Keine Seele der Harlowischen Familie hat seinen Verheissungen widerstehen können. Keine Seele! was sage ich? Gerade als wenn jemand aus dieser Familie, meine Göttin aus genommen, eine Seele hatte! Sie widersteht ihnen allen, und wird deswegen eingesperret, und auf andere Wei- se hart gehalten. Ein finsterer Vater, von unüber- windlichem Eigensinn, thut dieses auf Anstifften eines aufgeblasenen und eigennützigen Bruders. Du kennest die Leute: ich will das Papier durch eine solche Beschreibung nicht besudeln.
Was für eine verworrene Sache, die zu lieben, deren Vater, deren Bruder, deren Onckels, de- ren Familie ich ewig verachten muß? Und, (der Teufel!) die Liebe wächst mit ihrer - - Verach- tung? - - Hochmuth? - - Uebermuth einer ange- beteten Abgöttin? Nein! so kan ich es nicht nen- nen. Blos ihre Tugend ist es, die mir meine Wünsche so schwer macht. Jch werde dafür ge- straft, daß ich kein schleichender Sünder, kein Heuchler bin; daß ich weniger für meinen guten Namen besorat gewesen bin, und der Lästerung er- laubt habe, ihren Mund gegen mich zu öffnen. Jst es aber einem solchen, als ich bin, nöthig ein Heuch- ler zu werden? mir, der ich alle Bitten erhielt, die ich je gethan habe? Der ich niemals Furcht erweckte, ohne daß man eine herrschende Liebe dabey gewahr werden konte? Der Poet hat Recht:
Die Tugend ist ein Spiel/ der Schau- Platz ist die Welt. Kunst ists/ und nicht Natur/ was sie für Tugend hält.
Allein
Die Geſchichte
Keine Seele der Harlowiſchen Familie hat ſeinen Verheiſſungen widerſtehen koͤnnen. Keine Seele! was ſage ich? Gerade als wenn jemand aus dieſer Familie, meine Goͤttin aus genommen, eine Seele hatte! Sie widerſteht ihnen allen, und wird deswegen eingeſperret, und auf andere Wei- ſe hart gehalten. Ein finſterer Vater, von unuͤber- windlichem Eigenſinn, thut dieſes auf Anſtifften eines aufgeblaſenen und eigennuͤtzigen Bruders. Du kenneſt die Leute: ich will das Papier durch eine ſolche Beſchreibung nicht beſudeln.
Was fuͤr eine verworrene Sache, die zu lieben, deren Vater, deren Bruder, deren Onckels, de- ren Familie ich ewig verachten muß? Und, (der Teufel!) die Liebe waͤchſt mit ihrer ‒ ‒ Verach- tung? ‒ ‒ Hochmuth? ‒ ‒ Uebermuth einer ange- beteten Abgoͤttin? Nein! ſo kan ich es nicht nen- nen. Blos ihre Tugend iſt es, die mir meine Wuͤnſche ſo ſchwer macht. Jch werde dafuͤr ge- ſtraft, daß ich kein ſchleichender Suͤnder, kein Heuchler bin; daß ich weniger fuͤr meinen guten Namen beſorat geweſen bin, und der Laͤſterung er- laubt habe, ihren Mund gegen mich zu oͤffnen. Jſt es aber einem ſolchen, als ich bin, noͤthig ein Heuch- ler zu werden? mir, der ich alle Bitten erhielt, die ich je gethan habe? Der ich niemals Furcht erweckte, ohne daß man eine herrſchende Liebe dabey gewahr werden konte? Der Poet hat Recht:
Die Tugend iſt ein Spiel/ der Schau- Platz iſt die Welt. Kunſt iſts/ und nicht Natur/ was ſie fuͤr Tugend haͤlt.
Allein
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Die Geſchichte
Keine Seele der Harlowiſchen Familie hat
ſeinen Verheiſſungen widerſtehen koͤnnen. Keine
Seele! was ſage ich? Gerade als wenn jemand
aus dieſer Familie, meine Goͤttin aus genommen,
eine Seele hatte! Sie widerſteht ihnen allen, und
wird deswegen eingeſperret, und auf andere Wei-
ſe hart gehalten. Ein finſterer Vater, von unuͤber-
windlichem Eigenſinn, thut dieſes auf Anſtifften
eines aufgeblaſenen und eigennuͤtzigen Bruders.
Du kenneſt die Leute: ich will das Papier durch
eine ſolche Beſchreibung nicht beſudeln.
Was fuͤr eine verworrene Sache, die zu lieben,
deren Vater, deren Bruder, deren Onckels, de-
ren Familie ich ewig verachten muß? Und, (der
Teufel!) die Liebe waͤchſt mit ihrer ‒ ‒ Verach-
tung? ‒ ‒ Hochmuth? ‒ ‒ Uebermuth einer ange-
beteten Abgoͤttin? Nein! ſo kan ich es nicht nen-
nen. Blos ihre Tugend iſt es, die mir meine
Wuͤnſche ſo ſchwer macht. Jch werde dafuͤr ge-
ſtraft, daß ich kein ſchleichender Suͤnder, kein
Heuchler bin; daß ich weniger fuͤr meinen guten
Namen beſorat geweſen bin, und der Laͤſterung er-
laubt habe, ihren Mund gegen mich zu oͤffnen. Jſt
es aber einem ſolchen, als ich bin, noͤthig ein Heuch-
ler zu werden? mir, der ich alle Bitten erhielt, die ich
je gethan habe? Der ich niemals Furcht erweckte,
ohne daß man eine herrſchende Liebe dabey gewahr
werden konte? Der Poet hat Recht:
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Platz iſt die Welt.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/344>, abgerufen am 25.11.2024.
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