Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr ans Tageslicht hervortritt. Jene ist aber
kaum skitzirt, geschweige denn vollendet. Von
diesem Begriff mögen die Akademieen und Bu-
reau's des öffentlichen Unterrichts es entlehnen,
was sie ihr schuldig sind; Urtheile zurückneh-
men, bey welchen der Genius der Kunst den
Rücken wendet, als sey bereits für sie ge-
nug gethan
; und Ministerknechte, Speichel-
lecker und ohnmächtige Achselträger von den
Tribünen stürzen.

Hehre Göttin, Natur! wie wenig verstehn es
deine Kinder, die du in dem Strome der Zeit wie
Funken von dir sprühst, ihre Genealogie nachzu-
weisen. Jeder lauert dir aus dem Hinterhalte
des Eigennutzes auf und späht in so mannichfalti-
gen Geistesfesseln, als derselbe Seiten hat, um-
her, bis er den Punkt findet, auf welchem er sein
Saugwerkzeug ansetzen kann. Der Kameralist
wühlt deine Eingeweide auf, gräbt die Metalle
aus deinen Adern, steigert deine Geburten durch
Ueberreizung zu Monströsitäten und glaubt, dei-
nen Schleier aufgehoben zu haben, wenn er
dich nöthigt, eine doppelte Erndte aus deinem
Füllhorn über seine Kartoffelfelder auszuschüt-
ten. Ein anderer balgt die Thiere aus, läuft
wie der Knabe mit der Scheere den Schmetter-
lingen nach, sammlet die Leichname der Pflanzen
in seine Catacomben ein und glaubt, dich dadurch
zu erhaschen, dass er dich, wie eine Wilde,
stückweise in sein Kabinet einfängt und den spha-

mehr ans Tageslicht hervortritt. Jene iſt aber
kaum ſkitzirt, geſchweige denn vollendet. Von
dieſem Begriff mögen die Akademieen und Bu-
reau’s des öffentlichen Unterrichts es entlehnen,
was ſie ihr ſchuldig ſind; Urtheile zurückneh-
men, bey welchen der Genius der Kunſt den
Rücken wendet, als ſey bereits für ſie ge-
nug gethan
; und Miniſterknechte, Speichel-
lecker und ohnmächtige Achſelträger von den
Tribünen ſtürzen.

