"meine, manchem Unglück vorgebeuget habe, "und an keinem Schuld gewesen bin. Denn "wer konte von mir fodern, daß ich die Gemü- "ther dieser Herren regieren und lencken sollte? "Uber den einen habe ich zwar in der That einige "Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine "Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm "deshalb verbunden bin. Allein wer kan sich "rühmen, daß er bey dem andern etwas auszu- "richten im Stande sey?
"Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich "meinem Bruder so viele Schuld geben muß, ob- "gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer "seiner Rache und seiner weitläufftigen Absichten "geworden sind. Jst es mir indessen nicht ver- "gönnet, mich frey zu beklagen, da ich so vie- "les gelitten habe?
"Da ich Jhnen diese Nachricht so freywillig "und mit einem so kindlichen Hertzen und guten "Absichten ertheile; so unterstehe ich mich zu hof- "fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief "selbst zu sehen. Ehre und Klugheit verbieten "mir dieses, weil die Schreib-Art gar zu hefftig "ist. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch "nicht durch meine Hannichen) erfahren, wie "hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt "Ursache zu haben, sich alles dieses anzuziehen, "nachdem einige meiner Verwandten eben so hef- "tige Reden gegen ihn ausgestossen haben.
"Wenn ich ihm nicht antworte, so wird er "seiner selbst nicht mehr mächtig seyn, und sich
berech-
Die Geſchichte
„meine, manchem Ungluͤck vorgebeuget habe, „und an keinem Schuld geweſen bin. Denn „wer konte von mir fodern, daß ich die Gemuͤ- „ther dieſer Herren regieren und lencken ſollte? „Uber den einen habe ich zwar in der That einige „Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine „Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm „deshalb verbunden bin. Allein wer kan ſich „ruͤhmen, daß er bey dem andern etwas auszu- „richten im Stande ſey?
„Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich „meinem Bruder ſo viele Schuld geben muß, ob- „gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer „ſeiner Rache und ſeiner weitlaͤufftigen Abſichten „geworden ſind. Jſt es mir indeſſen nicht ver- „goͤnnet, mich frey zu beklagen, da ich ſo vie- „les gelitten habe?
„Da ich Jhnen dieſe Nachricht ſo freywillig „und mit einem ſo kindlichen Hertzen und guten „Abſichten ertheile; ſo unterſtehe ich mich zu hof- „fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief „ſelbſt zu ſehen. Ehre und Klugheit verbieten „mir dieſes, weil die Schreib-Art gar zu hefftig „iſt. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch „nicht durch meine Hannichen) erfahren, wie „hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt „Urſache zu haben, ſich alles dieſes anzuziehen, „nachdem einige meiner Verwandten eben ſo hef- „tige Reden gegen ihn ausgeſtoſſen haben.
„Wenn ich ihm nicht antworte, ſo wird er „ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig ſeyn, und ſich
berech-
<TEI><text><body><divn="2"><divn="2"><floatingText><body><p><pbfacs="#f0284"n="264"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>„meine, manchem Ungluͤck vorgebeuget habe,<lb/>„und an keinem Schuld geweſen bin. Denn<lb/>„wer konte von mir fodern, daß ich die Gemuͤ-<lb/>„ther dieſer Herren regieren und lencken ſollte?<lb/>„Uber den einen habe ich zwar in der That einige<lb/>„Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine<lb/>„Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm<lb/>„deshalb verbunden bin. Allein wer kan ſich<lb/>„ruͤhmen, daß er bey dem andern etwas auszu-<lb/>„richten im Stande ſey?</p><lb/><p>„Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich<lb/>„meinem Bruder ſo viele Schuld geben muß, ob-<lb/>„gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer<lb/>„ſeiner Rache und ſeiner weitlaͤufftigen Abſichten<lb/>„geworden ſind. Jſt es mir indeſſen nicht ver-<lb/>„goͤnnet, mich frey zu beklagen, da ich ſo vie-<lb/>„les gelitten habe?</p><lb/><p>„Da ich Jhnen dieſe Nachricht ſo freywillig<lb/>„und mit einem ſo kindlichen Hertzen und guten<lb/>„Abſichten ertheile; ſo unterſtehe ich mich zu hof-<lb/>„fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief<lb/>„ſelbſt zu ſehen. Ehre und Klugheit verbieten<lb/>„mir dieſes, weil die Schreib-Art gar zu hefftig<lb/>„iſt. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch<lb/>„nicht durch meine <hirendition="#fr">Hannichen</hi>) erfahren, wie<lb/>„hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt<lb/>„Urſache zu haben, ſich alles dieſes anzuziehen,<lb/>„nachdem einige meiner Verwandten eben ſo hef-<lb/>„tige Reden gegen ihn ausgeſtoſſen haben.</p><lb/><p>„Wenn ich ihm nicht antworte, ſo wird er<lb/>„ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig ſeyn, und ſich<lb/><fwplace="bottom"type="catch">berech-</fw><lb/></p></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[264/0284]
Die Geſchichte
„meine, manchem Ungluͤck vorgebeuget habe,
„und an keinem Schuld geweſen bin. Denn
„wer konte von mir fodern, daß ich die Gemuͤ-
„ther dieſer Herren regieren und lencken ſollte?
„Uber den einen habe ich zwar in der That einige
„Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine
„Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm
„deshalb verbunden bin. Allein wer kan ſich
„ruͤhmen, daß er bey dem andern etwas auszu-
„richten im Stande ſey?
„Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich
„meinem Bruder ſo viele Schuld geben muß, ob-
„gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer
„ſeiner Rache und ſeiner weitlaͤufftigen Abſichten
„geworden ſind. Jſt es mir indeſſen nicht ver-
„goͤnnet, mich frey zu beklagen, da ich ſo vie-
„les gelitten habe?
„Da ich Jhnen dieſe Nachricht ſo freywillig
„und mit einem ſo kindlichen Hertzen und guten
„Abſichten ertheile; ſo unterſtehe ich mich zu hof-
„fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief
„ſelbſt zu ſehen. Ehre und Klugheit verbieten
„mir dieſes, weil die Schreib-Art gar zu hefftig
„iſt. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch
„nicht durch meine Hannichen) erfahren, wie
„hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt
„Urſache zu haben, ſich alles dieſes anzuziehen,
„nachdem einige meiner Verwandten eben ſo hef-
„tige Reden gegen ihn ausgeſtoſſen haben.
„Wenn ich ihm nicht antworte, ſo wird er
„ſeiner ſelbſt nicht mehr maͤchtig ſeyn, und ſich
berech-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/284>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.