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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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3. Handelsgewächse.
krautartiges Gewächs aus der Familie der Araliaceen. Die walzen-
förmige, möhrenartige Wurzel liefert das von Chinesen, Japanern und
Koreanern hochgeschätzte Arzeneimittel. In der That ist diese Gin-
seng- oder Kraftwurzel, wie man sie bei uns auch genannt hat, die
Cinchona und der Moschus dieser Völker, ein Mittel gegen Fieber und
Schwächezustände aller Art, die wichtigste und theuerste Arzenei, zu
der noch bei Todkranken gegriffen wird, wenn kein anderes Mittel
mehr verfangen will. Bezeichnend für die hohen Preise derselben und
den Glauben an ihre Heilkraft zugleich ist auch die japanische Redens-
art: "Ninjin kute kubiku kuru", d. h. wörtlich "nach Ginsengessen Er-
hängungstod" und dem Sinne nach "man wird durch Ginsengessen wohl
gesund, stirbt aber (weil es arm macht) nachher den Hungertod."

Aus dem Erwähnten geht zur Genüge hervor, dass Linne, als er
den Namen Panax *) der Alten, womit diese in erster Linie wohl einige
Arten Ferula Kleinasiens und des Pontus bezeichneten, auf das Uni-
versalmittel des östlichen Monsungebietes übertrug, von dem er durch
Kaempfer und Andere gehört hatte, wohl kaum ein passenderes Ob-
ject für denselben hätte finden können.

Die Ginsengpflanze wächst in den schattigen Gebirgswaldungen
Ostasiens von Nepal bis zur Mandschurei wild, während sie in Japan
bislang nur in Cultur gefunden wurde. In den tiefen Waldungen
der chinesischen Mandschurei zwischen 39° und 47° N. wurde sie zu-
erst von Pater Jartoux beobachtet. Aber die hier mit Sorgfalt ge-
sammelten Wurzeln, ein Regal des chinesischen Kaiserhauses, reichen
für den grossen Bedarf China's nicht aus; es muss demselben eine
ziemlich weit verbreitete Cultur der Pflanze im nördlichen China, in
Korea und Japan zur Hülfe kommen, woran sich auch noch ein an-
sehnlicher Import von Philadelphia und Baltimore schliesst, welche
Städte den Chinesen die Wurzeln des im Alleghanny-Gebirge wach-
senden, weniger geschätzten Panax quinquefolius liefern.

In Japan wählt man für den Ginsengbau schwarzen, humusreichen
Boden in trockner Lage aus, da nur in ihm die Pfahlwurzeln der
Pflanze sich genügend stark und mit weisser Farbe entwickeln, wäh-
rend sie in eisenschüssiger Erde eine röthliche Färbung annehmen
und dann weniger geschätzt werden. Das gutgedüngte, tief umge-
grabene und wohl zubereitete Feld wird in Beete getheilt, die in der
Regel 27 jap. Fuss (8,13 Meter) lang, 21/2 Fuss breit und 2 Fuss von
einander entfernt sind. Sie ziehen stets von Osten nach Westen.
Um die Pflanzungen gegen directen Sonnenschein und heftige Regen

*) Von panakes, Alles heilend.
Rein, Japan. II. 11

3. Handelsgewächse.
krautartiges Gewächs aus der Familie der Araliaceen. Die walzen-
förmige, möhrenartige Wurzel liefert das von Chinesen, Japanern und
Koreanern hochgeschätzte Arzeneimittel. In der That ist diese Gin-
seng- oder Kraftwurzel, wie man sie bei uns auch genannt hat, die
Cinchona und der Moschus dieser Völker, ein Mittel gegen Fieber und
Schwächezustände aller Art, die wichtigste und theuerste Arzenei, zu
der noch bei Todkranken gegriffen wird, wenn kein anderes Mittel
mehr verfangen will. Bezeichnend für die hohen Preise derselben und
den Glauben an ihre Heilkraft zugleich ist auch die japanische Redens-
art: »Ninjin kute kubiku kuru«, d. h. wörtlich »nach Ginsengessen Er-
hängungstod« und dem Sinne nach »man wird durch Ginsengessen wohl
gesund, stirbt aber (weil es arm macht) nachher den Hungertod.«

Aus dem Erwähnten geht zur Genüge hervor, dass Linné, als er
den Namen Panax *) der Alten, womit diese in erster Linie wohl einige
Arten Ferula Kleinasiens und des Pontus bezeichneten, auf das Uni-
versalmittel des östlichen Monsungebietes übertrug, von dem er durch
Kaempfer und Andere gehört hatte, wohl kaum ein passenderes Ob-
ject für denselben hätte finden können.

