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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.

Als Shirakawa sich um das Jahr 1073 von Kioto zurückzog, um
vom Kloster aus freier und unabhängiger von den Fujiwara die Re-
gierung zu leiten, die er formell seinem Sohne Horikawa-Tenno über-
tragen hatte, gehörte zu seiner Leibwache ein junger, tapferer Offizier
Namens Taira-no-Tadamori, den er in hohem Grade begünstigte
und der dadurch bald, trotz vieler Gegner am Hofe, zu einer bedeu-
tenden Stellung im Staate gelangte. Das Resultat seiner zu intimen
Beziehungen zu einem der Nebenweiber seines Herrn war ein Sohn,
Namens Kiyomori (1118). Die Corruption des Hofes war so gross,
dass man an diesem Vorfalle keinen Anstoss nahm. Tadamori blieb
auch in der Gunst des prunksüchtigen und ausschweifenden Toba-
Tenno. Unter der Regierung seines Nachfolgers Shutoku-Tenno
(1124--1141) suchten koreanische Piraten die Küsten von Kiushiu und
Shikoku heim. Tadamori erhielt den Auftrag, diesem Unwesen
ein Ende zu machen, und entledigte sich desselben mit vielem Erfolg.
Etwa um dieselbe Zeit musste in Kioto der Minamoto Tameyoshi
einen erneuten bewaffneten Einfall von Priestern des Hiyesan zurück-
schlagen.

Mit 20 Jahren wurde Shutoku-Tenno, der eingerissenen Sitte
gemäss, depossediert, und bezog gleich seinem Vater Toba ein Kloster,
um einem dreijährigen Stiefbruder Toshi-hito Platz zu machen, den
seine ränke- und gefallsüchtige Mutter (Tochter eines Fujiwara) gern
auf dem Throne sehen wollte. Unter dem Namen Konoye-Tenno
nahm dieser von 1142--1150 als 76. Mikado den Thron ein. Im
ersten Jahre seiner Herrschaft erschien ein grosser Komet (hoki-boshi
oder Besenstern) am Himmel. Jedermann deutete dies als ein Zeichen
eines nahen, grossen Krieges, den Weiterblickende indess auch aus
anderen Ursachen zu fürchten Grund hatten. Mit 17 Jahren starb
der Kaiser plötzlich und eben so unerwartet sechs Jahre darauf sein
schwacher Vater Toba. Das Intriguenspiel und der Streit wegen der
Thronfolge, für welche nicht weniger als drei Candidaten, unmündige
Kinder, beziehungsweise Enkel von Toba, aufgestellt wurden, waren
alsbald im vollen Gange. Shutoku-Tenno trat hervor und bean-
spruchte das Erbe für sich und seinen Sohn. Ein Fujiwara, der Sa-
Daijin Yorinaga, ein jüngerer Bruder des Kuwambaku Tadamitsu,
fast alle Minamoto unter Führung von Tameyoshi, nebst einem
Taira Namens Tadamasa unterstützten seine Ansprüche. Die Gegen-
parteien vereinigten sich und machten unter der Führung des Kuwam-
baku rasch einen der vielen Söhne des Toba zum Kaiser. Derselbe
führte unter dem späteren Namen Go-Shirakawa-Tenno (Shira-
kawa II.) drei Jahre lang (1156--1159) die fingierte Herrschaft.

I. Geschichte des japanischen Volkes.

Als Shirakawa sich um das Jahr 1073 von Kiôto zurückzog, um
vom Kloster aus freier und unabhängiger von den Fujiwara die Re-
gierung zu leiten, die er formell seinem Sohne Horikawa-Tennô über-
tragen hatte, gehörte zu seiner Leibwache ein junger, tapferer Offizier
Namens Taira-no-Tadamori, den er in hohem Grade begünstigte
und der dadurch bald, trotz vieler Gegner am Hofe, zu einer bedeu-
tenden Stellung im Staate gelangte. Das Resultat seiner zu intimen
Beziehungen zu einem der Nebenweiber seines Herrn war ein Sohn,
Namens Kiyomori (1118). Die Corruption des Hofes war so gross,
dass man an diesem Vorfalle keinen Anstoss nahm. Tadamori blieb
auch in der Gunst des prunksüchtigen und ausschweifenden Toba-
Tennô. Unter der Regierung seines Nachfolgers Shutoku-Tennô
(1124—1141) suchten koreanische Piraten die Küsten von Kiushiu und
Shikoku heim. Tadamori erhielt den Auftrag, diesem Unwesen
ein Ende zu machen, und entledigte sich desselben mit vielem Erfolg.
Etwa um dieselbe Zeit musste in Kiôto der Minamoto Tameyoshi
einen erneuten bewaffneten Einfall von Priestern des Hiyesan zurück-
schlagen.

