[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.der Clarissa. ging weg. Allein in der Thür blieb sie noch stehen,und kehrte sich mit den Worten um: ich will drun- ten nicht erzehlen, in was für einer Gemüths-Fas- sung ich dich verlassen habe. Ueberlege alles wohl. Die Sache ist einmal beschlossen. Wenn du dei- nes Vaters und deiner Mutter Segen und das Vergnügen der gantzen Familie hochschätzest, so gib nach. ich lasse dich auf einige Augenblick al- lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich dich so finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn dein Hertz frey von Liebe ist, so laß es durch Gehor- sam regiert werden. Nach einer halben Stunde kam meine Mutter "Sagen sie das nicht, wertheste Mutter!" Sie fuhrt fort: "wenn ich selbst die Gelegen- Was meynen Sie, liebste Fräulein Howe/ Gemüth L 4
der Clariſſa. ging weg. Allein in der Thuͤr blieb ſie noch ſtehen,und kehrte ſich mit den Worten um: ich will drun- ten nicht erzehlen, in was fuͤr einer Gemuͤths-Faſ- ſung ich dich verlaſſen habe. Ueberlege alles wohl. Die Sache iſt einmal beſchloſſen. Wenn du dei- nes Vaters und deiner Mutter Segen und das Vergnuͤgen der gantzen Familie hochſchaͤtzeſt, ſo gib nach. ich laſſe dich auf einige Augenblick al- lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich dich ſo finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn dein Hertz frey von Liebe iſt, ſo laß es durch Gehor- ſam regiert werden. Nach einer halben Stunde kam meine Mutter „Sagen ſie das nicht, wertheſte Mutter!„ Sie fuhrt fort: „wenn ich ſelbſt die Gelegen- Was meynen Sie, liebſte Fraͤulein Howe/ Gemuͤth L 4
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der Clariſſa.
ging weg. Allein in der Thuͤr blieb ſie noch ſtehen,
und kehrte ſich mit den Worten um: ich will drun-
ten nicht erzehlen, in was fuͤr einer Gemuͤths-Faſ-
ſung ich dich verlaſſen habe. Ueberlege alles wohl.
Die Sache iſt einmal beſchloſſen. Wenn du dei-
nes Vaters und deiner Mutter Segen und das
Vergnuͤgen der gantzen Familie hochſchaͤtzeſt, ſo
gib nach. ich laſſe dich auf einige Augenblick al-
lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich
dich ſo finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn
dein Hertz frey von Liebe iſt, ſo laß es durch Gehor-
ſam regiert werden.
Nach einer halben Stunde kam meine Mutter
wieder. Sie faßte mich an die Hand, und ſagte:
„iſt es mir beſcheert, daß ich mich immer ſelbſt
„wegen meiner Fehler beſtrafen muß? Jch fuͤrch-
„te, daß ich mir durch die Art, mit der ich mei-
„nen Vortrag anbrachte, ſelbſt deine abſchlaͤgige
„Antwort zugezogen habe. Jch fing ſo an mit
„dir zu reden, als wenn ich eine abſchlaͤgige Ant-
„wort befuͤrchtete, und durch dieſe Gelindigkeit
„habe ich dich dreiſte gemacht, ſie mir zu geben.
„Sagen ſie das nicht, wertheſte Mutter!„
Sie fuhrt fort: „wenn ich ſelbſt die Gelegen-
„heit zu unſerm Streit gegeben haͤtte; ja wenn
„es nur in meiner Macht ſtuͤnde, nachzugeben:
„ſo weiſt du wohl, wie viel du bey mir ausrich-
„ten kanſt. ‒ ‒„
Was meynen Sie, liebſte Fraͤulein Howe/
kan man Luſt zum heyrathen bekommen, wenn
man gewahr wird, daß ein ſo artiges und edles
Gemuͤth
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