Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



rath ist, so wollen wir dies Land doch nicht durch
den Mord eines seiner Bewohner besudeln, wir wol-
len nicht die ersten seyn, die eine Gewaltthätigkeit
ausüben. Diese Anrede des Victorin machte einen
lebhaften Eindruck auf seine beiden Söhne: sie sa-
hen diese neue Jnsel als den äussersten und geheilig-
ten Zufluchtsort der ursprünglichen Unschuld an.
Alexander, der ein grosses Genie war, machte eine an-
dere Bemerkung und sagte, er hielte dafür, daß wir
auf der Erde nichts als schmarozende Wesen wären
wie der Kinster an den Bäumen, oder wie die Thier-
chen auf den Thieren, folglich ihr zur Last, daß sie
also unsere Zernichtung für eine Wohlthat ansähe. --
Victorin schüttelte den Kopf und sein Sohn schwieg.

Die fliegenden Männer machten keinen langen
Aufenthalt auf der Schafinsel, die ihnen sehr frucht-
bar schien: sie nahmen zwei iunge Leute von dieser
Gattung, die Victorin und sein ältester Sohn tru-
gen. Alexander hingegen brachte ganz allein die
beiden iungen Hundemenschen auf die Cynische Jnsel.
Er blieb einige Zeit daselbst, um die Würkungen
zu beobachten, welche die Ausbildung dieser beiden
Personen auf ihre Landsleute haben würde. Sie schie-
nen ihnen sehr vortheilhaft, aber der iunge Fliegende
machte die Bemerkung, daß iene bald wieder ver-
wildern würden, wenn man nicht eine Familie von
Menschen auf die Jnsel versetzte, mit welcher sie
sich in der Sprache nach ihrer Art und in der
Bildung unterhalten könnten. Es ist zu merken,
daß die verschiedenen Gattungen der Viehmenschen

zwar



rath iſt, ſo wollen wir dies Land doch nicht durch
den Mord eines ſeiner Bewohner beſudeln, wir wol-
len nicht die erſten ſeyn, die eine Gewaltthaͤtigkeit
ausuͤben. Dieſe Anrede des Victorin machte einen
lebhaften Eindruck auf ſeine beiden Soͤhne: ſie ſa-
hen dieſe neue Jnſel als den aͤuſſerſten und geheilig-
ten Zufluchtsort der urſpruͤnglichen Unſchuld an.
Alexander, der ein groſſes Genie war, machte eine an-
dere Bemerkung und ſagte, er hielte dafuͤr, daß wir
auf der Erde nichts als ſchmarozende Weſen waͤren
wie der Kinſter an den Baͤumen, oder wie die Thier-
chen auf den Thieren, folglich ihr zur Laſt, daß ſie
alſo unſere Zernichtung fuͤr eine Wohlthat anſaͤhe. —
Victorin ſchuͤttelte den Kopf und ſein Sohn ſchwieg.

Die fliegenden Maͤnner machten keinen langen
Aufenthalt auf der Schafinſel, die ihnen ſehr frucht-
bar ſchien: ſie nahmen zwei iunge Leute von dieſer
Gattung, die Victorin und ſein aͤlteſter Sohn tru-
gen. Alexander hingegen brachte ganz allein die
beiden iungen Hundemenſchen auf die Cyniſche Jnſel.
Er blieb einige Zeit daſelbſt, um die Wuͤrkungen
zu beobachten, welche die Ausbildung dieſer beiden
Perſonen auf ihre Landsleute haben wuͤrde. Sie ſchie-
nen ihnen ſehr vortheilhaft, aber der iunge Fliegende
machte die Bemerkung, daß iene bald wieder ver-
wildern wuͤrden, wenn man nicht eine Familie von
Menſchen auf die Jnſel verſetzte, mit welcher ſie
ſich in der Sprache nach ihrer Art und in der
Bildung unterhalten koͤnnten. Es iſt zu merken,
daß die verſchiedenen Gattungen der Viehmenſchen

