zutage eine blühende Seidenindustrie aufweist, so bezieht dieselbe gleich der schweizer, englischen und nordamerikanischen ihr ganzes Rohmaterial aus dem Ausland, aus Italien und dem Orient, direct oder mittelbar.
Nach dieser kurzen historischen und geographischen Rundschau über die Verbreitung der Seidenzucht kehren wir nach Japan zurück, zu dem Lande, dessen Industrie und Handelsverhältnisse allseitig zu beleuchten auch Zweck dieses Excurses ist, und das als Seiden- lieferant für unsere europäische Industrie an Bedeutung nur China und Italien nachsteht. Einer eingehenderen Würdigung seiner Seiden- zucht muss jedoch naturgemäss eine kurze Betrachtung ihrer Grund- lagen, des Maulbeerbaums und des Seidenspinners, vorausgehen.
Der weisse Maulbeerbaum (Morus alba. L.), japan. Kuwa, ist gleich dem sich von seinen Blättern nährenden Seidenspinner (Bom- byx mori L.) durch eine sehr alte Cultur in viele Abarten gegliedert, aber trotz mancher gegentheiligen Behauptung mit Sicherheit im ur- sprünglich wildwachsenden Zustande bis jetzt nicht gefunden worden.*) Sein allgemeiner botanischer Charakter kann als bekannt voraus- gesetzt werden. Nur gegen einen viel verbreiteten Irrthum dürfte hier die Bemerkung am Platze sein, dass auch einige Varietäten dieser "weissen Maulbeere" schwarze Früchte bringen, sich aber stets durch die hellgrüneren dünneren und zarteren Blätter von Morus nigra L. sofort unterscheiden.
Der Baum gewöhnt sich an verschiedene Klimate und Bodenarten, und hat desshalb und mit Rücksicht auf seine Wichtigkeit für die Seidenzucht eine weite Verbreitung. So begegnen wir ihm in Europa von den Gestaden der Nord- und Ostsee an bis zu denen des Mittel- meers, bald nur in einzelnen Exemplaren, bald in grösseren Beständen, und diesem letzteren Fall um so häufiger, je wichtiger die Verwen- dung seines Laubes geworden ist.
Die Vermehrung kann durch Samen, Stecklinge und Ableger er- folgen; doch wählt man dazu in der Regel eine der beiden letzten Methoden. Veredelung findet nicht statt. Die Pflanze hat einen raschen Wuchs und treibt jährlich, wenn man sie nach Art der Weiden köpft, mehr als meterlange kräftige Triebe mit reicher Blattentwicke-
*) Selbst gewiegte Botaniker gerathen bei dem verwilderten Vorkommen von Culturpflanzen zuweilen in Zweifel, ob sie nicht eine ursprüngliche Fundstätte und reine Naturform der Pflanze vor sich haben; wie viel mehr wird sich der Laie irren. Wenn daher Oppert in seinem Buch über Korea sowohl den Maul- beerbaum als auch den Theestrauch in diesem Lande wildwachsen lässt, so be- darf dies noch sehr der Bestätigung von sachkundiger Seite.
Rein, Japan. II. 15
4. Viehzucht und Seidenzucht.
zutage eine blühende Seidenindustrie aufweist, so bezieht dieselbe gleich der schweizer, englischen und nordamerikanischen ihr ganzes Rohmaterial aus dem Ausland, aus Italien und dem Orient, direct oder mittelbar.
Nach dieser kurzen historischen und geographischen Rundschau über die Verbreitung der Seidenzucht kehren wir nach Japan zurück, zu dem Lande, dessen Industrie und Handelsverhältnisse allseitig zu beleuchten auch Zweck dieses Excurses ist, und das als Seiden- lieferant für unsere europäische Industrie an Bedeutung nur China und Italien nachsteht. Einer eingehenderen Würdigung seiner Seiden- zucht muss jedoch naturgemäss eine kurze Betrachtung ihrer Grund- lagen, des Maulbeerbaums und des Seidenspinners, vorausgehen.
Der weisse Maulbeerbaum (Morus alba. L.), japan. Kuwa, ist gleich dem sich von seinen Blättern nährenden Seidenspinner (Bom- byx mori L.) durch eine sehr alte Cultur in viele Abarten gegliedert, aber trotz mancher gegentheiligen Behauptung mit Sicherheit im ur- sprünglich wildwachsenden Zustande bis jetzt nicht gefunden worden.*) Sein allgemeiner botanischer Charakter kann als bekannt voraus- gesetzt werden. Nur gegen einen viel verbreiteten Irrthum dürfte hier die Bemerkung am Platze sein, dass auch einige Varietäten dieser »weissen Maulbeere« schwarze Früchte bringen, sich aber stets durch die hellgrüneren dünneren und zarteren Blätter von Morus nigra L. sofort unterscheiden.