Die Ginsengpflanze wächst in den schattigen Gebirgswaldungen
Ostasiens von Nepal bis zur Mandschurei wild, während sie in Japan
bislang nur in Cultur gefunden wurde. In den tiefen Waldungen
der chinesischen Mandschurei zwischen 39° und 47° N. wurde sie zu-
erst von Pater Jartoux beobachtet. Aber die hier mit Sorgfalt ge-
sammelten Wurzeln, ein Regal des chinesischen Kaiserhauses, reichen
für den grossen Bedarf China’s nicht aus; es muss demselben eine
ziemlich weit verbreitete Cultur der Pflanze im nördlichen China, in
Korea und Japan zur Hülfe kommen, woran sich auch noch ein an-
sehnlicher Import von Philadelphia und Baltimore schliesst, welche
Städte den Chinesen die Wurzeln des im Alleghanny-Gebirge wach-
senden, weniger geschätzten Panax quinquefolius liefern.

In Japan wählt man für den Ginsengbau schwarzen, humusreichen
Boden in trockner Lage aus, da nur in ihm die Pfahlwurzeln der
Pflanze sich genügend stark und mit weisser Farbe entwickeln, wäh-
rend sie in eisenschüssiger Erde eine röthliche Färbung annehmen
und dann weniger geschätzt werden. Das gutgedüngte, tief umge-
grabene und wohl zubereitete Feld wird in Beete getheilt, die in der
Regel 27 jap. Fuss (8,13 Meter) lang, 2½ Fuss breit und 2 Fuss von
einander entfernt sind. Sie ziehen stets von Osten nach Westen.
Um die Pflanzungen gegen directen Sonnenschein und heftige Regen

*) Von πανακής, Alles heilend.
Rein, Japan. II. 11
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[161/0183] 3. Handelsgewächse. krautartiges Gewächs aus der Familie der Araliaceen. Die walzen- förmige, möhrenartige Wurzel liefert das von Chinesen, Japanern und Koreanern hochgeschätzte Arzeneimittel. In der That ist diese Gin- seng- oder Kraftwurzel, wie man sie bei uns auch genannt hat, die Cinchona und der Moschus dieser Völker, ein Mittel gegen Fieber und Schwächezustände aller Art, die wichtigste und theuerste Arzenei, zu der noch bei Todkranken gegriffen wird, wenn kein anderes Mittel mehr verfangen will. Bezeichnend für die hohen Preise derselben und den Glauben an ihre Heilkraft zugleich ist auch die japanische Redens- art: »Ninjin kute kubiku kuru«, d. h. wörtlich »nach Ginsengessen Er- hängungstod« und dem Sinne nach »man wird durch Ginsengessen wohl gesund, stirbt aber (weil es arm macht) nachher den Hungertod.« Aus dem Erwähnten geht zur Genüge hervor, dass Linné, als er den Namen Panax *) der Alten, womit diese in erster Linie wohl einige Arten Ferula Kleinasiens und des Pontus bezeichneten, auf das Uni- versalmittel des östlichen Monsungebietes übertrug, von dem er durch Kaempfer und Andere gehört hatte, wohl kaum ein passenderes Ob- ject für denselben hätte finden können. Die Ginsengpflanze wächst in den schattigen Gebirgswaldungen Ostasiens von Nepal bis zur Mandschurei wild, während sie in Japan bislang nur in Cultur gefunden wurde. In den tiefen Waldungen der chinesischen Mandschurei zwischen 39° und 47° N. wurde sie zu- erst von Pater Jartoux beobachtet. Aber die hier mit Sorgfalt ge- sammelten Wurzeln, ein Regal des chinesischen Kaiserhauses, reichen für den grossen Bedarf China’s nicht aus; es muss demselben eine ziemlich weit verbreitete Cultur der Pflanze im nördlichen China, in Korea und Japan zur Hülfe kommen, woran sich auch noch ein an- sehnlicher Import von Philadelphia und Baltimore schliesst, welche Städte den Chinesen die Wurzeln des im Alleghanny-Gebirge wach- senden, weniger geschätzten Panax quinquefolius liefern. In Japan wählt man für den Ginsengbau schwarzen, humusreichen Boden in trockner Lage aus, da nur in ihm die Pfahlwurzeln der Pflanze sich genügend stark und mit weisser Farbe entwickeln, wäh- rend sie in eisenschüssiger Erde eine röthliche Färbung annehmen und dann weniger geschätzt werden. Das gutgedüngte, tief umge- grabene und wohl zubereitete Feld wird in Beete getheilt, die in der Regel 27 jap. Fuss (8,13 Meter) lang, 2½ Fuss breit und 2 Fuss von einander entfernt sind. Sie ziehen stets von Osten nach Westen. Um die Pflanzungen gegen directen Sonnenschein und heftige Regen *) Von πανακής, Alles heilend. Rein, Japan. II. 11

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/183>, abgerufen am 25.04.2024.