Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
"meine, manchem Unglück vorgebeuget habe,
"und an keinem Schuld gewesen bin. Denn
"wer konte von mir fodern, daß ich die Gemü-
"ther dieser Herren regieren und lencken sollte?
"Uber den einen habe ich zwar in der That einige
"Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine
"Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm
"deshalb verbunden bin. Allein wer kan sich
"rühmen, daß er bey dem andern etwas auszu-
"richten im Stande sey?

"Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich
"meinem Bruder so viele Schuld geben muß, ob-
"gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer
"seiner Rache und seiner weitläufftigen Absichten
"geworden sind. Jst es mir indessen nicht ver-
"gönnet, mich frey zu beklagen, da ich so vie-
"les gelitten habe?

"Da ich Jhnen diese Nachricht so freywillig
"und mit einem so kindlichen Hertzen und guten
"Absichten ertheile; so unterstehe ich mich zu hof-
"fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief
"selbst zu sehen. Ehre und Klugheit verbieten
"mir dieses, weil die Schreib-Art gar zu hefftig
"ist. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch
"nicht durch meine Hannichen) erfahren, wie
"hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt
"Ursache zu haben, sich alles dieses anzuziehen,
"nachdem einige meiner Verwandten eben so hef-
"tige Reden gegen ihn ausgestossen haben.

"Wenn ich ihm nicht antworte, so wird er
"seiner selbst nicht mehr mächtig seyn, und sich

berech-

Die Geſchichte
„meine, manchem Ungluͤck vorgebeuget habe,
„und an keinem Schuld geweſen bin. Denn
„wer konte von mir fodern, daß ich die Gemuͤ-
„ther dieſer Herren regieren und lencken ſollte?
„Uber den einen habe ich zwar in der That einige
„Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine
„Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm
„deshalb verbunden bin. Allein wer kan ſich
„ruͤhmen, daß er bey dem andern etwas auszu-
„richten im Stande ſey?

„Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich
„meinem Bruder ſo viele Schuld geben muß, ob-
„gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer
„ſeiner Rache und ſeiner weitlaͤufftigen Abſichten
„geworden ſind. Jſt es mir indeſſen nicht ver-
„goͤnnet, mich frey zu beklagen, da ich ſo vie-
„les gelitten habe?

„Da ich Jhnen dieſe Nachricht ſo freywillig
„und mit einem ſo kindlichen Hertzen und guten
„Abſichten ertheile; ſo unterſtehe ich mich zu hof-
„fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief
„ſelbſt zu ſehen. Ehre und Klugheit verbieten
„mir dieſes, weil die Schreib-Art gar zu hefftig
„iſt. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch
„nicht durch meine Hannichen) erfahren, wie
„hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt
„Urſache zu haben, ſich alles dieſes anzuziehen,
„nachdem einige meiner Verwandten eben ſo hef-
„tige Reden gegen ihn ausgeſtoſſen haben.

„Wenn ich ihm nicht antworte, ſo wird er
„ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig ſeyn, und ſich

berech-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <p><pb facs="#f0284" n="264"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
&#x201E;meine, manchem Unglu&#x0364;ck vorgebeuget habe,<lb/>
&#x201E;und an keinem Schuld gewe&#x017F;en bin. Denn<lb/>
&#x201E;wer konte von mir fodern, daß ich die Gemu&#x0364;-<lb/>
&#x201E;ther die&#x017F;er Herren regieren und lencken &#x017F;ollte?<lb/>
&#x201E;Uber den einen habe ich zwar in der That einige<lb/>
&#x201E;Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine<lb/>
&#x201E;Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm<lb/>
&#x201E;deshalb verbunden bin. Allein wer kan &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;ru&#x0364;hmen, daß er bey dem andern etwas auszu-<lb/>
&#x201E;richten im Stande &#x017F;ey?</p><lb/>
              <p>&#x201E;Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich<lb/>
&#x201E;meinem Bruder &#x017F;o viele Schuld geben muß, ob-<lb/>
&#x201E;gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer<lb/>
&#x201E;&#x017F;einer Rache und &#x017F;einer weitla&#x0364;ufftigen Ab&#x017F;ichten<lb/>
&#x201E;geworden &#x017F;ind. J&#x017F;t es mir inde&#x017F;&#x017F;en nicht ver-<lb/>
&#x201E;go&#x0364;nnet, mich frey zu beklagen, da ich &#x017F;o vie-<lb/>
&#x201E;les gelitten habe?</p><lb/>
              <p>&#x201E;Da ich Jhnen die&#x017F;e Nachricht &#x017F;o freywillig<lb/>
&#x201E;und mit einem &#x017F;o kindlichen Hertzen und guten<lb/>
&#x201E;Ab&#x017F;ichten ertheile; &#x017F;o unter&#x017F;tehe ich mich zu hof-<lb/>
&#x201E;fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief<lb/>
&#x201E;&#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;ehen. Ehre und Klugheit verbieten<lb/>
&#x201E;mir die&#x017F;es, weil die Schreib-Art gar zu hefftig<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch<lb/>
&#x201E;nicht durch meine <hi rendition="#fr">Hannichen</hi>) erfahren, wie<lb/>
&#x201E;hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt<lb/>
&#x201E;Ur&#x017F;ache zu haben, &#x017F;ich alles die&#x017F;es anzuziehen,<lb/>
&#x201E;nachdem einige meiner Verwandten eben &#x017F;o hef-<lb/>
&#x201E;tige Reden gegen ihn ausge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en haben.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Wenn ich ihm nicht antworte, &#x017F;o wird er<lb/>
&#x201E;&#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t nicht mehr ma&#x0364;chtig &#x017F;eyn, und &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">berech-</fw><lb/></p>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0284] Die Geſchichte „meine, manchem Ungluͤck vorgebeuget habe, „und an keinem Schuld geweſen bin. Denn „wer konte von mir fodern, daß ich die Gemuͤ- „ther dieſer Herren regieren und lencken ſollte? „Uber den einen habe ich zwar in der That einige „Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine „Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm „deshalb verbunden bin. Allein wer kan ſich „ruͤhmen, daß er bey dem andern etwas auszu- „richten im Stande ſey? „Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich „meinem Bruder ſo viele Schuld geben muß, ob- „gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer „ſeiner Rache und ſeiner weitlaͤufftigen Abſichten „geworden ſind. Jſt es mir indeſſen nicht ver- „goͤnnet, mich frey zu beklagen, da ich ſo vie- „les gelitten habe? „Da ich Jhnen dieſe Nachricht ſo freywillig „und mit einem ſo kindlichen Hertzen und guten „Abſichten ertheile; ſo unterſtehe ich mich zu hof- „fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief „ſelbſt zu ſehen. Ehre und Klugheit verbieten „mir dieſes, weil die Schreib-Art gar zu hefftig „iſt. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch „nicht durch meine Hannichen) erfahren, wie „hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt „Urſache zu haben, ſich alles dieſes anzuziehen, „nachdem einige meiner Verwandten eben ſo hef- „tige Reden gegen ihn ausgeſtoſſen haben. „Wenn ich ihm nicht antworte, ſo wird er „ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig ſeyn, und ſich berech-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/284
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/284>, abgerufen am 17.05.2024.