Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



er aus, kam vor Tages Anbruch an, kaufte ein,
und brachte die Sachen die folgende Nacht fort,
nachdem er die Vorsicht gebraucht hatte, sie gegen
Abend an einen ihm bequemen Ort zu bringen.

Endlich war alles zu Christinens Aufnahme vor-
bereitet. Nach geendigter Erndte, ließ er eine
Windmühle bauen, um das Getreide darauf zu
mahlen; Alles zur Nothdurft gehörige war besorgt,
und er beschloß nunmehr die Entführung seiner Ge-
liebten. Ein glückliches Ohngefähr verschafte ihm
sogar die Gelegenheit einen Koffer, worinn ihre
schönsten Kostbarkeiten sich befanden, habhaft zu
werden.

Christine sollte in die Stadt reisen; weil sich
Victorin so gut da gebildet hatte, hielt der gnädige
Herr diesen Aufenthalt auch für seine Tochter sehr
nothwendig. Der Tag vor der Abreise erschien und
der Wagen war schon aufgepackt. Victorin unter-
suchte am Abend alles genau: Er trug in der Nacht
fast alles, was seiner Gebieterinn gehörte, weg, und
machte in dieser Nacht zwey Reisen nach dem unbe-
steiglichen Berge. Jn der erstern trug er den Kof-
fer weg, und in der zweyten lauert er auf den Au-
genblick, wenn Christine zur Abreise erscheinen wür-
de. Dies sollte sehr früh geschehen, weil man zum
Mittagsessen in der Stadt seyn wollte.

Seine Erwartung betrog sich nicht. Mit An-
bruch der Morgenröthe war auf dem Schlosse zu
B-m-t alles munter. Es schien kein Mond, son-
dern es herrschte eine völlige Dunkelheit. Victorin,

der



er aus, kam vor Tages Anbruch an, kaufte ein,
und brachte die Sachen die folgende Nacht fort,
nachdem er die Vorſicht gebraucht hatte, ſie gegen
Abend an einen ihm bequemen Ort zu bringen.

Endlich war alles zu Chriſtinens Aufnahme vor-
bereitet. Nach geendigter Erndte, ließ er eine
Windmuͤhle bauen, um das Getreide darauf zu
mahlen; Alles zur Nothdurft gehoͤrige war beſorgt,
und er beſchloß nunmehr die Entfuͤhrung ſeiner Ge-
liebten. Ein gluͤckliches Ohngefaͤhr verſchafte ihm
ſogar die Gelegenheit einen Koffer, worinn ihre
ſchoͤnſten Koſtbarkeiten ſich befanden, habhaft zu
werden.

Chriſtine ſollte in die Stadt reiſen; weil ſich
Victorin ſo gut da gebildet hatte, hielt der gnaͤdige
Herr dieſen Aufenthalt auch fuͤr ſeine Tochter ſehr
nothwendig. Der Tag vor der Abreiſe erſchien und
der Wagen war ſchon aufgepackt. Victorin unter-
ſuchte am Abend alles genau: Er trug in der Nacht
faſt alles, was ſeiner Gebieterinn gehoͤrte, weg, und
machte in dieſer Nacht zwey Reiſen nach dem unbe-
ſteiglichen Berge. Jn der erſtern trug er den Kof-
fer weg, und in der zweyten lauert er auf den Au-
genblick, wenn Chriſtine zur Abreiſe erſcheinen wuͤr-
de. Dies ſollte ſehr fruͤh geſchehen, weil man zum
Mittagseſſen in der Stadt ſeyn wollte.

Seine Erwartung betrog ſich nicht. Mit An-
bruch der Morgenroͤthe war auf dem Schloſſe zu
B-m-t alles munter. Es ſchien kein Mond, ſon-
dern es herrſchte eine voͤllige Dunkelheit. Victorin,

