dige, dass sie sich wie die Crisen magnetischer Somnambülen verhielten. Sie sagte die Zeit derselben, ihre Dauer und Zahl richtig vorher; unterschied das magnetisirte Trinkwasser von dem gemeinen; und empfand von einer magnetisirten Bouteille, die ihr gegen die Herzgrube gehalten wurde, ein grosses Wohlbehagen. In den Inter- vallen erinnerte sie sich keines Zuges der interes- santen Akte, die die Französin während der An- fälle in ihrem Kopfe gespielt hatte; in den Pa- roxismen nichts, was von der teutschen Persön- lichkeit nicht zu trennen war. Hingegen wusste die Französin während des Anfalles alles, was sie in der ganzen Reihe derselben gedacht, ge- sprochen und gehandelt hatte. Die teutsche und französische Persönlichkeit waren zwey verschied- ne Wesen, die keine Bekanntschaft mit einander hatten. Noch eine merkwürdige Erscheinung in ihrer Geschichte. Gmelin war im Stande mit einem magnetischen Zug seiner Hand über ihr Gesicht sie in einem Moment in ihre natürlichen Verhältnisse zu versetzen. Die Französin floh und das ursprüngliche teutsche Mädchen stand wieder da und sah sich mit einer grossen Herzlichkeit erstaunt in dem Kreise ihrer Eltern, Geschwister und Bekannten um. Nun ein entgegengesetzter Zug übers Gesicht; weg war die Teutsche, und die Französin stand wieder an ihrem Platz. Denn ihr Arzt durfte sie in diesem an sich normalen, aber für den conkreten Fall abnormen Zustand
dige, daſs ſie ſich wie die Criſen magnetiſcher Somnambülen verhielten. Sie ſagte die Zeit derſelben, ihre Dauer und Zahl richtig vorher; unterſchied das magnetiſirte Trinkwaſſer von dem gemeinen; und empfand von einer magnetiſirten Bouteille, die ihr gegen die Herzgrube gehalten wurde, ein groſses Wohlbehagen. In den Inter- vallen erinnerte ſie ſich keines Zuges der intereſ- ſanten Akte, die die Franzöſin während der An- fälle in ihrem Kopfe geſpielt hatte; in den Pa- roxismen nichts, was von der teutſchen Perſön- lichkeit nicht zu trennen war. Hingegen wuſste die Franzöſin während des Anfalles alles, was ſie in der ganzen Reihe derſelben gedacht, ge- ſprochen und gehandelt hatte. Die teutſche und franzöſiſche Perſönlichkeit waren zwey verſchied- ne Weſen, die keine Bekanntſchaft mit einander hatten. Noch eine merkwürdige Erſcheinung in ihrer Geſchichte. Gmelin war im Stande mit einem magnetiſchen Zug ſeiner Hand über ihr Geſicht ſie in einem Moment in ihre natürlichen Verhältniſſe zu verſetzen. Die Franzöſin floh und das urſprüngliche teutſche Mädchen ſtand wieder da und ſah ſich mit einer groſsen Herzlichkeit erſtaunt in dem Kreiſe ihrer Eltern, Geſchwiſter und Bekannten um. Nun ein entgegengeſetzter Zug übers Geſicht; weg war die Teutſche, und die Franzöſin ſtand wieder an ihrem Platz. Denn ihr Arzt durfte ſie in dieſem an ſich normalen, aber für den conkreten Fall abnormen Zuſtand
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dige, daſs ſie ſich wie die Criſen magnetiſcher
Somnambülen verhielten. Sie ſagte die Zeit
derſelben, ihre Dauer und Zahl richtig vorher;
unterſchied das magnetiſirte Trinkwaſſer von dem
gemeinen; und empfand von einer magnetiſirten
Bouteille, die ihr gegen die Herzgrube gehalten
wurde, ein groſses Wohlbehagen. In den Inter-
vallen erinnerte ſie ſich keines Zuges der intereſ-
ſanten Akte, die die Franzöſin während der An-
fälle in ihrem Kopfe geſpielt hatte; in den Pa-
roxismen nichts, was von der teutſchen Perſön-
lichkeit nicht zu trennen war. Hingegen wuſste
die Franzöſin während des Anfalles alles, was
ſie in der ganzen Reihe derſelben gedacht, ge-
ſprochen und gehandelt hatte. Die teutſche und
franzöſiſche Perſönlichkeit waren zwey verſchied-
ne Weſen, die keine Bekanntſchaft mit einander
hatten. Noch eine merkwürdige Erſcheinung in
ihrer Geſchichte. Gmelin war im Stande mit
einem magnetiſchen Zug ſeiner Hand über ihr
Geſicht ſie in einem Moment in ihre natürlichen
Verhältniſſe zu verſetzen. Die Franzöſin floh und
das urſprüngliche teutſche Mädchen ſtand wieder
da und ſah ſich mit einer groſsen Herzlichkeit
erſtaunt in dem Kreiſe ihrer Eltern, Geſchwiſter
und Bekannten um. Nun ein entgegengeſetzter
Zug übers Geſicht; weg war die Teutſche, und
die Franzöſin ſtand wieder an ihrem Platz. Denn
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/82>, abgerufen am 25.11.2024.
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