Jst das Mädchen toll! sagte meine Mutter, um meinem reden ein Ende zu machen.
Meine Schwester that, als wenn sie meiner Mutter etwas heimlich in die Ohren sagen wollte, und sprach mit einer spöttischen Miene: "sie spot- "tet ihrer, weil sie ihr nicht erlauben wollten, "wegzugehen."
Jch gab ihr nur einen Blick, und wandte mich wieder zu meiner Mutter: Erlauben sie mir/ das ich meine Bitte wiederholen darf. Jch habe weder Bruder noch Schwester/ wenn ich meiner Mutter Hertz verliere/ so bin ich gantz verlohren.
Herr Solmes setzte sich wieder auf seinen er- sten Platz, und fing an den Kopf seines Spani- schen Rohrs, der fast eben so runtzelicht und un- gestalt aussiehet als sein eigener, zu nagen. Jch hätte nicht gedacht, daß der Mann so empfindlich wäre.
Meine Schwester sahe im Gesicht wie ein ro- thes Tuch aus. Sie ging zu dem Tische, auf welchem der Fechtel lag, und ohngeachtet es nach Herrn Solmes Anmerckung kalt war, wehete sie doch heftig damit, um sich abzukühlen.
Meine Mutter faßte mich voller Ungeduld bey der Hand, und führete mich aus ihrem Saal in den meinigen, der gleich daran stößt, wie Sie wissen. Was denckst du Clärchen? Jst das nicht eine verwegene, eine unerträgliche Auffüh- rung?
der Clariſſa.
Jſt das Maͤdchen toll! ſagte meine Mutter, um meinem reden ein Ende zu machen.
Meine Schweſter that, als wenn ſie meiner Mutter etwas heimlich in die Ohren ſagen wollte, und ſprach mit einer ſpoͤttiſchen Miene: „ſie ſpot- „tet ihrer, weil ſie ihr nicht erlauben wollten, „wegzugehen.„
Jch gab ihr nur einen Blick, und wandte mich wieder zu meiner Mutter: Erlauben ſie mir/ das ich meine Bitte wiederholen darf. Jch habe weder Bruder noch Schweſter/ wenn ich meiner Mutter Hertz verliere/ ſo bin ich gantz verlohren.
Herr Solmes ſetzte ſich wieder auf ſeinen er- ſten Platz, und fing an den Kopf ſeines Spani- ſchen Rohrs, der faſt eben ſo runtzelicht und un- geſtalt ausſiehet als ſein eigener, zu nagen. Jch haͤtte nicht gedacht, daß der Mann ſo empfindlich waͤre.
Meine Schweſter ſahe im Geſicht wie ein ro- thes Tuch aus. Sie ging zu dem Tiſche, auf welchem der Fechtel lag, und ohngeachtet es nach Herrn Solmes Anmerckung kalt war, wehete ſie doch heftig damit, um ſich abzukuͤhlen.
Meine Mutter faßte mich voller Ungeduld bey der Hand, und fuͤhrete mich aus ihrem Saal in den meinigen, der gleich daran ſtoͤßt, wie Sie wiſſen. Was denckſt du Claͤrchen? Jſt das nicht eine verwegene, eine unertraͤgliche Auffuͤh- rung?
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der Clariſſa.
Jſt das Maͤdchen toll! ſagte meine Mutter,
um meinem reden ein Ende zu machen.
Meine Schweſter that, als wenn ſie meiner
Mutter etwas heimlich in die Ohren ſagen wollte,
und ſprach mit einer ſpoͤttiſchen Miene: „ſie ſpot-
„tet ihrer, weil ſie ihr nicht erlauben wollten,
„wegzugehen.„
Jch gab ihr nur einen Blick, und wandte mich
wieder zu meiner Mutter: Erlauben ſie mir/
das ich meine Bitte wiederholen darf. Jch
habe weder Bruder noch Schweſter/ wenn
ich meiner Mutter Hertz verliere/ ſo bin
ich gantz verlohren.
Herr Solmes ſetzte ſich wieder auf ſeinen er-
ſten Platz, und fing an den Kopf ſeines Spani-
ſchen Rohrs, der faſt eben ſo runtzelicht und un-
geſtalt ausſiehet als ſein eigener, zu nagen. Jch
haͤtte nicht gedacht, daß der Mann ſo empfindlich
waͤre.
Meine Schweſter ſahe im Geſicht wie ein ro-
thes Tuch aus. Sie ging zu dem Tiſche, auf
welchem der Fechtel lag, und ohngeachtet es nach
Herrn Solmes Anmerckung kalt war, wehete ſie
doch heftig damit, um ſich abzukuͤhlen.
Meine Mutter faßte mich voller Ungeduld bey
der Hand, und fuͤhrete mich aus ihrem Saal in
den meinigen, der gleich daran ſtoͤßt, wie Sie
wiſſen. Was denckſt du Claͤrchen? Jſt das
nicht eine verwegene, eine unertraͤgliche Auffuͤh-
rung?
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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