Jch bitte sie um Vergebung, antwortete ich, wenn sie es so genommen haben. Allein scheint es nicht, daß Schlingen für mich gelegt sind? Jch kenne meinen Bruder wohl: wenn ich ein gu- tes Wort sage, so wird er es gleich auslegen, als wenn ich zu allem Ja sagte, und es mir gefallen liesse, daß er mich austreiben will. Mein Bru- der und meine Schwester dürfften sich nur halb so viel Mühe geben.
Meine Mutter wollte mit Unwillen von mir gehen. Jch bat sie aber, noch zu warten: "nur "eine einzige Gütigkeit, meine liebste Mutter ha- "be ich mir noch von ihnen ausbitten.
Was will das Mädchen?
Jch sehe, wie jedermann zu Wercke gehet. "Jch kann nie darauf dencken, Herrn Solmes "zu nehmen: und ich sehe zum Voraus, wie "unruhig mein Vater werden wird, wenn er "diese Nachricht bekommt. Daraus, daß sie "bisher geneigt gewesen sind, meine Bitten an- "zuhören, werden die übrigen schliessen, daß sie "gegen ihr armes Kind, das von allen verban- "net zu seyn scheint, noch ein mütterliches Hertz "haben. Es werden daher die andern suchen, "mich einzusperren, und der Gegenwart aller "derer gäntzlich zu berauben, die mich bisher "geliebet haben." (Man drohet in der That, dieses zu thun.) "Wenn es so weit kommt, wenn "mir die Gelegenheit benommen wird, meine "Sache vorzustellen, und mich insonderheit an "sie und an meinen Onkle Harlowe zu wenden;
so
Die Geſchichte
Jch bitte ſie um Vergebung, antwortete ich, wenn ſie es ſo genommen haben. Allein ſcheint es nicht, daß Schlingen fuͤr mich gelegt ſind? Jch kenne meinen Bruder wohl: wenn ich ein gu- tes Wort ſage, ſo wird er es gleich auslegen, als wenn ich zu allem Ja ſagte, und es mir gefallen lieſſe, daß er mich austreiben will. Mein Bru- der und meine Schweſter duͤrfften ſich nur halb ſo viel Muͤhe geben.
Meine Mutter wollte mit Unwillen von mir gehen. Jch bat ſie aber, noch zu warten: „nur „eine einzige Guͤtigkeit, meine liebſte Mutter ha- „be ich mir noch von ihnen ausbitten.
Was will das Maͤdchen?
Jch ſehe, wie jedermann zu Wercke gehet. „Jch kann nie darauf dencken, Herrn Solmes „zu nehmen: und ich ſehe zum Voraus, wie „unruhig mein Vater werden wird, wenn er „dieſe Nachricht bekommt. Daraus, daß ſie „bisher geneigt geweſen ſind, meine Bitten an- „zuhoͤren, werden die uͤbrigen ſchlieſſen, daß ſie „gegen ihr armes Kind, das von allen verban- „net zu ſeyn ſcheint, noch ein muͤtterliches Hertz „haben. Es werden daher die andern ſuchen, „mich einzuſperren, und der Gegenwart aller „derer gaͤntzlich zu berauben, die mich bisher „geliebet haben.„ (Man drohet in der That, dieſes zu thun.) „Wenn es ſo weit kommt, wenn „mir die Gelegenheit benommen wird, meine „Sache vorzuſtellen, und mich inſonderheit an „ſie und an meinen Onkle Harlowe zu wenden;
ſo
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Die Geſchichte
Jch bitte ſie um Vergebung, antwortete ich,
wenn ſie es ſo genommen haben. Allein ſcheint
es nicht, daß Schlingen fuͤr mich gelegt ſind?
Jch kenne meinen Bruder wohl: wenn ich ein gu-
tes Wort ſage, ſo wird er es gleich auslegen, als
wenn ich zu allem Ja ſagte, und es mir gefallen
lieſſe, daß er mich austreiben will. Mein Bru-
der und meine Schweſter duͤrfften ſich nur halb ſo
viel Muͤhe geben.
Meine Mutter wollte mit Unwillen von mir
gehen. Jch bat ſie aber, noch zu warten: „nur
„eine einzige Guͤtigkeit, meine liebſte Mutter ha-
„be ich mir noch von ihnen ausbitten.
Was will das Maͤdchen?
Jch ſehe, wie jedermann zu Wercke gehet.
„Jch kann nie darauf dencken, Herrn Solmes
„zu nehmen: und ich ſehe zum Voraus, wie
„unruhig mein Vater werden wird, wenn er
„dieſe Nachricht bekommt. Daraus, daß ſie
„bisher geneigt geweſen ſind, meine Bitten an-
„zuhoͤren, werden die uͤbrigen ſchlieſſen, daß ſie
„gegen ihr armes Kind, das von allen verban-
„net zu ſeyn ſcheint, noch ein muͤtterliches Hertz
„haben. Es werden daher die andern ſuchen,
„mich einzuſperren, und der Gegenwart aller
„derer gaͤntzlich zu berauben, die mich bisher
„geliebet haben.„ (Man drohet in der That,
dieſes zu thun.) „Wenn es ſo weit kommt, wenn
„mir die Gelegenheit benommen wird, meine
„Sache vorzuſtellen, und mich inſonderheit an
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/260>, abgerufen am 22.11.2024.
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