Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
befand ich mich in den Händen meiner Hanni-
chen
und des Cammermädchens meiner Schwe-
ster, die mir die Hände offen hielten. Sie hatten
mir die Näthe an den Kleidern aufgeschnitten, und
meine Mutter war weggegangen. Wäre meine
Mutter vorhin nicht so gütig gegen mich gewesen,
und hätte sie den verhaßten Namen gar nicht, oder
nach einiger vorhergegangenen Vorbereitung ge-
nannt, so würde ich den schrecklichen Ton ohne
eine so merckliche Gemüths-Bewegung haben an-
hören können. Aber was für ein hartes Wort
einer Mutter, gegen die ich so viel kindliche Liebe
und Ehrfurcht hege, war es nicht, daß sie mir
bey Verlust ihres Segens befohl, daß ich mich
darein ergeben sollte, Herrn Solmes zu neh-
men?

Schorey brachte mir darauf in meiner Mut-
ter Namen auf eine recht förmliche Art dieses Com-
pliment: die gnädige Frau ist wegen ihrer
Unpäßlichkeit sehr bekümmert. Sie wünscht
sie nach einer Stunde wieder bey sich zu se-
hen/ und hat mir noch aufgetragen ihnen
zu sagen: daß sie alsdenn alles von ihrem
Gehorsam erwartet.
Jch ließ nichts wieder
bestellen. Denn was konte ich sagen? Hanni-
chen
muste mich in meine eigene Stube führen.
Sie werden leicht dencken, wie ich hier den grösse-
sten Theil meiner Zeit zugebracht habe.

Jndessen kam meine Mutter zu mir herauf.
Sie sagte: ich will lieber in diese Stube kommen.
Erschrick dich nur nicht, mein Kind: zittere

nicht
Erster Theil. L

der Clariſſa.
befand ich mich in den Haͤnden meiner Hanni-
chen
und des Cammermaͤdchens meiner Schwe-
ſter, die mir die Haͤnde offen hielten. Sie hatten
mir die Naͤthe an den Kleidern aufgeſchnitten, und
meine Mutter war weggegangen. Waͤre meine
Mutter vorhin nicht ſo guͤtig gegen mich geweſen,
und haͤtte ſie den verhaßten Namen gar nicht, oder
nach einiger vorhergegangenen Vorbereitung ge-
nannt, ſo wuͤrde ich den ſchrecklichen Ton ohne
eine ſo merckliche Gemuͤths-Bewegung haben an-
hoͤren koͤnnen. Aber was fuͤr ein hartes Wort
einer Mutter, gegen die ich ſo viel kindliche Liebe
und Ehrfurcht hege, war es nicht, daß ſie mir
bey Verluſt ihres Segens befohl, daß ich mich
darein ergeben ſollte, Herrn Solmes zu neh-
men?

Schorey brachte mir darauf in meiner Mut-
ter Namen auf eine recht foͤrmliche Art dieſes Com-
pliment: die gnaͤdige Frau iſt wegen ihrer
Unpaͤßlichkeit ſehr bekuͤm̃ert. Sie wuͤnſcht
ſie nach einer Stunde wieder bey ſich zu ſe-
hen/ und hat mir noch aufgetragen ihnen
zu ſagen: daß ſie alsdenn alles von ihrem
Gehorſam erwartet.
Jch ließ nichts wieder
beſtellen. Denn was konte ich ſagen? Hanni-
chen
muſte mich in meine eigene Stube fuͤhren.
Sie werden leicht dencken, wie ich hier den groͤſſe-
ſten Theil meiner Zeit zugebracht habe.

Jndeſſen kam meine Mutter zu mir herauf.
Sie ſagte: ich will lieber in dieſe Stube kommen.
Erſchrick dich nur nicht, mein Kind: zittere

