Organ wirken, aber Missverhältnisse in seinen Be- ziehungen nicht verbessern können. Mag das Gehirn einmal als ein zusammengesetztes Kunst- werk aus vielen tönenden Körpern gedacht wer- den, die in einer zweckmässigen Beziehung (rap- port) stehn. Wird einer derselben von aussen, durch das Mittel der Sinne, angestossen, so er- regt sein Ton den Ton eines anderen, dieser wie- der einen anderen; und so wandelt die ursprüng- liche Erregung in mäandrischen Zügen und nach bestimmten Kraftverhältnissen durch die weiten Hallen dieses Tempels fort, bis ein neuer Stoss den vorigen Zug aufhebt oder mit demselben zu- sammenfliesst und dem vorigen eine andere Rich- tung mittheilt. Diese Beziehungen der Theile des Seelenorgans unter einander sind auf eine eben so bestimmte Vertheilung der Kräfte im Ge- hirn und dem gesammten Nervensystem gegründet. Wird dies Verhältniss gestört; so entstehn Disso- nanzen, Sprünge, abnorme Vorstellungen, ähn- liche Associationen, fixe Ideenreihen, und ihnen entsprechende Triebe und Handlungen. Die Seelenvermögen können sich nicht mehr der Frei- heit des Willens gemäss äussern. So ist das Ge- hirn wahnsinniger Personen beschaffen. Die Kräfte einiger Gebilde desselben sind über die Norm erhöht, andere in dem nemlichen Verhält- niss herabgestimmt. Daher Mangel an Einklang zwischen denselben, fehlerhafte Fortpflanzung erregter Thätigkeiten und Umsturz der Normalität
Organ wirken, aber Miſsverhältniſſe in ſeinen Be- ziehungen nicht verbeſſern können. Mag das Gehirn einmal als ein zuſammengeſetztes Kunſt- werk aus vielen tönenden Körpern gedacht wer- den, die in einer zweckmäſsigen Beziehung (rap- port) ſtehn. Wird einer derſelben von auſsen, durch das Mittel der Sinne, angeſtoſsen, ſo er- regt ſein Ton den Ton eines anderen, dieſer wie- der einen anderen; und ſo wandelt die urſprüng- liche Erregung in mäandriſchen Zügen und nach beſtimmten Kraftverhältniſſen durch die weiten Hallen dieſes Tempels fort, bis ein neuer Stoſs den vorigen Zug aufhebt oder mit demſelben zu- ſammenflieſst und dem vorigen eine andere Rich- tung mittheilt. Dieſe Beziehungen der Theile des Seelenorgans unter einander ſind auf eine eben ſo beſtimmte Vertheilung der Kräfte im Ge- hirn und dem geſammten Nervenſyſtem gegründet. Wird dies Verhältniſs geſtört; ſo entſtehn Diſſo- nanzen, Sprünge, abnorme Vorſtellungen, ähn- liche Aſſociationen, fixe Ideenreihen, und ihnen entſprechende Triebe und Handlungen. Die Seelenvermögen können ſich nicht mehr der Frei- heit des Willens gemäſs äuſsern. So iſt das Ge- hirn wahnſinniger Perſonen beſchaffen. Die Kräfte einiger Gebilde deſſelben ſind über die Norm erhöht, andere in dem nemlichen Verhält- niſs herabgeſtimmt. Daher Mangel an Einklang zwiſchen denſelben, fehlerhafte Fortpflanzung erregter Thätigkeiten und Umſturz der Normalität
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Organ wirken, aber Miſsverhältniſſe in ſeinen Be-
ziehungen nicht verbeſſern können. Mag das
Gehirn einmal als ein zuſammengeſetztes Kunſt-
werk aus vielen tönenden Körpern gedacht wer-
den, die in einer zweckmäſsigen Beziehung (rap-
port) ſtehn. Wird einer derſelben von auſsen,
durch das Mittel der Sinne, angeſtoſsen, ſo er-
regt ſein Ton den Ton eines anderen, dieſer wie-
der einen anderen; und ſo wandelt die urſprüng-
liche Erregung in mäandriſchen Zügen und nach
beſtimmten Kraftverhältniſſen durch die weiten
Hallen dieſes Tempels fort, bis ein neuer Stoſs
den vorigen Zug aufhebt oder mit demſelben zu-
ſammenflieſst und dem vorigen eine andere Rich-
tung mittheilt. Dieſe Beziehungen der Theile
des Seelenorgans unter einander ſind auf eine
eben ſo beſtimmte Vertheilung der Kräfte im Ge-
hirn und dem geſammten Nervenſyſtem gegründet.
Wird dies Verhältniſs geſtört; ſo entſtehn Diſſo-
nanzen, Sprünge, abnorme Vorſtellungen, ähn-
liche Aſſociationen, fixe Ideenreihen, und ihnen
entſprechende Triebe und Handlungen. Die
Seelenvermögen können ſich nicht mehr der Frei-
heit des Willens gemäſs äuſsern. So iſt das Ge-
hirn wahnſinniger Perſonen beſchaffen. Die
Kräfte einiger Gebilde deſſelben ſind über die
Norm erhöht, andere in dem nemlichen Verhält-
niſs herabgeſtimmt. Daher Mangel an Einklang
zwiſchen denſelben, fehlerhafte Fortpflanzung
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/51>, abgerufen am 28.11.2024.
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