Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Anfangs gab niemand auf das Wunderwerk die-
ses Wagens Achtung, aber Victorin mit einigen gu-
ten Freunden erwartete ihn an den lebhaftesten Orte
der Stadt, und machte sie auf diese Erscheinung
aufmerksam. Sie nähern sich und folgen dem Wa-
gen, um ihn zu sehen.

Der Pöbel läuft zusammen, alles drängt sich,
mit allem seinen Schwören kann der Petitmaitre den
Haufen nicht zertrennen: endlich findet er einen Aus-
gang und fährt durch zwey Reihen Bewunderer im
Genusse seines völligen Ruhms. Welcher Augen-
blick für einen Thoren! Seiner selbst nicht mächtig
schwärmt er für Freuden, Ruhm, Narrheit und
Vergnügen.

Als er lange genug herum spazirt war, kehrt
er nach Hause abgemattet vor Müdigkeit, die er der
Bewegung der Füße, wodurch er den Wagen in
Gang bringen mußte, zu danken hatte. Jch ver-
gaß noch zu erinnern, daß er die Pferde abnehmen
ließ, eh' er in seinen Hof fuhr, und dadurch, daß
die Bewegung, ungeachtet ihrer Abwesenheit, immer
fortdauerte, die Ungläubigen vollends überzeugte.

Ein Theil der Zuschauer gieng mit der größten
Verwunderung nach Hause; und der andere --
dies war der unwissende Pöbel -- mit der völligen
Ueberzeugung, daß der Petitmaitre einen Bund mit
dem Teufel gemacht habe.

Man kann leicht urtheilen, welche Fragen der
Besitzer eines so schönen Geheimnisses in den gesell-

schaft-


Anfangs gab niemand auf das Wunderwerk die-
ſes Wagens Achtung, aber Victorin mit einigen gu-
ten Freunden erwartete ihn an den lebhafteſten Orte
der Stadt, und machte ſie auf dieſe Erſcheinung
aufmerkſam. Sie naͤhern ſich und folgen dem Wa-
gen, um ihn zu ſehen.

Der Poͤbel laͤuft zuſammen, alles draͤngt ſich,
mit allem ſeinen Schwoͤren kann der Petitmaitre den
Haufen nicht zertrennen: endlich findet er einen Aus-
gang und faͤhrt durch zwey Reihen Bewunderer im
Genuſſe ſeines voͤlligen Ruhms. Welcher Augen-
blick fuͤr einen Thoren! Seiner ſelbſt nicht maͤchtig
ſchwaͤrmt er fuͤr Freuden, Ruhm, Narrheit und
Vergnuͤgen.

Als er lange genug herum ſpazirt war, kehrt
er nach Hauſe abgemattet vor Muͤdigkeit, die er der
Bewegung der Fuͤße, wodurch er den Wagen in
Gang bringen mußte, zu danken hatte. Jch ver-
gaß noch zu erinnern, daß er die Pferde abnehmen
ließ, eh’ er in ſeinen Hof fuhr, und dadurch, daß
die Bewegung, ungeachtet ihrer Abweſenheit, immer
fortdauerte, die Unglaͤubigen vollends uͤberzeugte.

Ein Theil der Zuſchauer gieng mit der groͤßten
Verwunderung nach Hauſe; und der andere —
dies war der unwiſſende Poͤbel — mit der voͤlligen
Ueberzeugung, daß der Petitmaitre einen Bund mit
dem Teufel gemacht habe.

Man kann leicht urtheilen, welche Fragen der
Beſitzer eines ſo ſchoͤnen Geheimniſſes in den geſell-

