Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.I. Geschichte des japanischen Volkes. quellen des japanischen Reiches, wie sie zuerst Marco Polo gehegtund verbreitet hatte und die später durch die Berichte der Portugiesen und Holländer weiter genährt wurden, riefen im Verein mit den poli- tischen Umwälzungen eine fieberhafte Speculation auf Japan hervor. In den Vertragshäfen zu Yokohama (Kanagawa), Nagasaki, Kobe (Hiogo), Osaka, Tokio, Niigata und Hakodate sammelte sich zur Ausbeutung der wirklichen oder geträumten Vortheile eine äusserst gemischte Gesellschaft aus fast allen Ländern des christlichen Abend- landes. Neben dem talentvollen, achtbaren und redlich strebenden Manne erschienen, wie in jedem neu erschlossenen Lande, Abenteurer aller Art, Leute, die materiell nur gewinnen konnten und moralisch nichts zu verlieren hatten. In ihren Systemen, bei den Eingeborenen und insbesondere bei der Regierung sich in Gunst zu setzen, wichen sie weit von einander ab, gemeinsam war ihnen nur das Streben, das Land ausbeuten zu helfen. Einzelne glaubten dies Ziel am sicher- sten dadurch zu erreichen, dass sie möglichst rasch in Kleidung, Lebensweise und sonstigen Aeusserlichkeiten sich im lächerlichen Copieren der Landessitte übten, worin namentlich ein amerikani- scher Rechtsconsulent der Regierung Grosses leistete. Andere wieder hofften gerade dadurch zu imponieren, dass sie ihrer natürlichen Rohheit freien Lauf liessen und sich möglichst wenig biegsam und rücksichtsvoll zeigten. Noch Andere schlugen den goldenen Mittel- weg ein oder suchten, klüger als alle Uebrigen, der nationalen Eitelkeit möglichst zu schmeicheln und dann in Gemeinschaft mit käuflichen Beamten, an denen die moderne Regierung keinen Mangel haben soll, der goldenen Gans die Federn auszurupfen. Dass in dieser Richtung namentlich mehrere amerikanische Fortschrittsapostel mit vielem Erfolg ihr Glück versuchten, darf uns bei der grossen Schule "of smartness", welche Viele jenseits des Oceans durchmachen, nicht Wunder nehmen. Die Civilisation eines Volkes ist keine Treibhauspflanze, sondern I. Geschichte des japanischen Volkes. quellen des japanischen Reiches, wie sie zuerst Marco Polo gehegtund verbreitet hatte und die später durch die Berichte der Portugiesen und Holländer weiter genährt wurden, riefen im Verein mit den poli- tischen Umwälzungen eine fieberhafte Speculation auf Japan hervor. In den Vertragshäfen zu Yokohama (Kanagawa), Nagasaki, Kobe (Hiogo), Ôsaka, Tôkio, Niigata und Hakodate sammelte sich zur Ausbeutung der wirklichen oder geträumten Vortheile eine äusserst gemischte Gesellschaft aus fast allen Ländern des christlichen Abend- landes. Neben dem talentvollen, achtbaren und redlich strebenden Manne erschienen, wie in jedem neu erschlossenen Lande, Abenteurer aller Art, Leute, die materiell nur gewinnen konnten und moralisch nichts zu verlieren hatten. In ihren Systemen, bei den Eingeborenen und insbesondere bei der Regierung sich in Gunst zu setzen, wichen sie weit von einander ab, gemeinsam war ihnen nur das Streben, das Land ausbeuten zu helfen. Einzelne glaubten dies Ziel am sicher- sten dadurch zu erreichen, dass sie möglichst rasch in Kleidung, Lebensweise und sonstigen Aeusserlichkeiten sich im lächerlichen Copieren der Landessitte übten, worin namentlich ein amerikani- scher Rechtsconsulent der Regierung Grosses leistete. Andere wieder hofften gerade dadurch zu imponieren, dass sie ihrer natürlichen Rohheit freien Lauf liessen und sich möglichst wenig biegsam und rücksichtsvoll zeigten. Noch Andere schlugen den goldenen Mittel- weg ein oder suchten, klüger als alle Uebrigen, der nationalen Eitelkeit möglichst zu schmeicheln und dann in Gemeinschaft mit käuflichen Beamten, an denen die moderne Regierung keinen Mangel haben soll, der goldenen Gans die Federn auszurupfen. Dass in dieser Richtung namentlich mehrere amerikanische Fortschrittsapostel mit vielem Erfolg ihr Glück versuchten, darf uns bei der grossen Schule »of smartness«, welche Viele jenseits des Oceans durchmachen, nicht Wunder nehmen. Die Civilisation eines Volkes ist keine Treibhauspflanze, sondern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0466" n="438"/><fw place="top" type="header">I. 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Die wahre Civilisa-<lb/> tion besteht nicht blos in angenehmen äusseren Umgangsformen, wie<lb/> sie sich im geselligen Verkehre darstellen, sondern sie ist der Aus-<lb/> druck des ganzen Culturzustandes eines Volkes, als dessen höchste<lb/> Producte die Bildung im allgemeinen, das in guten Gesetzen sich<lb/> aussprechende Rechtsbewusstsein, die Entwickelung der Künste und<lb/> eine von edlem Geiste getragene Literatur anzusehen sind. Eine<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [438/0466]