Mit 20 Jahren wurde Shutoku-Tennô, der eingerissenen Sitte
gemäss, depossediert, und bezog gleich seinem Vater Toba ein Kloster,
um einem dreijährigen Stiefbruder Toshi-hito Platz zu machen, den
seine ränke- und gefallsüchtige Mutter (Tochter eines Fujiwara) gern
auf dem Throne sehen wollte. Unter dem Namen Konoye-Tennô
nahm dieser von 1142—1150 als 76. Mikado den Thron ein. Im
ersten Jahre seiner Herrschaft erschien ein grosser Komet (hoki-bôshi
oder Besenstern) am Himmel. Jedermann deutete dies als ein Zeichen
eines nahen, grossen Krieges, den Weiterblickende indess auch aus
anderen Ursachen zu fürchten Grund hatten. Mit 17 Jahren starb
der Kaiser plötzlich und eben so unerwartet sechs Jahre darauf sein
schwacher Vater Toba. Das Intriguenspiel und der Streit wegen der
Thronfolge, für welche nicht weniger als drei Candidaten, unmündige
Kinder, beziehungsweise Enkel von Toba, aufgestellt wurden, waren
alsbald im vollen Gange. Shutoku-Tennô trat hervor und bean-
spruchte das Erbe für sich und seinen Sohn. Ein Fujiwara, der Sa-
Daijin Yorinaga, ein jüngerer Bruder des Kuwambaku Tadamitsu,
fast alle Minamoto unter Führung von Tameyoshi, nebst einem
Taira Namens Tadamasa unterstützten seine Ansprüche. Die Gegen-
parteien vereinigten sich und machten unter der Führung des Kuwam-
baku rasch einen der vielen Söhne des Toba zum Kaiser. Derselbe
führte unter dem späteren Namen Go-Shirakawa-Tennô (Shira-
kawa II.) drei Jahre lang (1156—1159) die fingierte Herrschaft.

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[266/0292] I. Geschichte des japanischen Volkes. Als Shirakawa sich um das Jahr 1073 von Kiôto zurückzog, um vom Kloster aus freier und unabhängiger von den Fujiwara die Re- gierung zu leiten, die er formell seinem Sohne Horikawa-Tennô über- tragen hatte, gehörte zu seiner Leibwache ein junger, tapferer Offizier Namens Taira-no-Tadamori, den er in hohem Grade begünstigte und der dadurch bald, trotz vieler Gegner am Hofe, zu einer bedeu- tenden Stellung im Staate gelangte. Das Resultat seiner zu intimen Beziehungen zu einem der Nebenweiber seines Herrn war ein Sohn, Namens Kiyomori (1118). Die Corruption des Hofes war so gross, dass man an diesem Vorfalle keinen Anstoss nahm. Tadamori blieb auch in der Gunst des prunksüchtigen und ausschweifenden Toba- Tennô. Unter der Regierung seines Nachfolgers Shutoku-Tennô (1124—1141) suchten koreanische Piraten die Küsten von Kiushiu und Shikoku heim. Tadamori erhielt den Auftrag, diesem Unwesen ein Ende zu machen, und entledigte sich desselben mit vielem Erfolg. Etwa um dieselbe Zeit musste in Kiôto der Minamoto Tameyoshi einen erneuten bewaffneten Einfall von Priestern des Hiyesan zurück- schlagen. Mit 20 Jahren wurde Shutoku-Tennô, der eingerissenen Sitte gemäss, depossediert, und bezog gleich seinem Vater Toba ein Kloster, um einem dreijährigen Stiefbruder Toshi-hito Platz zu machen, den seine ränke- und gefallsüchtige Mutter (Tochter eines Fujiwara) gern auf dem Throne sehen wollte. Unter dem Namen Konoye-Tennô nahm dieser von 1142—1150 als 76. Mikado den Thron ein. Im ersten Jahre seiner Herrschaft erschien ein grosser Komet (hoki-bôshi oder Besenstern) am Himmel. Jedermann deutete dies als ein Zeichen eines nahen, grossen Krieges, den Weiterblickende indess auch aus anderen Ursachen zu fürchten Grund hatten. Mit 17 Jahren starb der Kaiser plötzlich und eben so unerwartet sechs Jahre darauf sein schwacher Vater Toba. Das Intriguenspiel und der Streit wegen der Thronfolge, für welche nicht weniger als drei Candidaten, unmündige Kinder, beziehungsweise Enkel von Toba, aufgestellt wurden, waren alsbald im vollen Gange. Shutoku-Tennô trat hervor und bean- spruchte das Erbe für sich und seinen Sohn. Ein Fujiwara, der Sa- Daijin Yorinaga, ein jüngerer Bruder des Kuwambaku Tadamitsu, fast alle Minamoto unter Führung von Tameyoshi, nebst einem Taira Namens Tadamasa unterstützten seine Ansprüche. Die Gegen- parteien vereinigten sich und machten unter der Führung des Kuwam- baku rasch einen der vielen Söhne des Toba zum Kaiser. Derselbe führte unter dem späteren Namen Go-Shirakawa-Tennô (Shira- kawa II.) drei Jahre lang (1156—1159) die fingierte Herrschaft.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/292>, abgerufen am 23.11.2024.