Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

"Nun sehe ich, Clärchen/ auf wen du ein
"Auge wirfst. Herr Solmes ist nur in Ver-
"gleichung gegen einen andern unangenehm, weil
"er nicht so viel angenehmes hat als ein anderer,
"der dir besser in die Augen fällt."

Aber, erwiederte ich, "sind nicht seine Sit-
"ten eben so unangenehm? Jst nicht seine äussere
"Gestalt eine wahre Abbildung seines Gemüths?
"Jch frage nach dem andern Mann gar nichts,
"und will nichts nach ihm fragen. Erlösen sie
"mich nur von diesem, vor dem mein Hertz einen
"naturlichen Abscheu hat."

"Unterstehe dich nur, deinem Vater solche
"Bedingungen vorzuschreiben! Glaubst du,
"daß es ihm wird erträglich seyn, sich mit dir
"in einen solchen Wortwechsel einzulassen? Habe
"ich dich nicht beschworen, gehorsam zu seyn,
"so lieb es dir ist, daß ich noch eine ruhige Stunde
"habe? Was habe ich in der Welt, daß ich
"nicht aufopfere? Selbst die Arbeit die ich jetzt
"übernehme, weil ich besorgte du möchtest dich
"nicht so leicht bewegen lassen, ist mir wahrhaftig
"eine schwere Arbeit. Wilst du denn gar nichts
"aufopfern? Hast du nicht alle Partheyen aus-
"geschlagen, die dir angetragen sind? Wenn wir
"keinen Argwohn haben sollen, daß du dabey ei-
"ne geheime Absicht gehabt hast, so bequeme dich
"jetzt. Denn gehorchen must du, oder du wirst
"dafür angesehen werden, als wolltest du der
"gantzen Famile trotzen."

Als sie dis gesagt hatte, stand sie auf, und

ging
Die Geſchichte

„Nun ſehe ich, Claͤrchen/ auf wen du ein
„Auge wirfſt. Herr Solmes iſt nur in Ver-
„gleichung gegen einen andern unangenehm, weil
„er nicht ſo viel angenehmes hat als ein anderer,
„der dir beſſer in die Augen faͤllt.„

Aber, erwiederte ich, „ſind nicht ſeine Sit-
„ten eben ſo unangenehm? Jſt nicht ſeine aͤuſſere
„Geſtalt eine wahre Abbildung ſeines Gemuͤths?
„Jch frage nach dem andern Mann gar nichts,
„und will nichts nach ihm fragen. Erloͤſen ſie
„mich nur von dieſem, vor dem mein Hertz einen
„naturlichen Abſcheu hat.„

„Unterſtehe dich nur, deinem Vater ſolche
„Bedingungen vorzuſchreiben! Glaubſt du,
„daß es ihm wird ertraͤglich ſeyn, ſich mit dir
„in einen ſolchen Wortwechſel einzulaſſen? Habe
„ich dich nicht beſchworen, gehorſam zu ſeyn,
„ſo lieb es dir iſt, daß ich noch eine ruhige Stunde
„habe? Was habe ich in der Welt, daß ich
„nicht aufopfere? Selbſt die Arbeit die ich jetzt
„uͤbernehme, weil ich beſorgte du moͤchteſt dich
„nicht ſo leicht bewegen laſſen, iſt mir wahrhaftig
„eine ſchwere Arbeit. Wilſt du denn gar nichts
„aufopfern? Haſt du nicht alle Partheyen aus-
„geſchlagen, die dir angetragen ſind? Wenn wir
„keinen Argwohn haben ſollen, daß du dabey ei-
„ne geheime Abſicht gehabt haſt, ſo bequeme dich
„jetzt. Denn gehorchen muſt du, oder du wirſt
„dafuͤr angeſehen werden, als wollteſt du der
„gantzen Famile trotzen.„

