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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
volles Genüge geschehen war, eine grosse Flotte gesammelt, bestehend
aus 9 englischen, 3 französischen, 4 holländischen und einem ameri-
kanischen Kriegsschiffe, und Shimonoseki am 5. und 6. September
1864 beschossen. Man vertheidigte sich tapfer, doch vergeblich, die
Schiffe und Batterien wurden zum Schweigen gebracht, genommen
oder zerstört und Choshiu gezwungen, um Frieden zu bitten. Es war
eine bittere Lection für Choshiu nicht blos, sondern für das ganze
Land, denn dieses hatte eine Indemnität (The Shimonoseki Indemnity)
von 3 Millionen Dollars zu zahlen, je $ 750000 an Frankreich, Hol-
land und die Vereinigten Staaten und $ 645000 an England, und
zwar in Raten, deren letzte erst erfolgte, lange nachdem in Japan
andere Zustände eingetreten waren.

Man hat das Vorgehen Englands in dieser Angelegenheit scharf
getadelt und wohl mit Recht, und ebenso die anderen Vertreter, dass
sich dieselben von Alcock so sehr beeinflussen liessen. Anderseits
wird man zugeben müssen, dass gerade die beiden Lectionen, welche
die Japaner in Kagoshima und Shimonoseki erhielten, wesentlich
dazu beitrugen, den Gedanken an die Vertreibung der Fremden mehr
und mehr fallen zu lassen und jene Umstimmung der einflussreichsten
Männer zu bewirken, deren Fremdenhass früher keine Grenzen kannte.
Satsuma und Choshiu, die streitbarsten und ihrer grossen Tapferkeit
wegen angesehensten Clane, hatten zunächst die Ueberlegenheit frem-
der Waffen und Kampfweise kennen gelernt und waren nun eifrig
bemüht, beides sich anzueignen. In Satsuma war ein Samurai, Na-
mens Saigo Takamori, welcher in der Folge noch eine grosse
Rolle spielte, zu grossem Einfluss gelangt. Derselbe war einer der
ersten hier, welcher einsah, dass das Vertreiben der Fremden ein
vergebliches Bemühen sei und man wohl oder übel den Hass gegen
dieselben fallen lassen und von ihnen lernen müsse. Auch gelang es
ihm, diese Ansicht im ganzen Clane zu Geltung zu bringen. Mit Kido
von Choshiu verband er sich dann zur Begleichung der Differenzen
zwischen den Häusern und Samurai beider Herrschaften, und nach-
dem ihm dies gelungen, zur Verfolgung ihres gemeinsamen Strebens
für Beseitigung des Shogunats und zur grösseren Machtentwickelung
Japans unter dem Mikado als legitimen Herrn des Landes. Sie waren
vereint mit mehreren Anderen die tonangebenden Männer, den Boden
vorzubereiten, auf welchen dann der Mikado sich stützen und die ihm
gebührende Macht aus den Händen des Shogun zurückfordern konnte.
Im Jahre 1868 führten dann die vier mächtigsten Feudalherren des
Südens, von Satsuma, Hizen, Choshiu und Tosa, diesen Willen des
Mikado aus und beseitigten in einem blutigen Bürgerkriege allen

I. Geschichte des japanischen Volkes.
volles Genüge geschehen war, eine grosse Flotte gesammelt, bestehend
aus 9 englischen, 3 französischen, 4 holländischen und einem ameri-
kanischen Kriegsschiffe, und Shimonoseki am 5. und 6. September
1864 beschossen. Man vertheidigte sich tapfer, doch vergeblich, die
Schiffe und Batterien wurden zum Schweigen gebracht, genommen
oder zerstört und Chôshiu gezwungen, um Frieden zu bitten. Es war
eine bittere Lection für Chôshiu nicht blos, sondern für das ganze
Land, denn dieses hatte eine Indemnität (The Shimonoseki Indemnity)
von 3 Millionen Dollars zu zahlen, je $ 750000 an Frankreich, Hol-
land und die Vereinigten Staaten und $ 645000 an England, und
zwar in Raten, deren letzte erst erfolgte, lange nachdem in Japan
andere Zustände eingetreten waren.

