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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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unter den Künstlern, als man den unbesteiglichen
Berg verließ, mit weggeführt ward, und den
man in Paris ohne Zweifel für todt gehalten
hat -- zu machen gelehrt hatte. Jshmichtriß
ging, sag ich, mit majestätischen Schritten nä-
her, und machte jedem eine gnädige Verbeu-
gung. Alle Patagoner waren durch ihre Reize
bezaubert; aber ein wenigheruntergesezt durch ih-
re Hoheit (man muß dies Wort nach der
Physik nehmen); sie übertraf unendlichemal alles
was von Grossen unter den grösten Patagonen
war.

Der junge B-m-t war nicht so einfältig
seiner Gebieterin zu folgen, er stellte zwischen
ihr und ihm die Künstler, männlichen und weib-
lichen Geschlechts, die an ihrem Putze gearbei-
tet hatten, und da er mit seinen Flügeln und
Stelzen sie an Grösse übertraf, so bemerkte
man seinen Abstand weniger.

"Wie, sagten die Weiber zu ihm, ist ihre
künftige Gemalin nicht schon groß genug, daß
sie solche noch grösser machen!"

"Sie kann es nicht zuviel seyn, meine Da-
men, antwortete der junge Mann. Meine Em-
pfindungen für sie sind so voll Ehrfurcht und
Zärtlichkeit, daß ich ein Vergnügen finde, sie
glänzen, bewundern und alles verdunkeln zu sehn."

"Ach wie zärtlich die Frischmisch-Mhan
(französischen Männer) sind, ruften alle Patago-

nerin-



unter den Kuͤnſtlern, als man den unbeſteiglichen
Berg verließ, mit weggefuͤhrt ward, und den
man in Paris ohne Zweifel fuͤr todt gehalten
hat — zu machen gelehrt hatte. Jſhmichtriß
ging, ſag ich, mit majeſtaͤtiſchen Schritten naͤ-
her, und machte jedem eine gnaͤdige Verbeu-
gung. Alle Patagoner waren durch ihre Reize
bezaubert; aber ein wenigheruntergeſezt durch ih-
re Hoheit (man muß dies Wort nach der
Phyſik nehmen); ſie uͤbertraf unendlichemal alles
was von Groſſen unter den groͤſten Patagonen
war.

Der junge B-m-t war nicht ſo einfaͤltig
ſeiner Gebieterin zu folgen, er ſtellte zwiſchen
ihr und ihm die Kuͤnſtler, maͤnnlichen und weib-
lichen Geſchlechts, die an ihrem Putze gearbei-
tet hatten, und da er mit ſeinen Fluͤgeln und
Stelzen ſie an Groͤſſe uͤbertraf, ſo bemerkte
man ſeinen Abſtand weniger.

„Wie, ſagten die Weiber zu ihm, iſt ihre
kuͤnftige Gemalin nicht ſchon groß genug, daß
ſie ſolche noch groͤſſer machen!‟

„Sie kann es nicht zuviel ſeyn, meine Da-
men, antwortete der junge Mann. Meine Em-
pfindungen fuͤr ſie ſind ſo voll Ehrfurcht und
Zaͤrtlichkeit, daß ich ein Vergnuͤgen finde, ſie
glaͤnzen, bewundern und alles verdunkeln zu ſehn.‟

„Ach wie zaͤrtlich die Friſchmiſch-Mhan
(franzoͤſiſchen Maͤnner) ſind, ruften alle Patago-

nerin-
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[154/0162] unter den Kuͤnſtlern, als man den unbeſteiglichen Berg verließ, mit weggefuͤhrt ward, und den man in Paris ohne Zweifel fuͤr todt gehalten hat — zu machen gelehrt hatte. Jſhmichtriß ging, ſag ich, mit majeſtaͤtiſchen Schritten naͤ- her, und machte jedem eine gnaͤdige Verbeu- gung. Alle Patagoner waren durch ihre Reize bezaubert; aber ein wenigheruntergeſezt durch ih- re Hoheit (man muß dies Wort nach der Phyſik nehmen); ſie uͤbertraf unendlichemal alles was von Groſſen unter den groͤſten Patagonen war. Der junge B-m-t war nicht ſo einfaͤltig ſeiner Gebieterin zu folgen, er ſtellte zwiſchen ihr und ihm die Kuͤnſtler, maͤnnlichen und weib- lichen Geſchlechts, die an ihrem Putze gearbei- tet hatten, und da er mit ſeinen Fluͤgeln und Stelzen ſie an Groͤſſe uͤbertraf, ſo bemerkte man ſeinen Abſtand weniger. „Wie, ſagten die Weiber zu ihm, iſt ihre kuͤnftige Gemalin nicht ſchon groß genug, daß ſie ſolche noch groͤſſer machen!‟ „Sie kann es nicht zuviel ſeyn, meine Da- men, antwortete der junge Mann. Meine Em- pfindungen fuͤr ſie ſind ſo voll Ehrfurcht und Zaͤrtlichkeit, daß ich ein Vergnuͤgen finde, ſie glaͤnzen, bewundern und alles verdunkeln zu ſehn.‟ „Ach wie zaͤrtlich die Friſchmiſch-Mhan (franzoͤſiſchen Maͤnner) ſind, ruften alle Patago- nerin-

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/162>, abgerufen am 03.05.2024.