"Wenigstens, mein Herr, erwiederte der junge Mann, wünsch' ich ihnen gewiß alles gute auf einmal."
Der Alte bot ihm, ohne zu antworten, seine Hand, führte ihn in das schönste Zimmer seines Schlosses, ließ ihn niedersetzen, und fragte, was er zum Frühstück verlange. Der junge Mann war von seiner Mutter bereits unterrichtet, daß in dem Gesellschaftssaal des Großvaters, die Familienpor- traits aufgestellt wären, und unter andern das ihri- ge zwischen ihrem Vater und Mutter hängen würde. Seine Augen suchten daher, als er dem alten Herrn antwortete, daß er zwar zu frühstücken wünschte, es ihm aber einerley sey was, im Zimmer auch diese Ge- mählde: Er hatte Zeit genug sie genau zu betrachten, während daß sein Großvater die nöthigen Befehle gab; und der Alte fand ihn noch bei seiner Rückkehr, wie ihm bey Betrachtung von Christinens Bildnisse eine Thräne ins Auge stieg.
"Was fehlt Jhnen, junger Kavalier, fragte der Herr."
"Ach! mein Herr, ich betrachte dies Bildniß ei- ner mir sehr theuren Person! ..."
"Seyv theuern! ... sagte der Alte, der nun seinen jungen Gast voll Freuden betrachtete. Dies ist meine Tochter!"
"Meine Mutter."
"Jhre, mein Herr?"
"Er-
„Wenigſtens, mein Herr, erwiederte der junge Mann, wuͤnſch’ ich ihnen gewiß alles gute auf einmal.‟
Der Alte bot ihm, ohne zu antworten, ſeine Hand, fuͤhrte ihn in das ſchoͤnſte Zimmer ſeines Schloſſes, ließ ihn niederſetzen, und fragte, was er zum Fruͤhſtuͤck verlange. Der junge Mann war von ſeiner Mutter bereits unterrichtet, daß in dem Geſellſchaftsſaal des Großvaters, die Familienpor- traits aufgeſtellt waͤren, und unter andern das ihri- ge zwiſchen ihrem Vater und Mutter haͤngen wuͤrde. Seine Augen ſuchten daher, als er dem alten Herrn antwortete, daß er zwar zu fruͤhſtuͤcken wuͤnſchte, es ihm aber einerley ſey was, im Zimmer auch dieſe Ge- maͤhlde: Er hatte Zeit genug ſie genau zu betrachten, waͤhrend daß ſein Großvater die noͤthigen Befehle gab; und der Alte fand ihn noch bei ſeiner Ruͤckkehr, wie ihm bey Betrachtung von Chriſtinens Bildniſſe eine Thraͤne ins Auge ſtieg.
„Was fehlt Jhnen, junger Kavalier, fragte der Herr.‟
„Ach! mein Herr, ich betrachte dies Bildniß ei- ner mir ſehr theuren Perſon! …‟
„Seyv theuern! … ſagte der Alte, der nun ſeinen jungen Gaſt voll Freuden betrachtete. Dies iſt meine Tochter!‟
„Meine Mutter.‟
„Jhre, mein Herr?‟
„Er-
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„Wenigſtens, mein Herr, erwiederte der junge
Mann, wuͤnſch’ ich ihnen gewiß alles gute auf
einmal.‟
Der Alte bot ihm, ohne zu antworten, ſeine
Hand, fuͤhrte ihn in das ſchoͤnſte Zimmer ſeines
Schloſſes, ließ ihn niederſetzen, und fragte, was er
zum Fruͤhſtuͤck verlange. Der junge Mann war
von ſeiner Mutter bereits unterrichtet, daß in dem
Geſellſchaftsſaal des Großvaters, die Familienpor-
traits aufgeſtellt waͤren, und unter andern das ihri-
ge zwiſchen ihrem Vater und Mutter haͤngen wuͤrde.
Seine Augen ſuchten daher, als er dem alten Herrn
antwortete, daß er zwar zu fruͤhſtuͤcken wuͤnſchte, es
ihm aber einerley ſey was, im Zimmer auch dieſe Ge-
maͤhlde: Er hatte Zeit genug ſie genau zu betrachten,
waͤhrend daß ſein Großvater die noͤthigen Befehle
gab; und der Alte fand ihn noch bei ſeiner Ruͤckkehr,
wie ihm bey Betrachtung von Chriſtinens Bildniſſe
eine Thraͤne ins Auge ſtieg.
„Was fehlt Jhnen, junger Kavalier, fragte
der Herr.‟
„Ach! mein Herr, ich betrachte dies Bildniß ei-
ner mir ſehr theuren Perſon! …‟
„Seyv theuern! … ſagte der Alte, der nun
ſeinen jungen Gaſt voll Freuden betrachtete. Dies
iſt meine Tochter!‟
„Meine Mutter.‟
„Jhre, mein Herr?‟
„Er-
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/104>, abgerufen am 22.11.2024.
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