Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

celirten Absätzen deiner Glieder, in welche du dich
verzweigst, einen tönenden Namen giebt. Seine
Kenntniss ist Kenntniss des Volks, Vokabeln und
Anekdoten, die er aus dem Volkskörper, wo
sie vereinzelt kreisen, in ein Gefäss gesammlet
hat. Dort bricht ein Artist ein Fragment deines
Riesenkörpers ab, schlept es wie ein Maulwurf
in seine Höhle, experimentirt mit demselben
zwar zum Behuf eines Zwecks, doch ohne Sinn,
und ergötzt und erschrickt sich über die Convul-
sionen desselben, wie ein Kind sich ergötzt und er-
schrickt, das auf ein besaitetes Instrument fasst.
Vergebens bemüht er sich, wie ein Blinder, der
durch die Betastung seiner Stubenwände nie zur
Idee des unermesslichen Weltraums gelangt, die
abgerissene Kette von Erscheinungen in einem Cy-
clus zusammenzuknüpfen und in einer Monade
Einheit zu finden, die in der Sphären Gesang wie-
derhallt. Viel hat er noch an sich zu bessern,
ehe er in die Speichen der Organismen eingreifen,
die Natur bevormundschaften, und sich zum Weg-
weiser ihrer Verirrungen aufwerfen kann Wie
dieser Athlet mit dem physischen, so experimen-
tirt jener Dynast mit dem moralischen Menschen.
Er zwingt ihn, sich von seinem eignen Geist los-
zusagen, formt ihn als Gestaltloses nach einem
Typus, der in seiner Phantasie ausgeprägt ist, in
Menschengruppen zusammen, in welchen sein
Geist wandelt, und glaubt, neben dem Zeus die
Zügel zu halten, an welchen die Weltordnung ge-

H h 2

celirten Abſätzen deiner Glieder, in welche du dich
verzweigſt, einen tönenden Namen giebt. Seine
Kenntniſs iſt Kenntniſs des Volks, Vokabeln und
Anekdoten, die er aus dem Volkskörper, wo
ſie vereinzelt kreiſen, in ein Gefäſs geſammlet
hat. Dort bricht ein Artiſt ein Fragment deines
Rieſenkörpers ab, ſchlept es wie ein Maulwurf
in ſeine Höhle, experimentirt mit demſelben
zwar zum Behuf eines Zwecks, doch ohne Sinn,
und ergötzt und erſchrickt ſich über die Convul-
ſionen deſſelben, wie ein Kind ſich ergötzt und er-
ſchrickt, das auf ein beſaitetes Inſtrument faſst.
Vergebens bemüht er ſich, wie ein Blinder, der
durch die Betaſtung ſeiner Stubenwände nie zur
Idee des unermeſslichen Weltraums gelangt, die
abgeriſſene Kette von Erſcheinungen in einem Cy-
clus zuſammenzuknüpfen und in einer Monade
Einheit zu finden, die in der Sphären Geſang wie-
derhallt. Viel hat er noch an ſich zu beſſern,
ehe er in die Speichen der Organiſmen eingreifen,
die Natur bevormundſchaften, und ſich zum Weg-
weiſer ihrer Verirrungen aufwerfen kann Wie
dieſer Athlet mit dem phyſiſchen, ſo experimen-
tirt jener Dynaſt mit dem moraliſchen Menſchen.
Er zwingt ihn, ſich von ſeinem eignen Geiſt los-
zuſagen, formt ihn als Geſtaltloſes nach einem
Typus, der in ſeiner Phantaſie ausgeprägt iſt, in
Menſchengruppen zuſammen, in welchen ſein
Geiſt wandelt, und glaubt, neben dem Zeus die
Zügel zu halten, an welchen die Weltordnung ge-