Hehre Göttin, Natur! wie wenig verſtehn es
deine Kinder, die du in dem Strome der Zeit wie
Funken von dir ſprühſt, ihre Genealogie nachzu-
weiſen. Jeder lauert dir aus dem Hinterhalte
des Eigennutzes auf und ſpäht in ſo mannichfalti-
gen Geiſtesfeſſeln, als derſelbe Seiten hat, um-
her, bis er den Punkt findet, auf welchem er ſein
Saugwerkzeug anſetzen kann. Der Kameraliſt
wühlt deine Eingeweide auf, gräbt die Metalle
aus deinen Adern, ſteigert deine Geburten durch
Ueberreizung zu Monſtröſitäten und glaubt, dei-
nen Schleier aufgehoben zu haben, wenn er
dich nöthigt, eine doppelte Erndte aus deinem
Füllhorn über ſeine Kartoffelfelder auszuſchüt-
ten. Ein anderer balgt die Thiere aus, läuft
wie der Knabe mit der Scheere den Schmetter-
lingen nach, ſammlet die Leichname der Pflanzen
in ſeine Catacomben ein und glaubt, dich dadurch
zu erhaſchen, daſs er dich, wie eine Wilde,
ſtückweiſe in ſein Kabinet einfängt und den ſpha-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0487" n="482"/>
mehr ans Tageslicht hervortritt. Jene i&#x017F;t aber<lb/>
kaum &#x017F;kitzirt, ge&#x017F;chweige denn vollendet. Von<lb/>
die&#x017F;em Begriff mögen die Akademieen und Bu-<lb/>
reau&#x2019;s des öffentlichen Unterrichts es entlehnen,<lb/>
was &#x017F;ie ihr &#x017F;chuldig &#x017F;ind; Urtheile zurückneh-<lb/>
men, bey welchen der Genius der Kun&#x017F;t den<lb/>
Rücken wendet, <hi rendition="#g">als &#x017F;ey bereits für &#x017F;ie ge-<lb/>
nug gethan</hi>; und Mini&#x017F;terknechte, Speichel-<lb/>
lecker und ohnmächtige Ach&#x017F;elträger von den<lb/>
Tribünen &#x017F;türzen.</p><lb/>
          <p>Hehre Göttin, Natur! wie wenig ver&#x017F;tehn es<lb/>
deine Kinder, die du in dem Strome der Zeit wie<lb/>
Funken von dir &#x017F;prüh&#x017F;t, ihre Genealogie nachzu-<lb/>
wei&#x017F;en. Jeder lauert dir aus dem Hinterhalte<lb/>
des Eigennutzes auf und &#x017F;päht in &#x017F;o mannichfalti-<lb/>
gen Gei&#x017F;tesfe&#x017F;&#x017F;eln, als der&#x017F;elbe Seiten hat, um-<lb/>
her, bis er den Punkt findet, auf welchem er &#x017F;ein<lb/>
Saugwerkzeug an&#x017F;etzen kann. Der Kamerali&#x017F;t<lb/>
wühlt deine Eingeweide auf, gräbt die Metalle<lb/>
aus deinen Adern, &#x017F;teigert deine Geburten durch<lb/>
Ueberreizung zu Mon&#x017F;trö&#x017F;itäten und glaubt, dei-<lb/>
nen Schleier aufgehoben zu haben, wenn er<lb/>
dich nöthigt, eine doppelte Erndte aus deinem<lb/>
Füllhorn über &#x017F;eine Kartoffelfelder auszu&#x017F;chüt-<lb/>
ten. Ein anderer balgt die Thiere aus, läuft<lb/>
wie der Knabe mit der Scheere den Schmetter-<lb/>
lingen nach, &#x017F;ammlet die Leichname der Pflanzen<lb/>
in &#x017F;eine Catacomben ein und glaubt, dich dadurch<lb/>
zu erha&#x017F;chen, da&#x017F;s er dich, wie eine Wilde,<lb/>
&#x017F;tückwei&#x017F;e in &#x017F;ein Kabinet einfängt und den &#x017F;pha-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[482/0487] mehr ans Tageslicht hervortritt. Jene iſt aber kaum ſkitzirt, geſchweige denn vollendet. Von dieſem Begriff mögen die Akademieen und Bu- reau’s des öffentlichen Unterrichts es entlehnen, was ſie ihr ſchuldig ſind; Urtheile zurückneh- men, bey welchen der Genius der Kunſt den Rücken wendet, als ſey bereits für ſie ge- nug gethan; und Miniſterknechte, Speichel- lecker und ohnmächtige Achſelträger von den Tribünen ſtürzen. Hehre Göttin, Natur! wie wenig verſtehn es deine Kinder, die du in dem Strome der Zeit wie Funken von dir ſprühſt, ihre Genealogie nachzu- weiſen. Jeder lauert dir aus dem Hinterhalte des Eigennutzes auf und ſpäht in ſo mannichfalti- gen Geiſtesfeſſeln, als derſelbe Seiten hat, um- her, bis er den Punkt findet, auf welchem er ſein Saugwerkzeug anſetzen kann. Der Kameraliſt wühlt deine Eingeweide auf, gräbt die Metalle aus deinen Adern, ſteigert deine Geburten durch Ueberreizung zu Monſtröſitäten und glaubt, dei- nen Schleier aufgehoben zu haben, wenn er dich nöthigt, eine doppelte Erndte aus deinem Füllhorn über ſeine Kartoffelfelder auszuſchüt- ten. Ein anderer balgt die Thiere aus, läuft wie der Knabe mit der Scheere den Schmetter- lingen nach, ſammlet die Leichname der Pflanzen in ſeine Catacomben ein und glaubt, dich dadurch zu erhaſchen, daſs er dich, wie eine Wilde, ſtückweiſe in ſein Kabinet einfängt und den ſpha-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/487
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/487>, abgerufen am 26.06.2024.