Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



weitläuftig gnug um alle Einwohner in sich zu fassen
stand. Dieser Ort war dem Vergnügen gewidmet,
und man brachte daselbst Sommerszeit, geschützt ge-
gen die Hitze, die zum Spiel bestimmte Zeit hin.

Nach der Tafel sahe der Alte diejenigen Spiele
mit an, die alle Tage nach vollendeten Geschäften
statt fanden; wenn anders die Republik nicht ge-
meinschaftliche oder dringende Arbeiten, wie zum
Beyspiel der Bau des Pallasts und der Kapelle war,
vorhatte, oder man Wohnungen für neue Wirthschaf-
ten bauen mußte, weil man alsdann mit Eifer und
ohn' Unterlaß arbeitete. Jn dem Fall war die Ar-
beit für so vernünftige und gegen einander gefällige
Leute ein Vergnügen.

Der gute Herr durchwanderte den ganzen Tag
die Staaten seines Schwiegersohns und war entzückt
davon. Durch Hülfe eines fürtreflichen Glases be-
merkt' er leicht im Verhältniß der ihm sehr bekannten
herumliegenden Gegenden, die Lage des unbesteigli-
chen Berges: er entdeckte sogar sein Schloß von der
Spitze eines steilen Felsens, wohin ihn sein Schwie-
gersohn, umgeben von der ganzen Familie aus Be-
sorgniß eines ihm etwa anwandelnden Schwindels,
brachte.

"Dies ist der Ort, bester Vater, sagte Victo-
rin, wo ich meiner geliebten Gattin und meinen Kin-
dern euren Wohnsitz zeigete, und wo sie, besonders
eure zärtliche Tochter, euch einen Zoll von Zärtlich-
keit und Thränen bringen."

"Alles



weitlaͤuftig gnug um alle Einwohner in ſich zu faſſen
ſtand. Dieſer Ort war dem Vergnuͤgen gewidmet,
und man brachte daſelbſt Sommerszeit, geſchuͤtzt ge-
gen die Hitze, die zum Spiel beſtimmte Zeit hin.

Nach der Tafel ſahe der Alte diejenigen Spiele
mit an, die alle Tage nach vollendeten Geſchaͤften
ſtatt fanden; wenn anders die Republik nicht ge-
meinſchaftliche oder dringende Arbeiten, wie zum
Beyſpiel der Bau des Pallaſts und der Kapelle war,
vorhatte, oder man Wohnungen fuͤr neue Wirthſchaf-
ten bauen mußte, weil man alsdann mit Eifer und
ohn’ Unterlaß arbeitete. Jn dem Fall war die Ar-
beit fuͤr ſo vernuͤnftige und gegen einander gefaͤllige
Leute ein Vergnuͤgen.

Der gute Herr durchwanderte den ganzen Tag
die Staaten ſeines Schwiegerſohns und war entzuͤckt
davon. Durch Huͤlfe eines fuͤrtreflichen Glaſes be-
merkt’ er leicht im Verhaͤltniß der ihm ſehr bekannten
herumliegenden Gegenden, die Lage des unbeſteigli-
chen Berges: er entdeckte ſogar ſein Schloß von der
Spitze eines ſteilen Felſens, wohin ihn ſein Schwie-
gerſohn, umgeben von der ganzen Familie aus Be-
ſorgniß eines ihm etwa anwandelnden Schwindels,
brachte.

„Dies iſt der Ort, beſter Vater, ſagte Victo-
rin, wo ich meiner geliebten Gattin und meinen Kin-
dern euren Wohnſitz zeigete, und wo ſie, beſonders
eure zaͤrtliche Tochter, euch einen Zoll von Zaͤrtlich-
keit und Thraͤnen bringen.‟

