man suchte, man dachte herum, aber Christine fand sich nicht wieder! ...
Während dieses Lermens brach der Tag an; man glaubte alle Augenblick' den schaudervollen Auf- tritt, Christinen zerschmettert zu sehen; aber man fand nicht das geringste Merkmal! Die Tochter des gnädigen Herrn war verschwunden! Welche Krän- kung für einen Vater der seine verdienstvolle und schöne Tochter so anbetete!
Jndeß schwang sich Victorin mit seiner kostba- ren Beute durch die Luft. Christine war noch immer ohnmächtig, und ihr Liebhaber suchte seine Ankunft zu beschleunigen, weil er fürchtete, sie möchte, wenn sie sich erholte und in einer solchen Höhe sähe, allzu- sehr sich entsetzen. Jn eben dem Augenblick als ihre schöne Augen sich wieder öfneten, langt' er auf dem unbesteiglichen Berge an. Kaum hatte er Zeit ge- nug, seine Flügel und sein Schiffergewand ablegen zu können, um ihr zuzueilen und sie zu trösten.
Wo bin ich Victorin? fragte sie ihn, o! wie froh bin ich sie zu sehen! Sie haben mich also aus den Klauen dieses Großvogels gerettet, der mich forttrug? ... Wo ist mein Vater? ... Victorin! wo ist er! ... Wie haben sie mich losgemacht?
"Anbetenswürdige Christine, sie sind leider im Neste des großen Vogels! ... Aber fürchten sie nichts, so lange ich bey ihnen bin. Jch wachte für ihr Wohl seit der ersten Erscheinung dieses Unge- heuers, und es war mir bekannt, wo er die verschie-
denen
man ſuchte, man dachte herum, aber Chriſtine fand ſich nicht wieder! …
Waͤhrend dieſes Lermens brach der Tag an; man glaubte alle Augenblick’ den ſchaudervollen Auf- tritt, Chriſtinen zerſchmettert zu ſehen; aber man fand nicht das geringſte Merkmal! Die Tochter des gnaͤdigen Herrn war verſchwunden! Welche Kraͤn- kung fuͤr einen Vater der ſeine verdienſtvolle und ſchoͤne Tochter ſo anbetete!
Jndeß ſchwang ſich Victorin mit ſeiner koſtba- ren Beute durch die Luft. Chriſtine war noch immer ohnmaͤchtig, und ihr Liebhaber ſuchte ſeine Ankunft zu beſchleunigen, weil er fuͤrchtete, ſie moͤchte, wenn ſie ſich erholte und in einer ſolchen Hoͤhe ſaͤhe, allzu- ſehr ſich entſetzen. Jn eben dem Augenblick als ihre ſchoͤne Augen ſich wieder oͤfneten, langt’ er auf dem unbeſteiglichen Berge an. Kaum hatte er Zeit ge- nug, ſeine Fluͤgel und ſein Schiffergewand ablegen zu koͤnnen, um ihr zuzueilen und ſie zu troͤſten.
Wo bin ich Victorin? fragte ſie ihn, o! wie froh bin ich ſie zu ſehen! Sie haben mich alſo aus den Klauen dieſes Großvogels gerettet, der mich forttrug? … Wo iſt mein Vater? … Victorin! wo iſt er! … Wie haben ſie mich losgemacht?
„Anbetenswuͤrdige Chriſtine, ſie ſind leider im Neſte des großen Vogels! … Aber fuͤrchten ſie nichts, ſo lange ich bey ihnen bin. Jch wachte fuͤr ihr Wohl ſeit der erſten Erſcheinung dieſes Unge- heuers, und es war mir bekannt, wo er die verſchie-
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man ſuchte, man dachte herum, aber Chriſtine fand
ſich nicht wieder! …
Waͤhrend dieſes Lermens brach der Tag an;
man glaubte alle Augenblick’ den ſchaudervollen Auf-
tritt, Chriſtinen zerſchmettert zu ſehen; aber man
fand nicht das geringſte Merkmal! Die Tochter des
gnaͤdigen Herrn war verſchwunden! Welche Kraͤn-
kung fuͤr einen Vater der ſeine verdienſtvolle und
ſchoͤne Tochter ſo anbetete!
Jndeß ſchwang ſich Victorin mit ſeiner koſtba-
ren Beute durch die Luft. Chriſtine war noch immer
ohnmaͤchtig, und ihr Liebhaber ſuchte ſeine Ankunft
zu beſchleunigen, weil er fuͤrchtete, ſie moͤchte, wenn
ſie ſich erholte und in einer ſolchen Hoͤhe ſaͤhe, allzu-
ſehr ſich entſetzen. Jn eben dem Augenblick als ihre
ſchoͤne Augen ſich wieder oͤfneten, langt’ er auf dem
unbeſteiglichen Berge an. Kaum hatte er Zeit ge-
nug, ſeine Fluͤgel und ſein Schiffergewand ablegen
zu koͤnnen, um ihr zuzueilen und ſie zu troͤſten.
Wo bin ich Victorin? fragte ſie ihn, o! wie
froh bin ich ſie zu ſehen! Sie haben mich alſo aus
den Klauen dieſes Großvogels gerettet, der mich
forttrug? … Wo iſt mein Vater? … Victorin!
wo iſt er! … Wie haben ſie mich losgemacht?
„Anbetenswuͤrdige Chriſtine, ſie ſind leider im
Neſte des großen Vogels! … Aber fuͤrchten ſie
nichts, ſo lange ich bey ihnen bin. Jch wachte fuͤr
ihr Wohl ſeit der erſten Erſcheinung dieſes Unge-
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/66>, abgerufen am 23.11.2024.
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