ſchaft-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0053" n="45"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Anfangs gab niemand auf das Wunderwerk die-<lb/>
&#x017F;es Wagens Achtung, aber Victorin mit einigen gu-<lb/>
ten Freunden erwartete ihn an den lebhafte&#x017F;ten Orte<lb/>
der Stadt, und machte &#x017F;ie auf die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung<lb/>
aufmerk&#x017F;am. Sie na&#x0364;hern &#x017F;ich und folgen dem Wa-<lb/>
gen, um ihn zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Der Po&#x0364;bel la&#x0364;uft zu&#x017F;ammen, alles dra&#x0364;ngt &#x017F;ich,<lb/>
mit allem &#x017F;einen Schwo&#x0364;ren kann der Petitmaitre den<lb/>
Haufen nicht zertrennen: endlich findet er einen Aus-<lb/>
gang und fa&#x0364;hrt durch zwey Reihen Bewunderer im<lb/>
Genu&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eines vo&#x0364;lligen Ruhms. Welcher Augen-<lb/>
blick fu&#x0364;r einen Thoren! Seiner &#x017F;elb&#x017F;t nicht ma&#x0364;chtig<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;rmt er fu&#x0364;r Freuden, Ruhm, Narrheit und<lb/>
Vergnu&#x0364;gen.</p><lb/>
        <p>Als er lange genug herum &#x017F;pazirt war, kehrt<lb/>
er nach Hau&#x017F;e abgemattet vor Mu&#x0364;digkeit, die er der<lb/>
Bewegung der Fu&#x0364;ße, wodurch er den Wagen in<lb/>
Gang bringen mußte, zu danken hatte. Jch ver-<lb/>
gaß noch zu erinnern, daß er die Pferde abnehmen<lb/>
ließ, eh&#x2019; er in &#x017F;einen Hof fuhr, und dadurch, daß<lb/>
die Bewegung, ungeachtet ihrer Abwe&#x017F;enheit, immer<lb/>
fortdauerte, die Ungla&#x0364;ubigen vollends u&#x0364;berzeugte.</p><lb/>
        <p>Ein Theil der Zu&#x017F;chauer gieng mit der gro&#x0364;ßten<lb/>
Verwunderung nach Hau&#x017F;e; und der andere &#x2014;<lb/>
dies war der unwi&#x017F;&#x017F;ende Po&#x0364;bel &#x2014; mit der vo&#x0364;lligen<lb/>
Ueberzeugung, daß der Petitmaitre einen Bund mit<lb/>
dem Teufel gemacht habe.</p><lb/>
        <p>Man kann leicht urtheilen, welche Fragen der<lb/>
Be&#x017F;itzer eines &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;nen Geheimni&#x017F;&#x017F;es in den ge&#x017F;ell-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chaft-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0053] Anfangs gab niemand auf das Wunderwerk die- ſes Wagens Achtung, aber Victorin mit einigen gu- ten Freunden erwartete ihn an den lebhafteſten Orte der Stadt, und machte ſie auf dieſe Erſcheinung aufmerkſam. Sie naͤhern ſich und folgen dem Wa- gen, um ihn zu ſehen. Der Poͤbel laͤuft zuſammen, alles draͤngt ſich, mit allem ſeinen Schwoͤren kann der Petitmaitre den Haufen nicht zertrennen: endlich findet er einen Aus- gang und faͤhrt durch zwey Reihen Bewunderer im Genuſſe ſeines voͤlligen Ruhms. Welcher Augen- blick fuͤr einen Thoren! Seiner ſelbſt nicht maͤchtig ſchwaͤrmt er fuͤr Freuden, Ruhm, Narrheit und Vergnuͤgen. Als er lange genug herum ſpazirt war, kehrt er nach Hauſe abgemattet vor Muͤdigkeit, die er der Bewegung der Fuͤße, wodurch er den Wagen in Gang bringen mußte, zu danken hatte. Jch ver- gaß noch zu erinnern, daß er die Pferde abnehmen ließ, eh’ er in ſeinen Hof fuhr, und dadurch, daß die Bewegung, ungeachtet ihrer Abweſenheit, immer fortdauerte, die Unglaͤubigen vollends uͤberzeugte. Ein Theil der Zuſchauer gieng mit der groͤßten Verwunderung nach Hauſe; und der andere — dies war der unwiſſende Poͤbel — mit der voͤlligen Ueberzeugung, daß der Petitmaitre einen Bund mit dem Teufel gemacht habe. Man kann leicht urtheilen, welche Fragen der Beſitzer eines ſo ſchoͤnen Geheimniſſes in den geſell- ſchaft-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/53
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/53>, abgerufen am 07.05.2024.