der schon manchen Versuch gemacht, und alle die- jenigen Personen weggeführt hatte, die ihm nöthig schienen, um die Beherrscherinn seiner Wünsche anständig zu bedienen; stellte sich unbeweglich am Schlosse hin, gleich einem Adler der mit seinen krum- men Klauen einem Lamme, das in blumichter Weide zu hüpfen anfängt, auflauert.
Endlich erschien Christine, vor welche die Kam- merfrau mit dem Lichte hergieng; ihr Vater, auf die langsamen Bedienten fluchend, begleitete sie. Mittlerweile jene beyde im Hofe herunter giengen, blieb sie auf der Schwelle stehen. Dieser Augenblick war Victorin zu kostbar, als ihn nicht zu benutzen. Er richtete seinen erhebenden Parasol nach unten zu, stieß aus der Höhe der Luft auf die schöne Christine und führte sie fort. Fürchten sie nichts, Göttinn meiner Seele, sagt' er ihr, ich bete sie an, fürchten sie nichts. Aber der Schrecken behielt die Oberhand. Als Christine sich von einer Art von Ungeheuer weg- führen sah, stieß sie einen durchdringenden Schrey aus und fiel in Ohnmacht.
Der Vater hörte diesen Schrey und den Lerm vom Fluge des Victorins, und glaubte nicht anders als ein Theil seines Schloßes sey eingefallen -- Ach! meine Tochter ist erschlagen, schrie er, und flog nach der Gegend, wo das Geschrey her kam; sein Licht verlosch im Laufen. Er fand alles fest stehend und nichts eingefallen. Er rufte Christinen, aber Christine antwortete nicht auf sein wiederholtes Schreyen. Die Bedienten kamen herzu gelaufen,
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der ſchon manchen Verſuch gemacht, und alle die- jenigen Perſonen weggefuͤhrt hatte, die ihm noͤthig ſchienen, um die Beherrſcherinn ſeiner Wuͤnſche anſtaͤndig zu bedienen; ſtellte ſich unbeweglich am Schloſſe hin, gleich einem Adler der mit ſeinen krum- men Klauen einem Lamme, das in blumichter Weide zu huͤpfen anfaͤngt, auflauert.
Endlich erſchien Chriſtine, vor welche die Kam- merfrau mit dem Lichte hergieng; ihr Vater, auf die langſamen Bedienten fluchend, begleitete ſie. Mittlerweile jene beyde im Hofe herunter giengen, blieb ſie auf der Schwelle ſtehen. Dieſer Augenblick war Victorin zu koſtbar, als ihn nicht zu benutzen. Er richtete ſeinen erhebenden Paraſol nach unten zu, ſtieß aus der Hoͤhe der Luft auf die ſchoͤne Chriſtine und fuͤhrte ſie fort. Fuͤrchten ſie nichts, Goͤttinn meiner Seele, ſagt’ er ihr, ich bete ſie an, fuͤrchten ſie nichts. Aber der Schrecken behielt die Oberhand. Als Chriſtine ſich von einer Art von Ungeheuer weg- fuͤhren ſah, ſtieß ſie einen durchdringenden Schrey aus und fiel in Ohnmacht.
Der Vater hoͤrte dieſen Schrey und den Lerm vom Fluge des Victorins, und glaubte nicht anders als ein Theil ſeines Schloßes ſey eingefallen — Ach! meine Tochter iſt erſchlagen, ſchrie er, und flog nach der Gegend, wo das Geſchrey her kam; ſein Licht verloſch im Laufen. Er fand alles feſt ſtehend und nichts eingefallen. Er rufte Chriſtinen, aber Chriſtine antwortete nicht auf ſein wiederholtes Schreyen. Die Bedienten kamen herzu gelaufen,
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der ſchon manchen Verſuch gemacht, und alle die-
jenigen Perſonen weggefuͤhrt hatte, die ihm noͤthig
ſchienen, um die Beherrſcherinn ſeiner Wuͤnſche
anſtaͤndig zu bedienen; ſtellte ſich unbeweglich am
Schloſſe hin, gleich einem Adler der mit ſeinen krum-
men Klauen einem Lamme, das in blumichter Weide
zu huͤpfen anfaͤngt, auflauert.
Endlich erſchien Chriſtine, vor welche die Kam-
merfrau mit dem Lichte hergieng; ihr Vater, auf
die langſamen Bedienten fluchend, begleitete ſie.
Mittlerweile jene beyde im Hofe herunter giengen,
blieb ſie auf der Schwelle ſtehen. Dieſer Augenblick
war Victorin zu koſtbar, als ihn nicht zu benutzen.
Er richtete ſeinen erhebenden Paraſol nach unten zu,
ſtieß aus der Hoͤhe der Luft auf die ſchoͤne Chriſtine
und fuͤhrte ſie fort. Fuͤrchten ſie nichts, Goͤttinn
meiner Seele, ſagt’ er ihr, ich bete ſie an, fuͤrchten
ſie nichts. Aber der Schrecken behielt die Oberhand.
Als Chriſtine ſich von einer Art von Ungeheuer weg-
fuͤhren ſah, ſtieß ſie einen durchdringenden Schrey
aus und fiel in Ohnmacht.
Der Vater hoͤrte dieſen Schrey und den Lerm
vom Fluge des Victorins, und glaubte nicht anders
als ein Theil ſeines Schloßes ſey eingefallen — Ach!
meine Tochter iſt erſchlagen, ſchrie er, und flog nach
der Gegend, wo das Geſchrey her kam; ſein Licht
verloſch im Laufen. Er fand alles feſt ſtehend
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/65>, abgerufen am 15.08.2024.
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