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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
ich dich/ laß nicht alle meine mütterliche
Zärtlichkeit an dir verschwendet seyn.
Sie
ging hierauf in die Stube, und wischte sich die
Augen ab, da meine von Thränen überflossen, und
und mein Hertz alles verstand und fühlte, was
sie mir hatte sagen wollen.

Sie kam bald wieder, nachdem sie sich här-
ter gemacht hatte, und fand mich noch auf mei-
nen Knieen. Das Gesicht hatte ich auf den
Stuhl gelegt, auf dem sie gesessen hatte.

Siehe mich doch an/ sprach sie, meine
Clärchen
Harlowe. Jch hoffe/ du wirst
nicht mürrisch und eigensinnig leyn.

"Nein!" sagte ich: "gewiß nicht." Jch stand
auf: und fiel abermals vor ihr auf die Knie. Sie
richtete mich auf: Kein knien gegen mich!
als nur durch Gehorsam und Nachgeben.
Dein
Hertz/ und nicht deine Knie müssen
sich beugen. Die Sache ist einmal ausge-
macht. Schicke dich/ deinem Vater so zu
begegnen/ wenn er zu dir kommen wird/
als er es wünscht. Auf dieser eintzigen
Viertel-Stunde beruht meine künfftige
Ruhe und Glückseligkeit/ das Vergnügen
unserer Familie/ und deine eigene Sicher-
heit. Denn du weißt/ wie hefftig dein Va-
ter ist. Jch sage dir endlich/ daß du/ so
lieb dir mein Segen ist/ dich darein erge-
ben sollst/
Herrn Solmes zu nehmen.

Nun ging mir der Stich an das Hertz. Jch
fiel nieder: und da ich wieder zu mir selbst kam,

be-

Die Geſchichte
ich dich/ laß nicht alle meine muͤtterliche
Zaͤrtlichkeit an dir verſchwendet ſeyn.
Sie
ging hierauf in die Stube, und wiſchte ſich die
Augen ab, da meine von Thraͤnen uͤberfloſſen, und
und mein Hertz alles verſtand und fuͤhlte, was
ſie mir hatte ſagen wollen.

Sie kam bald wieder, nachdem ſie ſich haͤr-
ter gemacht hatte, und fand mich noch auf mei-
nen Knieen. Das Geſicht hatte ich auf den
Stuhl gelegt, auf dem ſie geſeſſen hatte.

Siehe mich doch an/ ſprach ſie, meine
Claͤrchen
Harlowe. Jch hoffe/ du wirſt
nicht muͤrriſch und eigenſinnig leyn.

„Nein!„ ſagte ich: „gewiß nicht.„ Jch ſtand
auf: und fiel abermals vor ihr auf die Knie. Sie
richtete mich auf: Kein knien gegen mich!
als nur durch Gehorſam und Nachgeben.
Dein
Hertz/ und nicht deine Knie muͤſſen
ſich beugen. Die Sache iſt einmal ausge-
macht. Schicke dich/ deinem Vater ſo zu
begegnen/ wenn er zu dir kommen wird/
als er es wuͤnſcht. Auf dieſer eintzigen
Viertel-Stunde beruht meine kuͤnfftige
Ruhe und Gluͤckſeligkeit/ das Vergnuͤgen
unſerer Familie/ und deine eigene Sicher-
heit. Denn du weißt/ wie hefftig dein Va-
ter iſt. Jch ſage dir endlich/ daß du/ ſo
lieb dir mein Segen iſt/ dich darein erge-
ben ſollſt/
Herrn Solmes zu nehmen.

Nun ging mir der Stich an das Hertz. Jch
fiel nieder: und da ich wieder zu mir ſelbſt kam,

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[160/0180] Die Geſchichte ich dich/ laß nicht alle meine muͤtterliche Zaͤrtlichkeit an dir verſchwendet ſeyn. Sie ging hierauf in die Stube, und wiſchte ſich die Augen ab, da meine von Thraͤnen uͤberfloſſen, und und mein Hertz alles verſtand und fuͤhlte, was ſie mir hatte ſagen wollen. Sie kam bald wieder, nachdem ſie ſich haͤr- ter gemacht hatte, und fand mich noch auf mei- nen Knieen. Das Geſicht hatte ich auf den Stuhl gelegt, auf dem ſie geſeſſen hatte. Siehe mich doch an/ ſprach ſie, meine Claͤrchen Harlowe. Jch hoffe/ du wirſt nicht muͤrriſch und eigenſinnig leyn. „Nein!„ ſagte ich: „gewiß nicht.„ Jch ſtand auf: und fiel abermals vor ihr auf die Knie. Sie richtete mich auf: Kein knien gegen mich! als nur durch Gehorſam und Nachgeben. Dein Hertz/ und nicht deine Knie muͤſſen ſich beugen. Die Sache iſt einmal ausge- macht. Schicke dich/ deinem Vater ſo zu begegnen/ wenn er zu dir kommen wird/ als er es wuͤnſcht. Auf dieſer eintzigen Viertel-Stunde beruht meine kuͤnfftige Ruhe und Gluͤckſeligkeit/ das Vergnuͤgen unſerer Familie/ und deine eigene Sicher- heit. Denn du weißt/ wie hefftig dein Va- ter iſt. Jch ſage dir endlich/ daß du/ ſo lieb dir mein Segen iſt/ dich darein erge- ben ſollſt/ Herrn Solmes zu nehmen. Nun ging mir der Stich an das Hertz. Jch fiel nieder: und da ich wieder zu mir ſelbſt kam, be-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/180>, abgerufen am 02.05.2024.