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0064" n="56"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
er aus, kam vor Tages Anbruch an, kaufte ein,<lb/>
und brachte die Sachen die folgende Nacht fort,<lb/>
nachdem er die Vor&#x017F;icht gebraucht hatte, &#x017F;ie gegen<lb/>
Abend an einen ihm bequemen Ort zu bringen.</p><lb/>
        <p>Endlich war alles zu Chri&#x017F;tinens Aufnahme vor-<lb/>
bereitet. Nach geendigter Erndte, ließ er eine<lb/>
Windmu&#x0364;hle bauen, um das Getreide darauf zu<lb/>
mahlen; Alles zur Nothdurft geho&#x0364;rige war be&#x017F;orgt,<lb/>
und er be&#x017F;chloß nunmehr die Entfu&#x0364;hrung &#x017F;einer Ge-<lb/>
liebten. Ein glu&#x0364;ckliches Ohngefa&#x0364;hr ver&#x017F;chafte ihm<lb/>
&#x017F;ogar die Gelegenheit einen Koffer, worinn ihre<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ko&#x017F;tbarkeiten &#x017F;ich befanden, habhaft zu<lb/>
werden.</p><lb/>
        <p>Chri&#x017F;tine &#x017F;ollte in die Stadt rei&#x017F;en; weil &#x017F;ich<lb/>
Victorin &#x017F;o gut da gebildet hatte, hielt der gna&#x0364;dige<lb/>
Herr die&#x017F;en Aufenthalt auch fu&#x0364;r &#x017F;eine Tochter &#x017F;ehr<lb/>
nothwendig. Der Tag vor der Abrei&#x017F;e er&#x017F;chien und<lb/>
der Wagen war &#x017F;chon aufgepackt. Victorin unter-<lb/>
&#x017F;uchte am Abend alles genau: Er trug in der Nacht<lb/>
fa&#x017F;t alles, was &#x017F;einer Gebieterinn geho&#x0364;rte, weg, und<lb/>
machte in die&#x017F;er Nacht zwey Rei&#x017F;en nach dem unbe-<lb/>
&#x017F;teiglichen Berge. Jn der er&#x017F;tern trug er den Kof-<lb/>
fer weg, und in der zweyten lauert er auf den Au-<lb/>
genblick, wenn Chri&#x017F;tine zur Abrei&#x017F;e er&#x017F;cheinen wu&#x0364;r-<lb/>
de. Dies &#x017F;ollte &#x017F;ehr fru&#x0364;h ge&#x017F;chehen, weil man zum<lb/>
Mittagse&#x017F;&#x017F;en in der Stadt &#x017F;eyn wollte.</p><lb/>
        <p>Seine Erwartung betrog &#x017F;ich nicht. Mit An-<lb/>
bruch der Morgenro&#x0364;the war auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
B-m-t alles munter. Es &#x017F;chien kein Mond, &#x017F;on-<lb/>
dern es herr&#x017F;chte eine vo&#x0364;llige Dunkelheit. Victorin,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0064] er aus, kam vor Tages Anbruch an, kaufte ein, und brachte die Sachen die folgende Nacht fort, nachdem er die Vorſicht gebraucht hatte, ſie gegen Abend an einen ihm bequemen Ort zu bringen. Endlich war alles zu Chriſtinens Aufnahme vor- bereitet. Nach geendigter Erndte, ließ er eine Windmuͤhle bauen, um das Getreide darauf zu mahlen; Alles zur Nothdurft gehoͤrige war beſorgt, und er beſchloß nunmehr die Entfuͤhrung ſeiner Ge- liebten. Ein gluͤckliches Ohngefaͤhr verſchafte ihm ſogar die Gelegenheit einen Koffer, worinn ihre ſchoͤnſten Koſtbarkeiten ſich befanden, habhaft zu werden. Chriſtine ſollte in die Stadt reiſen; weil ſich Victorin ſo gut da gebildet hatte, hielt der gnaͤdige Herr dieſen Aufenthalt auch fuͤr ſeine Tochter ſehr nothwendig. Der Tag vor der Abreiſe erſchien und der Wagen war ſchon aufgepackt. Victorin unter- ſuchte am Abend alles genau: Er trug in der Nacht faſt alles, was ſeiner Gebieterinn gehoͤrte, weg, und machte in dieſer Nacht zwey Reiſen nach dem unbe- ſteiglichen Berge. Jn der erſtern trug er den Kof- fer weg, und in der zweyten lauert er auf den Au- genblick, wenn Chriſtine zur Abreiſe erſcheinen wuͤr- de. Dies ſollte ſehr fruͤh geſchehen, weil man zum Mittagseſſen in der Stadt ſeyn wollte. Seine Erwartung betrog ſich nicht. Mit An- bruch der Morgenroͤthe war auf dem Schloſſe zu B-m-t alles munter. Es ſchien kein Mond, ſon- dern es herrſchte eine voͤllige Dunkelheit. Victorin, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/64
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/64>, abgerufen am 23.11.2024.