I. Geschichte des japanischen Volkes.
quellen des japanischen Reiches, wie sie zuerst Marco Polo gehegt
und verbreitet hatte und die später durch die Berichte der Portugiesen
und Holländer weiter genährt wurden, riefen im Verein mit den poli-
tischen Umwälzungen eine fieberhafte Speculation auf Japan hervor.
In den Vertragshäfen zu Yokohama (Kanagawa), Nagasaki, Kobe
(Hiogo), Ôsaka, Tôkio, Niigata und Hakodate sammelte sich zur
Ausbeutung der wirklichen oder geträumten Vortheile eine äusserst
gemischte Gesellschaft aus fast allen Ländern des christlichen Abend-
landes. Neben dem talentvollen, achtbaren und redlich strebenden
Manne erschienen, wie in jedem neu erschlossenen Lande, Abenteurer
aller Art, Leute, die materiell nur gewinnen konnten und moralisch
nichts zu verlieren hatten. In ihren Systemen, bei den Eingeborenen
und insbesondere bei der Regierung sich in Gunst zu setzen, wichen
sie weit von einander ab, gemeinsam war ihnen nur das Streben, das
Land ausbeuten zu helfen. Einzelne glaubten dies Ziel am sicher-
sten dadurch zu erreichen, dass sie möglichst rasch in Kleidung,
Lebensweise und sonstigen Aeusserlichkeiten sich im lächerlichen
Copieren der Landessitte übten, worin namentlich ein amerikani-
scher Rechtsconsulent der Regierung Grosses leistete. Andere wieder
hofften gerade dadurch zu imponieren, dass sie ihrer natürlichen
Rohheit freien Lauf liessen und sich möglichst wenig biegsam und
rücksichtsvoll zeigten. Noch Andere schlugen den goldenen Mittel-
weg ein oder suchten, klüger als alle Uebrigen, der nationalen
Eitelkeit möglichst zu schmeicheln und dann in Gemeinschaft mit
käuflichen Beamten, an denen die moderne Regierung keinen Mangel
haben soll, der goldenen Gans die Federn auszurupfen. Dass in
dieser Richtung namentlich mehrere amerikanische Fortschrittsapostel
mit vielem Erfolg ihr Glück versuchten, darf uns bei der grossen
Schule »of smartness«, welche Viele jenseits des Oceans durchmachen,
nicht Wunder nehmen.
Die Civilisation eines Volkes ist keine Treibhauspflanze, sondern
einem im Freien sich entwickelnden Baume vergleichbar, der aus
schwachem Keime auf günstigem Boden und bei genügender Pflege
kräftig emporwächst, tief wurzelt, manchem Sturme trotzt, kühlenden
Schatten gewährt und reichlich Früchte bringt. Die wahre Civilisa-
tion besteht nicht blos in angenehmen äusseren Umgangsformen, wie
sie sich im geselligen Verkehre darstellen, sondern sie ist der Aus-
druck des ganzen Culturzustandes eines Volkes, als dessen höchste
Producte die Bildung im allgemeinen, das in guten Gesetzen sich
aussprechende Rechtsbewusstsein, die Entwickelung der Künste und
eine von edlem Geiste getragene Literatur anzusehen sind. Eine
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