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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kioto etc.
Auf seiner Seite standen ausser Tadamitsu, dem Kuwambaku, fast
alle Taira. Noch fehlte es an einem fähigen Heerführer. Da bot
Taira Kiyomori, der Bastard, ein Mann von 38 Jahren, dem neuen
Kaiser seine Dienste an. Obwohl er sich bis dahin noch nicht be-
sonders hervorgethan hatte, wurden sie angenommen, denn er hatte
alle Aemter und Würden seines Vaters ererbt und mit ihnen die
Führerschaft seiner Familie. Ausserdem aber imponierte er durch
seine hohe, kräftige Gestalt und hervorragende Geistesgaben, denn er
war klug und besonnen im Rath, kühn und tapfer in der That. Seine
zwei Söhne, Shigemori und Munemori, standen ihm tapfer zur
Seite, ebenso Minamoto-Yoshitomo, Bruder von Tameyoshi. Elf
Tage nach dem Tode des Toba kam es schon zur Schlacht zwischen
beiden Parteien. Auf beiden Seiten wurde tapfer gekämpft, aber
Kiyomori blieb Sieger. Yorinaga, als er sah, dass seine Sache ver-
loren war, gab sich selbst den Tod; der Exkaiser Shutoku aber
gerieth in Gefangenschaft und wurde nach Shikoku verbannt, der
Minamoto Tameyoshi aber nach Idzu *). Kiyomori war nun Herr der
Lage. Bald hatte er als Daijo-Daijin die höchste, ihm mögliche Stelle
im Staate erreicht und schaltete nun unbekümmert um den nominellen
Landesherrn und den Kuwambaku. Die Macht, welche er theils
durch seine Tapferkeit, theils durch Mord und andere verwerfliche
Mittel sich und seinem Hause errungen hatte und zu erhalten suchte,
war nur von kurzer Dauer. Er machte Mikado und depossedierte sie
nach Gutdünken **) und gab sich einem Nepotismus hin, welcher sich
dem der Fujiwara ebenbürtig zur Seite stellen konnte. Freundlich
und freigebig gegen seine Freunde, war er grausam und unversöhnlich
gegen seine Feinde und argwöhnisch gegen alle, die seinem unbe-

*) Tameyoshi oder Tametomo, ein jüngerer Bruder des Yoshitomo,
war der stärkste Mann und berühmteste Bogenschütze seiner Zeit. Ein Bild
desselben wurde vor einigen Jahren gewählt, um das neue japanische Papiergeld
schmücken zu helfen. Nachdem er in Gefangenschaft gerathen war, durchschnitt
man die Muskeln seines rechten Armes und sandte ihn in einem Käfig nach Idzu.
Er entkam geheilt und floh nach O-shima (Vries-Insel) und von da nach der
Insel Hachijo im Süden der Yedobucht. Von hier soll er sich später nach den
Riukiu-Inseln begeben, verheirathet und grossen Einfluss gewonnen haben. Der
erste historische König dieser Inselgruppe, Sunten, wird als sein Sohn ange-
sehen. Um das Jahr 1171 erschien Minamoto-Tametomo, den man längst für
verschollen und todt gehalten hatte, plötzlich wieder in Idzu, um an den wieder
begonnenen Kämpfen gegen die Taira theilzunehmen, wurde aber von Shigemori
geschlagen und nahm sich, um der Gefangenschaft zu entgehen, das Leben.
**) Die beste Illustration der Zustände kann wohl Rokujio-Tenno, der 79. Mi-
kado (1166--1168), abgeben, welchen Kiyomori als zweijähriges Kind seinem
Vater Nijo-Tenno folgen liess und als fünfjähriges depossedierte.

2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc.
Auf seiner Seite standen ausser Tadamitsu, dem Kuwambaku, fast
alle Taira. Noch fehlte es an einem fähigen Heerführer. Da bot
Taira Kiyomori, der Bastard, ein Mann von 38 Jahren, dem neuen
Kaiser seine Dienste an. Obwohl er sich bis dahin noch nicht be-
sonders hervorgethan hatte, wurden sie angenommen, denn er hatte
alle Aemter und Würden seines Vaters ererbt und mit ihnen die
Führerschaft seiner Familie. Ausserdem aber imponierte er durch
seine hohe, kräftige Gestalt und hervorragende Geistesgaben, denn er
war klug und besonnen im Rath, kühn und tapfer in der That. Seine
zwei Söhne, Shigemori und Munemori, standen ihm tapfer zur
Seite, ebenso Minamoto-Yoshitomo, Bruder von Tameyoshi. Elf
Tage nach dem Tode des Toba kam es schon zur Schlacht zwischen
beiden Parteien. Auf beiden Seiten wurde tapfer gekämpft, aber
Kiyomori blieb Sieger. Yorinaga, als er sah, dass seine Sache ver-
loren war, gab sich selbst den Tod; der Exkaiser Shutoku aber
gerieth in Gefangenschaft und wurde nach Shikoku verbannt, der
Minamoto Tameyoshi aber nach Idzu *). Kiyomori war nun Herr der
Lage. Bald hatte er als Daijô-Daijin die höchste, ihm mögliche Stelle
im Staate erreicht und schaltete nun unbekümmert um den nominellen
Landesherrn und den Kuwambaku. Die Macht, welche er theils
durch seine Tapferkeit, theils durch Mord und andere verwerfliche
Mittel sich und seinem Hause errungen hatte und zu erhalten suchte,
war nur von kurzer Dauer. Er machte Mikado und depossedierte sie
nach Gutdünken **) und gab sich einem Nepotismus hin, welcher sich
dem der Fujiwara ebenbürtig zur Seite stellen konnte. Freundlich
und freigebig gegen seine Freunde, war er grausam und unversöhnlich
gegen seine Feinde und argwöhnisch gegen alle, die seinem unbe-

