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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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dem Ansehnlichsten des Haufens und bracht' es durch
seine Liebkosungen und das Brod das er ihm zu essen
gab dahin, daß er ihn bewog, sich seinem Vater
und Bruder zu nähern. Eine wichtige Bemerkung,
welche Alexander auf dieser Jnsel machte, bestand dar-
in, daß die Natur hier in einem würklich rührenden
Zustande sich befinde. Hier war keine Gattung Fleisch-
fressender Thiere, sogar nicht einmal kleine Tieger oder
Raubvögel, der Schafmensch lebte mit den übrigen
mancherlei Thieren ganz brüderlich. Man sahe ihn
oft mitten unter ihnen spielen und sich wälzen, ohne
das geringste Mistrauen von der einen oder der an-
dern Seite, besonders mit dem Geschlechte der Böcke
und Ziegen. Ueberall wo die fliegenden Männer
den Fuß hinsetzten, sahen sie, ihres sonderbaren Auf-
zugs ungeachtet, die Thiere nicht nur von den zah-
men Gattungen, sondern auch Hirsche, Rehe etc. eher
zu ihnen kommen als sie fliehen. -- Jch danke
Gott, sprach daher Victorin gerührt zu seinen Söh-
nen, daß ich diesen Tag erlebet habe und bis in
diese von meinem Geburtsorte so entfernte Gegenden
gekommen bin, um die Natur in ihrer ursprünglichen
Güte zu sehn! Ach meine Kinder! ihr habt nicht,
wie ich, die Welt der Boshaften gesehn, gegen wel-
che die wilden Thiere im Walde nur ein Schatten
sind! ihr habt nicht gesehn, wie sie einander zer-
fleischen, aufreiben und dann sich gegenseitig über
die Nothwendigkeit des Guten und Bösen recht-
fertigen, die Moral mit der Phisik vergleichen und
von dem einen die Gründe hernehmen, um das an-
dere zu entschuldigen. So nöthig uns neuer Vor-

rath



dem Anſehnlichſten des Haufens und bracht’ es durch
ſeine Liebkoſungen und das Brod das er ihm zu eſſen
gab dahin, daß er ihn bewog, ſich ſeinem Vater
und Bruder zu naͤhern. Eine wichtige Bemerkung,
welche Alexander auf dieſer Jnſel machte, beſtand dar-
in, daß die Natur hier in einem wuͤrklich ruͤhrenden
Zuſtande ſich befinde. Hier war keine Gattung Fleiſch-
freſſender Thiere, ſogar nicht einmal kleine Tieger oder
Raubvoͤgel, der Schafmenſch lebte mit den uͤbrigen
mancherlei Thieren ganz bruͤderlich. Man ſahe ihn
oft mitten unter ihnen ſpielen und ſich waͤlzen, ohne
das geringſte Mistrauen von der einen oder der an-
dern Seite, beſonders mit dem Geſchlechte der Boͤcke
und Ziegen. Ueberall wo die fliegenden Maͤnner
den Fuß hinſetzten, ſahen ſie, ihres ſonderbaren Auf-
zugs ungeachtet, die Thiere nicht nur von den zah-
men Gattungen, ſondern auch Hirſche, Rehe ꝛc. eher
zu ihnen kommen als ſie fliehen. — Jch danke
Gott, ſprach daher Victorin geruͤhrt zu ſeinen Soͤh-
nen, daß ich dieſen Tag erlebet habe und bis in
dieſe von meinem Geburtsorte ſo entfernte Gegenden
gekommen bin, um die Natur in ihrer urſpruͤnglichen
Guͤte zu ſehn! Ach meine Kinder! ihr habt nicht,
wie ich, die Welt der Boshaften geſehn, gegen wel-
che die wilden Thiere im Walde nur ein Schatten
ſind! ihr habt nicht geſehn, wie ſie einander zer-
fleiſchen, aufreiben und dann ſich gegenſeitig uͤber
die Nothwendigkeit des Guten und Boͤſen recht-
fertigen, die Moral mit der Phiſik vergleichen und
von dem einen die Gruͤnde hernehmen, um das an-
dere zu entſchuldigen. So noͤthig uns neuer Vor-

rath
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[202/0210] dem Anſehnlichſten des Haufens und bracht’ es durch ſeine Liebkoſungen und das Brod das er ihm zu eſſen gab dahin, daß er ihn bewog, ſich ſeinem Vater und Bruder zu naͤhern. Eine wichtige Bemerkung, welche Alexander auf dieſer Jnſel machte, beſtand dar- in, daß die Natur hier in einem wuͤrklich ruͤhrenden Zuſtande ſich befinde. Hier war keine Gattung Fleiſch- freſſender Thiere, ſogar nicht einmal kleine Tieger oder Raubvoͤgel, der Schafmenſch lebte mit den uͤbrigen mancherlei Thieren ganz bruͤderlich. Man ſahe ihn oft mitten unter ihnen ſpielen und ſich waͤlzen, ohne das geringſte Mistrauen von der einen oder der an- dern Seite, beſonders mit dem Geſchlechte der Boͤcke und Ziegen. Ueberall wo die fliegenden Maͤnner den Fuß hinſetzten, ſahen ſie, ihres ſonderbaren Auf- zugs ungeachtet, die Thiere nicht nur von den zah- men Gattungen, ſondern auch Hirſche, Rehe ꝛc. eher zu ihnen kommen als ſie fliehen. — Jch danke Gott, ſprach daher Victorin geruͤhrt zu ſeinen Soͤh- nen, daß ich dieſen Tag erlebet habe und bis in dieſe von meinem Geburtsorte ſo entfernte Gegenden gekommen bin, um die Natur in ihrer urſpruͤnglichen Guͤte zu ſehn! Ach meine Kinder! ihr habt nicht, wie ich, die Welt der Boshaften geſehn, gegen wel- che die wilden Thiere im Walde nur ein Schatten ſind! ihr habt nicht geſehn, wie ſie einander zer- fleiſchen, aufreiben und dann ſich gegenſeitig uͤber die Nothwendigkeit des Guten und Boͤſen recht- fertigen, die Moral mit der Phiſik vergleichen und von dem einen die Gruͤnde hernehmen, um das an- dere zu entſchuldigen. So noͤthig uns neuer Vor- rath

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/210>, abgerufen am 22.11.2024.