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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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Lage, Grösse und Eintheilung Japans.
ten: "Freundschaft hat bestanden seit alter Zeit zwischen Dai Chozen
und Dai Nippon" etc. In dem Maasse, in welchem in der Neuzeit die
Japaner ihren geographischen Blick durch Karten und Unterricht in
den Schulen, sowie auf Reisen erweitert haben, ist eine bedeutende
Ernüchterung in der Schätzung der Grösse ihres eigenen Landes ein-
getreten und der Gebrauch des "Dai" vor "Nippon" auf sonstigen
Publikationen geschwunden.

Nach alter Tradition stammt der Beherrscher Japans oder Mikado
in directer Linie von der Sonnengöttin Amaterasu ab, deren Eltern
das Götterpaar Isanagi und Isanami waren. Als diese eines Tages
auf der von Wolken getragenen Himmelsbrücke erschienen, um das
unter ihnen in der Tiefe wogende Meer zu beschauen, senkte Isanagi
die Spitze seiner reichverzierten Lanze in dasselbe, worauf es sich
alsbald theilte. Die von der Lanze fallenden Tropfen gestalteten sich
zu Inseln, und aus den Wellen stieg zuerst Awaji hervor, auf der
sich das Götterpaar als Adam und Eva niederliessen. Sieben andere
Inseln entstanden mit demselben Schöpfungsacte und führten von da
an zusammen mit Awaji den Namen Oyashima, d. h. "die acht
grossen Inseln". Es sind die oben bereits aufgezählten: Hondo,
Kiushiu, Shikoku, Sado, Tsushima, Awaji, Oki und Iki. Diese
und die umliegenden kleineren Inseln bildeten das alte Japan, ein
Gebiet von 5164 #Meilen, also nicht viel grösser als Preussen vor
1866: Ausser dem Namen Oyashima, später Nippon, hatten die Ja-
paner noch manches Epitheton ornans für ihr Land. So nannten sie
es z. B. Kami-no-kuni, Land der Götter, Shin-koku, Land der hei-
ligen Geister, Oyamato-no-kuni, Land des grossen Friedens, Ono-
goro-shima, Inseln der erstarrten Tropfen, Shiki-shima, ausgebreitete
Inseln etc.

Oyashima oder das alte Japan wird vom japanischen Meer
und Stillen Ocean zwischen 1281/2° O. Gr. und 142° O. Gr. umspült,
gegen Süden unter 30° N. durch die Colnet-Strasse von den Riukiu
und nach Norden unter 411/2° durch die Tsugaru-Strasse von Yezo
geschieden. Sein südlichster Theil liegt sonach unter der Breite des
Nildeltas, der nördlichste unter derjenigen des Bosporus. Die erste
Eintheilung von Oyashima in Provinzen fand zur Zeit des 10. Mikado
(Saujin Tenno 97--30 v. Chr.) statt, wurde aber durch den 13. Mikado
(Seimu Tenno 131--190 n. Chr.) umgestaltet und verbessert. Seine
Herrschaft erstreckte sich hiernach über 32 Provinzen, -- nach Nor-
den etwa bis zu einer Linie von Sendai nach Niigata, denn den nord-
östlichsten Theil hatten damals noch Ureinwohner, die Emishi (auch
Yezo genannt), Verwandte der Ainos auf Yezo, inne. Die berühmte

Lage, Grösse und Eintheilung Japans.
ten: »Freundschaft hat bestanden seit alter Zeit zwischen Dai Chôzen
und Dai Nippon« etc. In dem Maasse, in welchem in der Neuzeit die
Japaner ihren geographischen Blick durch Karten und Unterricht in
den Schulen, sowie auf Reisen erweitert haben, ist eine bedeutende
Ernüchterung in der Schätzung der Grösse ihres eigenen Landes ein-
getreten und der Gebrauch des »Dai« vor »Nippon« auf sonstigen
Publikationen geschwunden.

Nach alter Tradition stammt der Beherrscher Japans oder Mikádo
in directer Linie von der Sonnengöttin Amaterasu ab, deren Eltern
das Götterpaar Isanagi und Isanami waren. Als diese eines Tages
auf der von Wolken getragenen Himmelsbrücke erschienen, um das
unter ihnen in der Tiefe wogende Meer zu beschauen, senkte Isanagi
die Spitze seiner reichverzierten Lanze in dasselbe, worauf es sich
alsbald theilte. Die von der Lanze fallenden Tropfen gestalteten sich
zu Inseln, und aus den Wellen stieg zuerst Awaji hervor, auf der
sich das Götterpaar als Adam und Eva niederliessen. Sieben andere
Inseln entstanden mit demselben Schöpfungsacte und führten von da
an zusammen mit Awaji den Namen Oyashima, d. h. »die acht
grossen Inseln«. Es sind die oben bereits aufgezählten: Hondo,
Kiushiu, Shikoku, Sado, Tsushima, Awaji, Oki und Iki. Diese
und die umliegenden kleineren Inseln bildeten das alte Japan, ein
Gebiet von 5164 □Meilen, also nicht viel grösser als Preussen vor
1866: Ausser dem Namen Oyashima, später Nippon, hatten die Ja-
paner noch manches Epitheton ornans für ihr Land. So nannten sie
es z. B. Kami-no-kuni, Land der Götter, Shin-koku, Land der hei-
ligen Geister, Oyamato-no-kuni, Land des grossen Friedens, Ono-
goro-shima, Inseln der erstarrten Tropfen, Shiki-shima, ausgebreitete
Inseln etc.

