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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
ses Herrn Erbe seyn werde; was er von Lady
Sara Sadleyr und Lady Lawrance zu hoffen
hat, als welche beyde nebst dem Lord M. sehr
wünschen ihn bald verheyrathet zu sehen, weil er
der letzte von der Familie ist: waren dises nicht
Umstände genug ihn meiner Schwester angenehm
zu machen?

"So ein artiger Herr! O ihre liebe Clarissa!
(denn damals konnte sie mich sehr zärtlich lieben,
weil er sie aufgeräumt und liebreich gemacht hatte)
"Er war nur gar zu artig für sie! Sie hoffete
"seine Liebe stets zu behalten, wenn sie nur eben
"so einnehmend wäre, als sonst jemand!
"denn sie hörte er wäre wild, sehr wild und sehr
"lustig, und hätte sehr gern mit Liebes-Sachen
"zu thun. Aber er wäre jung und habe guten
"Verstand: er würde seinen Jrthum einsehen,
"wenn sie nur Gedult mit seinen Fehlern haben
"könte, falls diese nicht ohnedem durch seine
"Verheyrathung wegfielen.

Solcher Sachen sprach sie noch mehrere, und
bat mich, daß ich doch den liebenswürdigen
Herrn, wie sie ihn nennete, auch sehen möchte.
Aber von neuen überfiel sie eine Sorge, "daß sie
"nicht artig genug für ihn wäre: das wäre är-
"gerlich, hieß es, wenn der Mann in diesem
"Stück die Frau übertreffen solte." Hierauf
trat sie wieder vor den Spiegel und machte sich
das Compliment, "sie sähe gut genug aus.
"Man hielte manches Frauenzimmer für mittel-
"mäßig schön, das doch von ihr übertroffen

"würde

Die Geſchichte
ſes Herrn Erbe ſeyn werde; was er von Lady
Sara Sadleyr und Lady Lawrance zu hoffen
hat, als welche beyde nebſt dem Lord M. ſehr
wuͤnſchen ihn bald verheyrathet zu ſehen, weil er
der letzte von der Familie iſt: waren diſes nicht
Umſtaͤnde genug ihn meiner Schweſter angenehm
zu machen?

„So ein artiger Herr! O ihre liebe Clariſſa!
(denn damals konnte ſie mich ſehr zaͤrtlich lieben,
weil er ſie aufgeraͤumt und liebreich gemacht hatte)
„Er war nur gar zu artig fuͤr ſie! Sie hoffete
„ſeine Liebe ſtets zu behalten, wenn ſie nur eben
„ſo einnehmend waͤre, als ſonſt jemand!
„denn ſie hoͤrte er waͤre wild, ſehr wild und ſehr
„luſtig, und haͤtte ſehr gern mit Liebes-Sachen
„zu thun. Aber er waͤre jung und habe guten
„Verſtand: er wuͤrde ſeinen Jrthum einſehen,
„wenn ſie nur Gedult mit ſeinen Fehlern haben
„koͤnte, falls dieſe nicht ohnedem durch ſeine
„Verheyrathung wegfielen.

Solcher Sachen ſprach ſie noch mehrere, und
bat mich, daß ich doch den liebenswuͤrdigen
Herrn, wie ſie ihn nennete, auch ſehen moͤchte.
Aber von neuen uͤberfiel ſie eine Sorge, „daß ſie
„nicht artig genug fuͤr ihn waͤre: das waͤre aͤr-
„gerlich, hieß es, wenn der Mann in dieſem
„Stuͤck die Frau uͤbertreffen ſolte.„ Hierauf
trat ſie wieder vor den Spiegel und machte ſich
das Compliment, „ſie ſaͤhe gut genug aus.
„Man hielte manches Frauenzimmer fuͤr mittel-
„maͤßig ſchoͤn, das doch von ihr uͤbertroffen

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[10/0030] Die Geſchichte ſes Herrn Erbe ſeyn werde; was er von Lady Sara Sadleyr und Lady Lawrance zu hoffen hat, als welche beyde nebſt dem Lord M. ſehr wuͤnſchen ihn bald verheyrathet zu ſehen, weil er der letzte von der Familie iſt: waren diſes nicht Umſtaͤnde genug ihn meiner Schweſter angenehm zu machen? „So ein artiger Herr! O ihre liebe Clariſſa! (denn damals konnte ſie mich ſehr zaͤrtlich lieben, weil er ſie aufgeraͤumt und liebreich gemacht hatte) „Er war nur gar zu artig fuͤr ſie! Sie hoffete „ſeine Liebe ſtets zu behalten, wenn ſie nur eben „ſo einnehmend waͤre, als ſonſt jemand! „denn ſie hoͤrte er waͤre wild, ſehr wild und ſehr „luſtig, und haͤtte ſehr gern mit Liebes-Sachen „zu thun. Aber er waͤre jung und habe guten „Verſtand: er wuͤrde ſeinen Jrthum einſehen, „wenn ſie nur Gedult mit ſeinen Fehlern haben „koͤnte, falls dieſe nicht ohnedem durch ſeine „Verheyrathung wegfielen. Solcher Sachen ſprach ſie noch mehrere, und bat mich, daß ich doch den liebenswuͤrdigen Herrn, wie ſie ihn nennete, auch ſehen moͤchte. Aber von neuen uͤberfiel ſie eine Sorge, „daß ſie „nicht artig genug fuͤr ihn waͤre: das waͤre aͤr- „gerlich, hieß es, wenn der Mann in dieſem „Stuͤck die Frau uͤbertreffen ſolte.„ Hierauf trat ſie wieder vor den Spiegel und machte ſich das Compliment, „ſie ſaͤhe gut genug aus. „Man hielte manches Frauenzimmer fuͤr mittel- „maͤßig ſchoͤn, das doch von ihr uͤbertroffen „wuͤrde

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/30>, abgerufen am 23.11.2024.