„Alles
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="102"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
weitla&#x0364;uftig gnug um alle Einwohner in &#x017F;ich zu fa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;tand. Die&#x017F;er Ort war dem Vergnu&#x0364;gen gewidmet,<lb/>
und man brachte da&#x017F;elb&#x017F;t Sommerszeit, ge&#x017F;chu&#x0364;tzt ge-<lb/>
gen die Hitze, die zum Spiel be&#x017F;timmte Zeit hin.</p><lb/>
        <p>Nach der Tafel &#x017F;ahe der Alte diejenigen Spiele<lb/>
mit an, die alle Tage nach vollendeten Ge&#x017F;cha&#x0364;ften<lb/>
&#x017F;tatt fanden; wenn anders die Republik nicht ge-<lb/>
mein&#x017F;chaftliche oder dringende Arbeiten, wie zum<lb/>
Bey&#x017F;piel der Bau des Palla&#x017F;ts und der Kapelle war,<lb/>
vorhatte, oder man Wohnungen fu&#x0364;r neue Wirth&#x017F;chaf-<lb/>
ten bauen mußte, weil man alsdann mit Eifer und<lb/>
ohn&#x2019; Unterlaß arbeitete. Jn dem Fall war die Ar-<lb/>
beit fu&#x0364;r &#x017F;o vernu&#x0364;nftige und gegen einander gefa&#x0364;llige<lb/>
Leute ein Vergnu&#x0364;gen.</p><lb/>
        <p>Der gute Herr durchwanderte den ganzen Tag<lb/>
die Staaten &#x017F;eines Schwieger&#x017F;ohns und war entzu&#x0364;ckt<lb/>
davon. Durch Hu&#x0364;lfe eines fu&#x0364;rtreflichen Gla&#x017F;es be-<lb/>
merkt&#x2019; er leicht im Verha&#x0364;ltniß der ihm &#x017F;ehr bekannten<lb/>
herumliegenden Gegenden, die Lage des unbe&#x017F;teigli-<lb/>
chen Berges: er entdeckte &#x017F;ogar &#x017F;ein Schloß von der<lb/>
Spitze eines &#x017F;teilen Fel&#x017F;ens, wohin ihn &#x017F;ein Schwie-<lb/>
ger&#x017F;ohn, umgeben von der ganzen Familie aus Be-<lb/>
&#x017F;orgniß eines ihm etwa anwandelnden Schwindels,<lb/>
brachte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dies i&#x017F;t der Ort, be&#x017F;ter Vater, &#x017F;agte Victo-<lb/>
rin, wo ich meiner geliebten Gattin und meinen Kin-<lb/>
dern euren Wohn&#x017F;itz zeigete, und wo &#x017F;ie, be&#x017F;onders<lb/>
eure za&#x0364;rtliche Tochter, euch einen Zoll von Za&#x0364;rtlich-<lb/>
keit und Thra&#x0364;nen bringen.&#x201F;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Alles</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0110] weitlaͤuftig gnug um alle Einwohner in ſich zu faſſen ſtand. Dieſer Ort war dem Vergnuͤgen gewidmet, und man brachte daſelbſt Sommerszeit, geſchuͤtzt ge- gen die Hitze, die zum Spiel beſtimmte Zeit hin. Nach der Tafel ſahe der Alte diejenigen Spiele mit an, die alle Tage nach vollendeten Geſchaͤften ſtatt fanden; wenn anders die Republik nicht ge- meinſchaftliche oder dringende Arbeiten, wie zum Beyſpiel der Bau des Pallaſts und der Kapelle war, vorhatte, oder man Wohnungen fuͤr neue Wirthſchaf- ten bauen mußte, weil man alsdann mit Eifer und ohn’ Unterlaß arbeitete. Jn dem Fall war die Ar- beit fuͤr ſo vernuͤnftige und gegen einander gefaͤllige Leute ein Vergnuͤgen. Der gute Herr durchwanderte den ganzen Tag die Staaten ſeines Schwiegerſohns und war entzuͤckt davon. Durch Huͤlfe eines fuͤrtreflichen Glaſes be- merkt’ er leicht im Verhaͤltniß der ihm ſehr bekannten herumliegenden Gegenden, die Lage des unbeſteigli- chen Berges: er entdeckte ſogar ſein Schloß von der Spitze eines ſteilen Felſens, wohin ihn ſein Schwie- gerſohn, umgeben von der ganzen Familie aus Be- ſorgniß eines ihm etwa anwandelnden Schwindels, brachte. „Dies iſt der Ort, beſter Vater, ſagte Victo- rin, wo ich meiner geliebten Gattin und meinen Kin- dern euren Wohnſitz zeigete, und wo ſie, beſonders eure zaͤrtliche Tochter, euch einen Zoll von Zaͤrtlich- keit und Thraͤnen bringen.‟ „Alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/110
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/110>, abgerufen am 07.05.2024.