Als ſie dis geſagt hatte, ſtand ſie auf, und

ging
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0186" n="166"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>&#x201E;Nun &#x017F;ehe ich, <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen/</hi> auf wen du ein<lb/>
&#x201E;Auge wirf&#x017F;t. Herr <hi rendition="#fr">Solmes</hi> i&#x017F;t nur in Ver-<lb/>
&#x201E;gleichung gegen einen andern unangenehm, weil<lb/>
&#x201E;er nicht &#x017F;o viel angenehmes hat als ein anderer,<lb/>
&#x201E;der dir be&#x017F;&#x017F;er in die Augen fa&#x0364;llt.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Aber, erwiederte ich, &#x201E;&#x017F;ind nicht &#x017F;eine Sit-<lb/>
&#x201E;ten eben &#x017F;o unangenehm? J&#x017F;t nicht &#x017F;eine a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;talt eine wahre Abbildung &#x017F;eines Gemu&#x0364;ths?<lb/>
&#x201E;Jch frage nach dem andern Mann gar nichts,<lb/>
&#x201E;und will nichts nach ihm fragen. Erlo&#x0364;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;mich nur von die&#x017F;em, vor dem mein Hertz einen<lb/>
&#x201E;naturlichen Ab&#x017F;cheu hat.&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Unter&#x017F;tehe dich nur, deinem Vater &#x017F;olche<lb/>
&#x201E;Bedingungen vorzu&#x017F;chreiben! Glaub&#x017F;t du,<lb/>
&#x201E;daß es ihm wird ertra&#x0364;glich &#x017F;eyn, &#x017F;ich mit dir<lb/>
&#x201E;in einen &#x017F;olchen Wortwech&#x017F;el einzula&#x017F;&#x017F;en? Habe<lb/>
&#x201E;ich dich nicht be&#x017F;chworen, gehor&#x017F;am zu &#x017F;eyn,<lb/>
&#x201E;&#x017F;o lieb es dir i&#x017F;t, daß ich noch eine ruhige Stunde<lb/>
&#x201E;habe? Was habe ich in der Welt, daß ich<lb/>
&#x201E;nicht aufopfere? Selb&#x017F;t die Arbeit die ich jetzt<lb/>
&#x201E;u&#x0364;bernehme, weil ich be&#x017F;orgte du mo&#x0364;chte&#x017F;t dich<lb/>
&#x201E;nicht &#x017F;o leicht bewegen la&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t mir wahrhaftig<lb/>
&#x201E;eine &#x017F;chwere Arbeit. Wil&#x017F;t du denn gar nichts<lb/>
&#x201E;aufopfern? Ha&#x017F;t du nicht alle Partheyen aus-<lb/>
&#x201E;ge&#x017F;chlagen, die dir angetragen &#x017F;ind? Wenn wir<lb/>
&#x201E;keinen Argwohn haben &#x017F;ollen, daß du dabey ei-<lb/>
&#x201E;ne geheime Ab&#x017F;icht gehabt ha&#x017F;t, &#x017F;o bequeme dich<lb/>
&#x201E;jetzt. Denn gehorchen mu&#x017F;t du, oder du wir&#x017F;t<lb/>
&#x201E;dafu&#x0364;r ange&#x017F;ehen werden, als wollte&#x017F;t du der<lb/>
&#x201E;gantzen Famile trotzen.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Als &#x017F;ie dis ge&#x017F;agt hatte, &#x017F;tand &#x017F;ie auf, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ging</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0186] Die Geſchichte „Nun ſehe ich, Claͤrchen/ auf wen du ein „Auge wirfſt. Herr Solmes iſt nur in Ver- „gleichung gegen einen andern unangenehm, weil „er nicht ſo viel angenehmes hat als ein anderer, „der dir beſſer in die Augen faͤllt.„ Aber, erwiederte ich, „ſind nicht ſeine Sit- „ten eben ſo unangenehm? Jſt nicht ſeine aͤuſſere „Geſtalt eine wahre Abbildung ſeines Gemuͤths? „Jch frage nach dem andern Mann gar nichts, „und will nichts nach ihm fragen. Erloͤſen ſie „mich nur von dieſem, vor dem mein Hertz einen „naturlichen Abſcheu hat.„ „Unterſtehe dich nur, deinem Vater ſolche „Bedingungen vorzuſchreiben! Glaubſt du, „daß es ihm wird ertraͤglich ſeyn, ſich mit dir „in einen ſolchen Wortwechſel einzulaſſen? Habe „ich dich nicht beſchworen, gehorſam zu ſeyn, „ſo lieb es dir iſt, daß ich noch eine ruhige Stunde „habe? Was habe ich in der Welt, daß ich „nicht aufopfere? Selbſt die Arbeit die ich jetzt „uͤbernehme, weil ich beſorgte du moͤchteſt dich „nicht ſo leicht bewegen laſſen, iſt mir wahrhaftig „eine ſchwere Arbeit. Wilſt du denn gar nichts „aufopfern? Haſt du nicht alle Partheyen aus- „geſchlagen, die dir angetragen ſind? Wenn wir „keinen Argwohn haben ſollen, daß du dabey ei- „ne geheime Abſicht gehabt haſt, ſo bequeme dich „jetzt. Denn gehorchen muſt du, oder du wirſt „dafuͤr angeſehen werden, als wollteſt du der „gantzen Famile trotzen.„ Als ſie dis geſagt hatte, ſtand ſie auf, und ging

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/186
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/186>, abgerufen am 02.05.2024.