Der Baum gewöhnt sich an verschiedene Klimate und Bodenarten, und hat desshalb und mit Rücksicht auf seine Wichtigkeit für die Seidenzucht eine weite Verbreitung. So begegnen wir ihm in Europa von den Gestaden der Nord- und Ostsee an bis zu denen des Mittel- meers, bald nur in einzelnen Exemplaren, bald in grösseren Beständen, und diesem letzteren Fall um so häufiger, je wichtiger die Verwen- dung seines Laubes geworden ist.
Die Vermehrung kann durch Samen, Stecklinge und Ableger er- folgen; doch wählt man dazu in der Regel eine der beiden letzten Methoden. Veredelung findet nicht statt. Die Pflanze hat einen raschen Wuchs und treibt jährlich, wenn man sie nach Art der Weiden köpft, mehr als meterlange kräftige Triebe mit reicher Blattentwicke-
*) Selbst gewiegte Botaniker gerathen bei dem verwilderten Vorkommen von Culturpflanzen zuweilen in Zweifel, ob sie nicht eine ursprüngliche Fundstätte und reine Naturform der Pflanze vor sich haben; wie viel mehr wird sich der Laie irren. Wenn daher Oppert in seinem Buch über Korea sowohl den Maul- beerbaum als auch den Theestrauch in diesem Lande wildwachsen lässt, so be- darf dies noch sehr der Bestätigung von sachkundiger Seite.
Rein, Japan. II. 15
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4. Viehzucht und Seidenzucht.
zutage eine blühende Seidenindustrie aufweist, so bezieht dieselbe
gleich der schweizer, englischen und nordamerikanischen ihr ganzes
Rohmaterial aus dem Ausland, aus Italien und dem Orient, direct oder
mittelbar.
Nach dieser kurzen historischen und geographischen Rundschau
über die Verbreitung der Seidenzucht kehren wir nach Japan zurück,
zu dem Lande, dessen Industrie und Handelsverhältnisse allseitig zu
beleuchten auch Zweck dieses Excurses ist, und das als Seiden-
lieferant für unsere europäische Industrie an Bedeutung nur China
und Italien nachsteht. Einer eingehenderen Würdigung seiner Seiden-
zucht muss jedoch naturgemäss eine kurze Betrachtung ihrer Grund-
lagen, des Maulbeerbaums und des Seidenspinners, vorausgehen.
Der weisse Maulbeerbaum (Morus alba. L.), japan. Kuwa, ist
gleich dem sich von seinen Blättern nährenden Seidenspinner (Bom-
byx mori L.) durch eine sehr alte Cultur in viele Abarten gegliedert,
aber trotz mancher gegentheiligen Behauptung mit Sicherheit im ur-
sprünglich wildwachsenden Zustande bis jetzt nicht gefunden worden. *)
Sein allgemeiner botanischer Charakter kann als bekannt voraus-
gesetzt werden. Nur gegen einen viel verbreiteten Irrthum dürfte hier
die Bemerkung am Platze sein, dass auch einige Varietäten dieser
»weissen Maulbeere« schwarze Früchte bringen, sich aber stets durch
die hellgrüneren dünneren und zarteren Blätter von Morus nigra L.
sofort unterscheiden.
Der Baum gewöhnt sich an verschiedene Klimate und Bodenarten,
und hat desshalb und mit Rücksicht auf seine Wichtigkeit für die
Seidenzucht eine weite Verbreitung. So begegnen wir ihm in Europa
von den Gestaden der Nord- und Ostsee an bis zu denen des Mittel-
meers, bald nur in einzelnen Exemplaren, bald in grösseren Beständen,
und diesem letzteren Fall um so häufiger, je wichtiger die Verwen-
dung seines Laubes geworden ist.
Die Vermehrung kann durch Samen, Stecklinge und Ableger er-
folgen; doch wählt man dazu in der Regel eine der beiden letzten
Methoden. Veredelung findet nicht statt. Die Pflanze hat einen
raschen Wuchs und treibt jährlich, wenn man sie nach Art der Weiden
köpft, mehr als meterlange kräftige Triebe mit reicher Blattentwicke-
*) Selbst gewiegte Botaniker gerathen bei dem verwilderten Vorkommen von
Culturpflanzen zuweilen in Zweifel, ob sie nicht eine ursprüngliche Fundstätte
und reine Naturform der Pflanze vor sich haben; wie viel mehr wird sich der
Laie irren. Wenn daher Oppert in seinem Buch über Korea sowohl den Maul-
beerbaum als auch den Theestrauch in diesem Lande wildwachsen lässt, so be-
darf dies noch sehr der Bestätigung von sachkundiger Seite.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/247>, abgerufen am 23.11.2024.
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