&#x017F;perret und ver&#x017F;pottet zu &#x017F;ehen) und &#x017F;olte ich<lb/>
auch bis auf die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te Armuth herunterkommen;<lb/>
&#x017F;o will ich keine Mittel zu leben &#x017F;uchen, die &#x017F;einem<lb/>
Willen zu wider &#x017F;ind.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Nein</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[502/0522] Die Geſchichte im Hauſe einen Schand-Fleck anhaͤngen: und was ihr mit der einen Hand bauet, werdet ihr mit der andern niederreiſſen. O was fuͤr vortrefliche An- ſchlaͤge! Allein kleiner Fluͤchtling ich, kann euch ſa- gen, daß eures Vaters Wille, der am Leben iſt, den Willen des verſtorbenen Gros-Vaters um- ſtoſſen wird: und das Gut wird ſo angewandt wer- den, wie es mein ſeel. Gros-Vater ohne Zweifel gewollt haben wuͤrde, wann er eine ſolche Veraͤn- derung an ſeinem theuren Kinde erlebt haͤtte. Mit einem Wort, es ſoll in eure Haͤnde nicht kom- men, bis mein Vater ſiehet, daß ihr verſtaͤndig ge- nug ſeyd es wohl zu gebrauchen, oder bis ihr gehor- ſahmes Kind es ihm durch den Weg des Rechtens abtrotzen koͤnnt. Fy! Fraͤulein Harlowe! das ſchickt ſich nicht gegen eure Schweſter! ſagte Frau Hervey. Nein! Frau Baſe, ich bitte, ſtoͤren ſie ſie nicht. Jch habe noch mehr von ihr ertragen. Entweder ihr eigener Neid, oder meine Oberen denen ich mich unterwerfen muß, haben ihr aufgetragen, uͤbel mit mir umzugehen. Was hinderte mich, wenn ich mein Gut wider haben wollte? Jch weiß mein Recht; allein ich dencke nicht daran, mich deßen zu bedienen. Jch bitte ſie, ſagen ſie meinem Vater; es moͤgen die Folgen fuͤr mich noch ſo ſchlimm ſeyn, er mag mich aus dem Hauſe ſtoſſen, (und das waͤre mir allerdings lieber, als mich ſo eingeſperret und verſpottet zu ſehen) und ſolte ich auch bis auf die aͤuſſerſte Armuth herunterkommen; ſo will ich keine Mittel zu leben ſuchen, die ſeinem Willen zu wider ſind. Nein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/522
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/522>, abgerufen am 23.11.2024.