*) Tameyoshi oder Tametomo, ein jüngerer Bruder des Yoshitomo,
war der stärkste Mann und berühmteste Bogenschütze seiner Zeit. Ein Bild
desselben wurde vor einigen Jahren gewählt, um das neue japanische Papiergeld
schmücken zu helfen. Nachdem er in Gefangenschaft gerathen war, durchschnitt
man die Muskeln seines rechten Armes und sandte ihn in einem Käfig nach Idzu.
Er entkam geheilt und floh nach Ô-shima (Vries-Insel) und von da nach der
Insel Hachijô im Süden der Yedobucht. Von hier soll er sich später nach den
Riukiu-Inseln begeben, verheirathet und grossen Einfluss gewonnen haben. Der
erste historische König dieser Inselgruppe, Sunten, wird als sein Sohn ange-
sehen. Um das Jahr 1171 erschien Minamoto-Tametomo, den man längst für
verschollen und todt gehalten hatte, plötzlich wieder in Idzu, um an den wieder
begonnenen Kämpfen gegen die Taira theilzunehmen, wurde aber von Shigemori
geschlagen und nahm sich, um der Gefangenschaft zu entgehen, das Leben.
**) Die beste Illustration der Zustände kann wohl Rokujio-Tennô, der 79. Mi-
kado (1166—1168), abgeben, welchen Kiyomori als zweijähriges Kind seinem
Vater Nijô-Tennô folgen liess und als fünfjähriges depossedierte.
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[267/0293] 2. Periode. Von der Gründung der Hauptstadt Kiôto etc. Auf seiner Seite standen ausser Tadamitsu, dem Kuwambaku, fast alle Taira. Noch fehlte es an einem fähigen Heerführer. Da bot Taira Kiyomori, der Bastard, ein Mann von 38 Jahren, dem neuen Kaiser seine Dienste an. Obwohl er sich bis dahin noch nicht be- sonders hervorgethan hatte, wurden sie angenommen, denn er hatte alle Aemter und Würden seines Vaters ererbt und mit ihnen die Führerschaft seiner Familie. Ausserdem aber imponierte er durch seine hohe, kräftige Gestalt und hervorragende Geistesgaben, denn er war klug und besonnen im Rath, kühn und tapfer in der That. Seine zwei Söhne, Shigemori und Munemori, standen ihm tapfer zur Seite, ebenso Minamoto-Yoshitomo, Bruder von Tameyoshi. Elf Tage nach dem Tode des Toba kam es schon zur Schlacht zwischen beiden Parteien. Auf beiden Seiten wurde tapfer gekämpft, aber Kiyomori blieb Sieger. Yorinaga, als er sah, dass seine Sache ver- loren war, gab sich selbst den Tod; der Exkaiser Shutoku aber gerieth in Gefangenschaft und wurde nach Shikoku verbannt, der Minamoto Tameyoshi aber nach Idzu *). Kiyomori war nun Herr der Lage. Bald hatte er als Daijô-Daijin die höchste, ihm mögliche Stelle im Staate erreicht und schaltete nun unbekümmert um den nominellen Landesherrn und den Kuwambaku. Die Macht, welche er theils durch seine Tapferkeit, theils durch Mord und andere verwerfliche Mittel sich und seinem Hause errungen hatte und zu erhalten suchte, war nur von kurzer Dauer. Er machte Mikado und depossedierte sie nach Gutdünken **) und gab sich einem Nepotismus hin, welcher sich dem der Fujiwara ebenbürtig zur Seite stellen konnte. Freundlich und freigebig gegen seine Freunde, war er grausam und unversöhnlich gegen seine Feinde und argwöhnisch gegen alle, die seinem unbe- *) Tameyoshi oder Tametomo, ein jüngerer Bruder des Yoshitomo, war der stärkste Mann und berühmteste Bogenschütze seiner Zeit. Ein Bild desselben wurde vor einigen Jahren gewählt, um das neue japanische Papiergeld schmücken zu helfen. Nachdem er in Gefangenschaft gerathen war, durchschnitt man die Muskeln seines rechten Armes und sandte ihn in einem Käfig nach Idzu. Er entkam geheilt und floh nach Ô-shima (Vries-Insel) und von da nach der Insel Hachijô im Süden der Yedobucht. Von hier soll er sich später nach den Riukiu-Inseln begeben, verheirathet und grossen Einfluss gewonnen haben. Der erste historische König dieser Inselgruppe, Sunten, wird als sein Sohn ange- sehen. Um das Jahr 1171 erschien Minamoto-Tametomo, den man längst für verschollen und todt gehalten hatte, plötzlich wieder in Idzu, um an den wieder begonnenen Kämpfen gegen die Taira theilzunehmen, wurde aber von Shigemori geschlagen und nahm sich, um der Gefangenschaft zu entgehen, das Leben. **) Die beste Illustration der Zustände kann wohl Rokujio-Tennô, der 79. Mi- kado (1166—1168), abgeben, welchen Kiyomori als zweijähriges Kind seinem Vater Nijô-Tennô folgen liess und als fünfjähriges depossedierte.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/293>, abgerufen am 21.06.2024.