zwar
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0211" n="203"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
rath i&#x017F;t, &#x017F;o wollen wir dies Land doch nicht durch<lb/>
den Mord eines &#x017F;einer Bewohner be&#x017F;udeln, wir wol-<lb/>
len nicht die er&#x017F;ten &#x017F;eyn, die eine Gewalttha&#x0364;tigkeit<lb/>
ausu&#x0364;ben. Die&#x017F;e Anrede des Victorin machte einen<lb/>
lebhaften Eindruck auf &#x017F;eine beiden So&#x0364;hne: &#x017F;ie &#x017F;a-<lb/>
hen die&#x017F;e neue Jn&#x017F;el als den a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten und geheilig-<lb/>
ten Zufluchtsort der ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Un&#x017F;chuld an.<lb/>
Alexander, der ein gro&#x017F;&#x017F;es Genie war, machte eine an-<lb/>
dere Bemerkung und &#x017F;agte, er hielte dafu&#x0364;r, daß wir<lb/>
auf der Erde nichts als &#x017F;chmarozende We&#x017F;en wa&#x0364;ren<lb/>
wie der Kin&#x017F;ter an den Ba&#x0364;umen, oder wie die Thier-<lb/>
chen auf den Thieren, folglich ihr zur La&#x017F;t, daß &#x017F;ie<lb/>
al&#x017F;o un&#x017F;ere Zernichtung fu&#x0364;r eine Wohlthat an&#x017F;a&#x0364;he. &#x2014;<lb/>
Victorin &#x017F;chu&#x0364;ttelte den Kopf und &#x017F;ein Sohn &#x017F;chwieg.</p><lb/>
          <p>Die fliegenden Ma&#x0364;nner machten keinen langen<lb/>
Aufenthalt auf der Schafin&#x017F;el, die ihnen &#x017F;ehr frucht-<lb/>
bar &#x017F;chien: &#x017F;ie nahmen zwei iunge Leute von die&#x017F;er<lb/>
Gattung, die Victorin und &#x017F;ein a&#x0364;lte&#x017F;ter Sohn tru-<lb/>
gen. Alexander hingegen brachte ganz allein die<lb/>
beiden iungen Hundemen&#x017F;chen auf die Cyni&#x017F;che Jn&#x017F;el.<lb/>
Er blieb einige Zeit da&#x017F;elb&#x017F;t, um die Wu&#x0364;rkungen<lb/>
zu beobachten, welche die Ausbildung die&#x017F;er beiden<lb/>
Per&#x017F;onen auf ihre Landsleute haben wu&#x0364;rde. Sie &#x017F;chie-<lb/>
nen ihnen &#x017F;ehr vortheilhaft, aber der iunge Fliegende<lb/>
machte die Bemerkung, daß iene bald wieder ver-<lb/>
wildern wu&#x0364;rden, wenn man nicht eine Familie von<lb/>
Men&#x017F;chen auf die Jn&#x017F;el ver&#x017F;etzte, mit welcher &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich in der Sprache nach ihrer Art und in der<lb/>
Bildung unterhalten ko&#x0364;nnten. Es i&#x017F;t zu merken,<lb/>
daß die ver&#x017F;chiedenen Gattungen der Viehmen&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zwar</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0211] rath iſt, ſo wollen wir dies Land doch nicht durch den Mord eines ſeiner Bewohner beſudeln, wir wol- len nicht die erſten ſeyn, die eine Gewaltthaͤtigkeit ausuͤben. Dieſe Anrede des Victorin machte einen lebhaften Eindruck auf ſeine beiden Soͤhne: ſie ſa- hen dieſe neue Jnſel als den aͤuſſerſten und geheilig- ten Zufluchtsort der urſpruͤnglichen Unſchuld an. Alexander, der ein groſſes Genie war, machte eine an- dere Bemerkung und ſagte, er hielte dafuͤr, daß wir auf der Erde nichts als ſchmarozende Weſen waͤren wie der Kinſter an den Baͤumen, oder wie die Thier- chen auf den Thieren, folglich ihr zur Laſt, daß ſie alſo unſere Zernichtung fuͤr eine Wohlthat anſaͤhe. — Victorin ſchuͤttelte den Kopf und ſein Sohn ſchwieg. Die fliegenden Maͤnner machten keinen langen Aufenthalt auf der Schafinſel, die ihnen ſehr frucht- bar ſchien: ſie nahmen zwei iunge Leute von dieſer Gattung, die Victorin und ſein aͤlteſter Sohn tru- gen. Alexander hingegen brachte ganz allein die beiden iungen Hundemenſchen auf die Cyniſche Jnſel. Er blieb einige Zeit daſelbſt, um die Wuͤrkungen zu beobachten, welche die Ausbildung dieſer beiden Perſonen auf ihre Landsleute haben wuͤrde. Sie ſchie- nen ihnen ſehr vortheilhaft, aber der iunge Fliegende machte die Bemerkung, daß iene bald wieder ver- wildern wuͤrden, wenn man nicht eine Familie von Menſchen auf die Jnſel verſetzte, mit welcher ſie ſich in der Sprache nach ihrer Art und in der Bildung unterhalten koͤnnten. Es iſt zu merken, daß die verſchiedenen Gattungen der Viehmenſchen zwar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/211
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/211>, abgerufen am 25.11.2024.