Man hat das Vorgehen Englands in dieser Angelegenheit scharf
getadelt und wohl mit Recht, und ebenso die anderen Vertreter, dass
sich dieselben von Alcock so sehr beeinflussen liessen. Anderseits
wird man zugeben müssen, dass gerade die beiden Lectionen, welche
die Japaner in Kagoshima und Shimonoseki erhielten, wesentlich
dazu beitrugen, den Gedanken an die Vertreibung der Fremden mehr
und mehr fallen zu lassen und jene Umstimmung der einflussreichsten
Männer zu bewirken, deren Fremdenhass früher keine Grenzen kannte.
Satsuma und Chôshiu, die streitbarsten und ihrer grossen Tapferkeit
wegen angesehensten Clane, hatten zunächst die Ueberlegenheit frem-
der Waffen und Kampfweise kennen gelernt und waren nun eifrig
bemüht, beides sich anzueignen. In Satsuma war ein Samurai, Na-
mens Saigo Takamori, welcher in der Folge noch eine grosse
Rolle spielte, zu grossem Einfluss gelangt. Derselbe war einer der
ersten hier, welcher einsah, dass das Vertreiben der Fremden ein
vergebliches Bemühen sei und man wohl oder übel den Hass gegen
dieselben fallen lassen und von ihnen lernen müsse. Auch gelang es
ihm, diese Ansicht im ganzen Clane zu Geltung zu bringen. Mit Kido
von Chôshiu verband er sich dann zur Begleichung der Differenzen
zwischen den Häusern und Samurai beider Herrschaften, und nach-
dem ihm dies gelungen, zur Verfolgung ihres gemeinsamen Strebens
für Beseitigung des Shôgunats und zur grösseren Machtentwickelung
Japans unter dem Mikado als legitimen Herrn des Landes. Sie waren
vereint mit mehreren Anderen die tonangebenden Männer, den Boden
vorzubereiten, auf welchen dann der Mikado sich stützen und die ihm
gebührende Macht aus den Händen des Shôgun zurückfordern konnte.
Im Jahre 1868 führten dann die vier mächtigsten Feudalherren des
Südens, von Satsuma, Hizen, Chôshiu und Tosa, diesen Willen des
Mikado aus und beseitigten in einem blutigen Bürgerkriege allen

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[406/0434] I. Geschichte des japanischen Volkes. volles Genüge geschehen war, eine grosse Flotte gesammelt, bestehend aus 9 englischen, 3 französischen, 4 holländischen und einem ameri- kanischen Kriegsschiffe, und Shimonoseki am 5. und 6. September 1864 beschossen. Man vertheidigte sich tapfer, doch vergeblich, die Schiffe und Batterien wurden zum Schweigen gebracht, genommen oder zerstört und Chôshiu gezwungen, um Frieden zu bitten. Es war eine bittere Lection für Chôshiu nicht blos, sondern für das ganze Land, denn dieses hatte eine Indemnität (The Shimonoseki Indemnity) von 3 Millionen Dollars zu zahlen, je $ 750000 an Frankreich, Hol- land und die Vereinigten Staaten und $ 645000 an England, und zwar in Raten, deren letzte erst erfolgte, lange nachdem in Japan andere Zustände eingetreten waren. Man hat das Vorgehen Englands in dieser Angelegenheit scharf getadelt und wohl mit Recht, und ebenso die anderen Vertreter, dass sich dieselben von Alcock so sehr beeinflussen liessen. Anderseits wird man zugeben müssen, dass gerade die beiden Lectionen, welche die Japaner in Kagoshima und Shimonoseki erhielten, wesentlich dazu beitrugen, den Gedanken an die Vertreibung der Fremden mehr und mehr fallen zu lassen und jene Umstimmung der einflussreichsten Männer zu bewirken, deren Fremdenhass früher keine Grenzen kannte. Satsuma und Chôshiu, die streitbarsten und ihrer grossen Tapferkeit wegen angesehensten Clane, hatten zunächst die Ueberlegenheit frem- der Waffen und Kampfweise kennen gelernt und waren nun eifrig bemüht, beides sich anzueignen. In Satsuma war ein Samurai, Na- mens Saigo Takamori, welcher in der Folge noch eine grosse Rolle spielte, zu grossem Einfluss gelangt. Derselbe war einer der ersten hier, welcher einsah, dass das Vertreiben der Fremden ein vergebliches Bemühen sei und man wohl oder übel den Hass gegen dieselben fallen lassen und von ihnen lernen müsse. Auch gelang es ihm, diese Ansicht im ganzen Clane zu Geltung zu bringen. Mit Kido von Chôshiu verband er sich dann zur Begleichung der Differenzen zwischen den Häusern und Samurai beider Herrschaften, und nach- dem ihm dies gelungen, zur Verfolgung ihres gemeinsamen Strebens für Beseitigung des Shôgunats und zur grösseren Machtentwickelung Japans unter dem Mikado als legitimen Herrn des Landes. Sie waren vereint mit mehreren Anderen die tonangebenden Männer, den Boden vorzubereiten, auf welchen dann der Mikado sich stützen und die ihm gebührende Macht aus den Händen des Shôgun zurückfordern konnte. Im Jahre 1868 führten dann die vier mächtigsten Feudalherren des Südens, von Satsuma, Hizen, Chôshiu und Tosa, diesen Willen des Mikado aus und beseitigten in einem blutigen Bürgerkriege allen

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/434>, abgerufen am 19.05.2024.