nicht
Erſter Theil. L
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0181" n="161"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
befand ich mich in den Ha&#x0364;nden meiner <hi rendition="#fr">Hanni-<lb/>
chen</hi> und des Cammerma&#x0364;dchens meiner Schwe-<lb/>
&#x017F;ter, die mir die Ha&#x0364;nde offen hielten. Sie hatten<lb/>
mir die Na&#x0364;the an den Kleidern aufge&#x017F;chnitten, und<lb/>
meine Mutter war weggegangen. Wa&#x0364;re meine<lb/>
Mutter vorhin nicht &#x017F;o gu&#x0364;tig gegen mich gewe&#x017F;en,<lb/>
und ha&#x0364;tte &#x017F;ie den verhaßten Namen gar nicht, oder<lb/>
nach einiger vorhergegangenen Vorbereitung ge-<lb/>
nannt, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich den &#x017F;chrecklichen Ton ohne<lb/>
eine &#x017F;o merckliche Gemu&#x0364;ths-Bewegung haben an-<lb/>
ho&#x0364;ren ko&#x0364;nnen. Aber was fu&#x0364;r ein hartes Wort<lb/>
einer Mutter, gegen die ich &#x017F;o viel kindliche Liebe<lb/>
und Ehrfurcht hege, war es nicht, daß &#x017F;ie mir<lb/>
bey Verlu&#x017F;t ihres Segens befohl, daß ich mich<lb/>
darein ergeben &#x017F;ollte, Herrn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> zu neh-<lb/>
men?</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Schorey</hi> brachte mir darauf in meiner Mut-<lb/>
ter Namen auf eine recht fo&#x0364;rmliche Art die&#x017F;es Com-<lb/>
pliment: <hi rendition="#fr">die gna&#x0364;dige Frau i&#x017F;t wegen ihrer<lb/>
Unpa&#x0364;ßlichkeit &#x017F;ehr beku&#x0364;m&#x0303;ert. Sie wu&#x0364;n&#x017F;cht<lb/>
&#x017F;ie nach einer Stunde wieder bey &#x017F;ich zu &#x017F;e-<lb/>
hen/ und hat mir noch aufgetragen ihnen<lb/>
zu &#x017F;agen: daß &#x017F;ie alsdenn alles von ihrem<lb/>
Gehor&#x017F;am erwartet.</hi> Jch ließ nichts wieder<lb/>
be&#x017F;tellen. Denn was konte ich &#x017F;agen? <hi rendition="#fr">Hanni-<lb/>
chen</hi> mu&#x017F;te mich in meine eigene Stube fu&#x0364;hren.<lb/>
Sie werden leicht dencken, wie ich hier den gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
&#x017F;ten Theil meiner Zeit zugebracht habe.</p><lb/>
        <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en kam meine Mutter zu <hi rendition="#fr">mir</hi> herauf.<lb/>
Sie &#x017F;agte: ich will lieber in <hi rendition="#fr">die&#x017F;e</hi> Stube kommen.<lb/>
Er&#x017F;chrick dich nur nicht, mein Kind: zittere<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> L</fw><fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0181] der Clariſſa. befand ich mich in den Haͤnden meiner Hanni- chen und des Cammermaͤdchens meiner Schwe- ſter, die mir die Haͤnde offen hielten. Sie hatten mir die Naͤthe an den Kleidern aufgeſchnitten, und meine Mutter war weggegangen. Waͤre meine Mutter vorhin nicht ſo guͤtig gegen mich geweſen, und haͤtte ſie den verhaßten Namen gar nicht, oder nach einiger vorhergegangenen Vorbereitung ge- nannt, ſo wuͤrde ich den ſchrecklichen Ton ohne eine ſo merckliche Gemuͤths-Bewegung haben an- hoͤren koͤnnen. Aber was fuͤr ein hartes Wort einer Mutter, gegen die ich ſo viel kindliche Liebe und Ehrfurcht hege, war es nicht, daß ſie mir bey Verluſt ihres Segens befohl, daß ich mich darein ergeben ſollte, Herrn Solmes zu neh- men? Schorey brachte mir darauf in meiner Mut- ter Namen auf eine recht foͤrmliche Art dieſes Com- pliment: die gnaͤdige Frau iſt wegen ihrer Unpaͤßlichkeit ſehr bekuͤm̃ert. Sie wuͤnſcht ſie nach einer Stunde wieder bey ſich zu ſe- hen/ und hat mir noch aufgetragen ihnen zu ſagen: daß ſie alsdenn alles von ihrem Gehorſam erwartet. Jch ließ nichts wieder beſtellen. Denn was konte ich ſagen? Hanni- chen muſte mich in meine eigene Stube fuͤhren. Sie werden leicht dencken, wie ich hier den groͤſſe- ſten Theil meiner Zeit zugebracht habe. Jndeſſen kam meine Mutter zu mir herauf. Sie ſagte: ich will lieber in dieſe Stube kommen. Erſchrick dich nur nicht, mein Kind: zittere nicht Erſter Theil. L

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/181
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/181>, abgerufen am 02.05.2024.