H h 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0488" n="483"/>
celirten Ab&#x017F;ätzen deiner Glieder, in welche du dich<lb/>
verzweig&#x017F;t, einen tönenden Namen giebt. Seine<lb/>
Kenntni&#x017F;s i&#x017F;t Kenntni&#x017F;s des Volks, Vokabeln und<lb/>
Anekdoten, die er aus dem Volkskörper, wo<lb/>
&#x017F;ie vereinzelt krei&#x017F;en, in ein Gefä&#x017F;s ge&#x017F;ammlet<lb/>
hat. Dort bricht ein Arti&#x017F;t ein Fragment deines<lb/>
Rie&#x017F;enkörpers ab, &#x017F;chlept es wie ein Maulwurf<lb/>
in &#x017F;eine Höhle, experimentirt mit dem&#x017F;elben<lb/>
zwar zum Behuf eines Zwecks, doch ohne Sinn,<lb/>
und ergötzt und er&#x017F;chrickt &#x017F;ich über die Convul-<lb/>
&#x017F;ionen de&#x017F;&#x017F;elben, wie ein Kind &#x017F;ich ergötzt und er-<lb/>
&#x017F;chrickt, das auf ein be&#x017F;aitetes In&#x017F;trument fa&#x017F;st.<lb/>
Vergebens bemüht er &#x017F;ich, wie ein Blinder, der<lb/>
durch die Beta&#x017F;tung &#x017F;einer Stubenwände nie zur<lb/>
Idee des unerme&#x017F;slichen Weltraums gelangt, die<lb/>
abgeri&#x017F;&#x017F;ene Kette von Er&#x017F;cheinungen in einem Cy-<lb/>
clus zu&#x017F;ammenzuknüpfen und in einer Monade<lb/>
Einheit zu finden, die in der Sphären Ge&#x017F;ang wie-<lb/>
derhallt. Viel hat er noch an &#x017F;ich zu be&#x017F;&#x017F;ern,<lb/>
ehe er in die Speichen der Organi&#x017F;men eingreifen,<lb/>
die Natur bevormund&#x017F;chaften, und &#x017F;ich zum Weg-<lb/>
wei&#x017F;er ihrer Verirrungen aufwerfen kann Wie<lb/>
die&#x017F;er Athlet mit dem phy&#x017F;i&#x017F;chen, &#x017F;o experimen-<lb/>
tirt jener Dyna&#x017F;t mit dem morali&#x017F;chen Men&#x017F;chen.<lb/>
Er zwingt ihn, &#x017F;ich von &#x017F;einem eignen Gei&#x017F;t los-<lb/>
zu&#x017F;agen, formt ihn als Ge&#x017F;taltlo&#x017F;es nach einem<lb/>
Typus, der in &#x017F;einer Phanta&#x017F;ie ausgeprägt i&#x017F;t, in<lb/>
Men&#x017F;chengruppen zu&#x017F;ammen, in welchen &#x017F;ein<lb/>
Gei&#x017F;t wandelt, und glaubt, neben dem Zeus die<lb/>
Zügel zu halten, an welchen die Weltordnung ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H h 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[483/0488] celirten Abſätzen deiner Glieder, in welche du dich verzweigſt, einen tönenden Namen giebt. Seine Kenntniſs iſt Kenntniſs des Volks, Vokabeln und Anekdoten, die er aus dem Volkskörper, wo ſie vereinzelt kreiſen, in ein Gefäſs geſammlet hat. Dort bricht ein Artiſt ein Fragment deines Rieſenkörpers ab, ſchlept es wie ein Maulwurf in ſeine Höhle, experimentirt mit demſelben zwar zum Behuf eines Zwecks, doch ohne Sinn, und ergötzt und erſchrickt ſich über die Convul- ſionen deſſelben, wie ein Kind ſich ergötzt und er- ſchrickt, das auf ein beſaitetes Inſtrument faſst. Vergebens bemüht er ſich, wie ein Blinder, der durch die Betaſtung ſeiner Stubenwände nie zur Idee des unermeſslichen Weltraums gelangt, die abgeriſſene Kette von Erſcheinungen in einem Cy- clus zuſammenzuknüpfen und in einer Monade Einheit zu finden, die in der Sphären Geſang wie- derhallt. Viel hat er noch an ſich zu beſſern, ehe er in die Speichen der Organiſmen eingreifen, die Natur bevormundſchaften, und ſich zum Weg- weiſer ihrer Verirrungen aufwerfen kann Wie dieſer Athlet mit dem phyſiſchen, ſo experimen- tirt jener Dynaſt mit dem moraliſchen Menſchen. Er zwingt ihn, ſich von ſeinem eignen Geiſt los- zuſagen, formt ihn als Geſtaltloſes nach einem Typus, der in ſeiner Phantaſie ausgeprägt iſt, in Menſchengruppen zuſammen, in welchen ſein Geiſt wandelt, und glaubt, neben dem Zeus die Zügel zu halten, an welchen die Weltordnung ge- H h 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/488
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/488>, abgerufen am 18.05.2024.