Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Jndeß vergaß Christine nicht an ihren Vater zu
schreiben; und der Jnhalt des Briefs war folgender:

Mein Herr und vielgeliebter Vater,

Die größte Marter bey dem mir zugestoßnen
Unglück ist der Schmerz, den sie darüber em-
pfinden. Dies ist das einzige was mich mehr
niederschlägt, mehr untröstlich macht, als alles
übrige, was mir seit der Entführung von dem
Großvogel, den sie einst Abends bemerkten, be-
gegnet ist; Es ist der nämliche, welcher zu-
vor die beyden Frauenzimmer die man für er-
trunken hielt, auch Denevers Käthe, und den
Schirrmeister ihres Vaters nebst einigen andern
Personen, von denen wir haben sprechen hören,
weggeführt hat; ich habe sie, vielgeliebter Va-
ter, alle hier angetroffen: Der Großvogel hat
ihnen kein Leids gethan. Wer weiß was er ih-
rer Tochter zugedacht hatte, für die er alle diese Per-
sonen bestimmt zu haben scheint, wenn nicht
durch ein Glück, wofür ich den Himmel nicht
genug danken kann, der Schutz des jungen Vic-
torins mich gegen ihn beschützt hätte. Dieser
fürtrefliche junge Mann, dem wir zweifels ohne
die Erhaltung meiner Tage schuldig sind, hatte
diesen Großvogel seit der ersten wenig geachteten
Erzählung, mit der man sich von ihm trug, aus-

ge-


Jndeß vergaß Chriſtine nicht an ihren Vater zu
ſchreiben; und der Jnhalt des Briefs war folgender:

Mein Herr und vielgeliebter Vater,

Die groͤßte Marter bey dem mir zugeſtoßnen
Ungluͤck iſt der Schmerz, den ſie daruͤber em-
pfinden. Dies iſt das einzige was mich mehr
niederſchlaͤgt, mehr untroͤſtlich macht, als alles
uͤbrige, was mir ſeit der Entfuͤhrung von dem
Großvogel, den ſie einſt Abends bemerkten, be-
gegnet iſt; Es iſt der naͤmliche, welcher zu-
vor die beyden Frauenzimmer die man fuͤr er-
trunken hielt, auch Denevers Kaͤthe, und den
Schirrmeiſter ihres Vaters nebſt einigen andern
Perſonen, von denen wir haben ſprechen hoͤren,
weggefuͤhrt hat; ich habe ſie, vielgeliebter Va-
ter, alle hier angetroffen: Der Großvogel hat
ihnen kein Leids gethan. Wer weiß was er ih-
rer Tochter zugedacht hatte, fuͤr die er alle dieſe Per-
ſonen beſtimmt zu haben ſcheint, wenn nicht
durch ein Gluͤck, wofuͤr ich den Himmel nicht
genug danken kann, der Schutz des jungen Vic-
torins mich gegen ihn beſchuͤtzt haͤtte. Dieſer
fuͤrtrefliche junge Mann, dem wir zweifels ohne
die Erhaltung meiner Tage ſchuldig ſind, hatte
dieſen Großvogel ſeit der erſten wenig geachteten
Erzaͤhlung, mit der man ſich von ihm trug, aus-

ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0078" n="70"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Jndeß vergaß Chri&#x017F;tine nicht an ihren Vater zu<lb/>
&#x017F;chreiben; und der Jnhalt des Briefs war folgender:</p><lb/>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <opener>
                <salute>Mein Herr und vielgeliebter Vater,</salute>
              </opener><lb/>
              <p><hi rendition="#in">D</hi>ie gro&#x0364;ßte Marter bey dem mir zuge&#x017F;toßnen<lb/>
Unglu&#x0364;ck i&#x017F;t der Schmerz, den &#x017F;ie daru&#x0364;ber em-<lb/>
pfinden. Dies i&#x017F;t das einzige was mich mehr<lb/>
nieder&#x017F;chla&#x0364;gt, mehr untro&#x0364;&#x017F;tlich macht, als alles<lb/>
u&#x0364;brige, was mir &#x017F;eit der Entfu&#x0364;hrung von dem<lb/>
Großvogel, den &#x017F;ie ein&#x017F;t Abends bemerkten, be-<lb/>
gegnet i&#x017F;t; Es i&#x017F;t der na&#x0364;mliche, welcher zu-<lb/>
vor die beyden Frauenzimmer die man fu&#x0364;r er-<lb/>
trunken hielt, auch Denevers Ka&#x0364;the, und den<lb/>
Schirrmei&#x017F;ter ihres Vaters neb&#x017F;t einigen andern<lb/>
Per&#x017F;onen, von denen wir haben &#x017F;prechen ho&#x0364;ren,<lb/>
weggefu&#x0364;hrt hat; ich habe &#x017F;ie, vielgeliebter Va-<lb/>
ter, alle hier angetroffen: Der Großvogel hat<lb/>
ihnen kein Leids gethan. Wer weiß was er ih-<lb/>
rer Tochter zugedacht hatte, fu&#x0364;r die er alle die&#x017F;e Per-<lb/>
&#x017F;onen be&#x017F;timmt zu haben &#x017F;cheint, wenn nicht<lb/>
durch ein Glu&#x0364;ck, wofu&#x0364;r ich den Himmel nicht<lb/>
genug danken kann, der Schutz des jungen Vic-<lb/>
torins mich gegen ihn be&#x017F;chu&#x0364;tzt ha&#x0364;tte. Die&#x017F;er<lb/>
fu&#x0364;rtrefliche junge Mann, dem wir zweifels ohne<lb/>
die Erhaltung meiner Tage &#x017F;chuldig &#x017F;ind, hatte<lb/>
die&#x017F;en Großvogel &#x017F;eit der er&#x017F;ten wenig geachteten<lb/>
Erza&#x0364;hlung, mit der man &#x017F;ich von ihm trug, aus-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0078] Jndeß vergaß Chriſtine nicht an ihren Vater zu ſchreiben; und der Jnhalt des Briefs war folgender: Mein Herr und vielgeliebter Vater, Die groͤßte Marter bey dem mir zugeſtoßnen Ungluͤck iſt der Schmerz, den ſie daruͤber em- pfinden. Dies iſt das einzige was mich mehr niederſchlaͤgt, mehr untroͤſtlich macht, als alles uͤbrige, was mir ſeit der Entfuͤhrung von dem Großvogel, den ſie einſt Abends bemerkten, be- gegnet iſt; Es iſt der naͤmliche, welcher zu- vor die beyden Frauenzimmer die man fuͤr er- trunken hielt, auch Denevers Kaͤthe, und den Schirrmeiſter ihres Vaters nebſt einigen andern Perſonen, von denen wir haben ſprechen hoͤren, weggefuͤhrt hat; ich habe ſie, vielgeliebter Va- ter, alle hier angetroffen: Der Großvogel hat ihnen kein Leids gethan. Wer weiß was er ih- rer Tochter zugedacht hatte, fuͤr die er alle dieſe Per- ſonen beſtimmt zu haben ſcheint, wenn nicht durch ein Gluͤck, wofuͤr ich den Himmel nicht genug danken kann, der Schutz des jungen Vic- torins mich gegen ihn beſchuͤtzt haͤtte. Dieſer fuͤrtrefliche junge Mann, dem wir zweifels ohne die Erhaltung meiner Tage ſchuldig ſind, hatte dieſen Großvogel ſeit der erſten wenig geachteten Erzaͤhlung, mit der man ſich von ihm trug, aus- ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/78
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/78>, abgerufen am 07.05.2024.