Oyashima oder das alte Japan wird vom japanischen Meer
und Stillen Ocean zwischen 128½° O. Gr. und 142° O. Gr. umspült,
gegen Süden unter 30° N. durch die Colnet-Strasse von den Riukiu
und nach Norden unter 41½° durch die Tsugaru-Strasse von Yezo
geschieden. Sein südlichster Theil liegt sonach unter der Breite des
Nildeltas, der nördlichste unter derjenigen des Bosporus. Die erste
Eintheilung von Oyashima in Provinzen fand zur Zeit des 10. Mikado
(Sûjin Tennô 97—30 v. Chr.) statt, wurde aber durch den 13. Mikado
(Seimu Tennô 131—190 n. Chr.) umgestaltet und verbessert. Seine
Herrschaft erstreckte sich hiernach über 32 Provinzen, — nach Nor-
den etwa bis zu einer Linie von Sendai nach Niigata, denn den nord-
östlichsten Theil hatten damals noch Ureinwohner, die Emishi (auch
Yezo genannt), Verwandte der Ainos auf Yezo, inne. Die berühmte

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[7/0027] Lage, Grösse und Eintheilung Japans. ten: »Freundschaft hat bestanden seit alter Zeit zwischen Dai Chôzen und Dai Nippon« etc. In dem Maasse, in welchem in der Neuzeit die Japaner ihren geographischen Blick durch Karten und Unterricht in den Schulen, sowie auf Reisen erweitert haben, ist eine bedeutende Ernüchterung in der Schätzung der Grösse ihres eigenen Landes ein- getreten und der Gebrauch des »Dai« vor »Nippon« auf sonstigen Publikationen geschwunden. Nach alter Tradition stammt der Beherrscher Japans oder Mikádo in directer Linie von der Sonnengöttin Amaterasu ab, deren Eltern das Götterpaar Isanagi und Isanami waren. Als diese eines Tages auf der von Wolken getragenen Himmelsbrücke erschienen, um das unter ihnen in der Tiefe wogende Meer zu beschauen, senkte Isanagi die Spitze seiner reichverzierten Lanze in dasselbe, worauf es sich alsbald theilte. Die von der Lanze fallenden Tropfen gestalteten sich zu Inseln, und aus den Wellen stieg zuerst Awaji hervor, auf der sich das Götterpaar als Adam und Eva niederliessen. Sieben andere Inseln entstanden mit demselben Schöpfungsacte und führten von da an zusammen mit Awaji den Namen Oyashima, d. h. »die acht grossen Inseln«. Es sind die oben bereits aufgezählten: Hondo, Kiushiu, Shikoku, Sado, Tsushima, Awaji, Oki und Iki. Diese und die umliegenden kleineren Inseln bildeten das alte Japan, ein Gebiet von 5164 □Meilen, also nicht viel grösser als Preussen vor 1866: Ausser dem Namen Oyashima, später Nippon, hatten die Ja- paner noch manches Epitheton ornans für ihr Land. So nannten sie es z. B. Kami-no-kuni, Land der Götter, Shin-koku, Land der hei- ligen Geister, Oyamato-no-kuni, Land des grossen Friedens, Ono- goro-shima, Inseln der erstarrten Tropfen, Shiki-shima, ausgebreitete Inseln etc. Oyashima oder das alte Japan wird vom japanischen Meer und Stillen Ocean zwischen 128½° O. Gr. und 142° O. Gr. umspült, gegen Süden unter 30° N. durch die Colnet-Strasse von den Riukiu und nach Norden unter 41½° durch die Tsugaru-Strasse von Yezo geschieden. Sein südlichster Theil liegt sonach unter der Breite des Nildeltas, der nördlichste unter derjenigen des Bosporus. Die erste Eintheilung von Oyashima in Provinzen fand zur Zeit des 10. Mikado (Sûjin Tennô 97—30 v. Chr.) statt, wurde aber durch den 13. Mikado (Seimu Tennô 131—190 n. Chr.) umgestaltet und verbessert. Seine Herrschaft erstreckte sich hiernach über 32 Provinzen, — nach Nor- den etwa bis zu einer Linie von Sendai nach Niigata, denn den nord- östlichsten Theil hatten damals noch Ureinwohner, die Emishi (auch Yezo genannt), Verwandte der Ainos auf Yezo, inne. Die berühmte

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/27>, abgerufen am 27.04.2024.