mehr ans Tageslicht hervortritt. Jene ist aber kaum skitzirt, geschweige denn vollendet. Von diesem Begriff mögen die Akademieen und Bu- reau's des öffentlichen Unterrichts es entlehnen, was sie ihr schuldig sind; Urtheile zurückneh- men, bey welchen der Genius der Kunst den Rücken wendet, als sey bereits für sie ge- nug gethan; und Ministerknechte, Speichel- lecker und ohnmächtige Achselträger von den Tribünen stürzen.
Hehre Göttin, Natur! wie wenig verstehn es deine Kinder, die du in dem Strome der Zeit wie Funken von dir sprühst, ihre Genealogie nachzu- weisen. Jeder lauert dir aus dem Hinterhalte des Eigennutzes auf und späht in so mannichfalti- gen Geistesfesseln, als derselbe Seiten hat, um- her, bis er den Punkt findet, auf welchem er sein Saugwerkzeug ansetzen kann. Der Kameralist wühlt deine Eingeweide auf, gräbt die Metalle aus deinen Adern, steigert deine Geburten durch Ueberreizung zu Monströsitäten und glaubt, dei- nen Schleier aufgehoben zu haben, wenn er dich nöthigt, eine doppelte Erndte aus deinem Füllhorn über seine Kartoffelfelder auszuschüt- ten. Ein anderer balgt die Thiere aus, läuft wie der Knabe mit der Scheere den Schmetter- lingen nach, sammlet die Leichname der Pflanzen in seine Catacomben ein und glaubt, dich dadurch zu erhaschen, dass er dich, wie eine Wilde, stückweise in sein Kabinet einfängt und den spha-
mehr ans Tageslicht hervortritt. Jene iſt aber kaum ſkitzirt, geſchweige denn vollendet. Von dieſem Begriff mögen die Akademieen und Bu- reau’s des öffentlichen Unterrichts es entlehnen, was ſie ihr ſchuldig ſind; Urtheile zurückneh- men, bey welchen der Genius der Kunſt den Rücken wendet, als ſey bereits für ſie ge- nug gethan; und Miniſterknechte, Speichel- lecker und ohnmächtige Achſelträger von den Tribünen ſtürzen.
Hehre Göttin, Natur! wie wenig verſtehn es deine Kinder, die du in dem Strome der Zeit wie Funken von dir ſprühſt, ihre Genealogie nachzu- weiſen. Jeder lauert dir aus dem Hinterhalte des Eigennutzes auf und ſpäht in ſo mannichfalti- gen Geiſtesfeſſeln, als derſelbe Seiten hat, um- her, bis er den Punkt findet, auf welchem er ſein Saugwerkzeug anſetzen kann. Der Kameraliſt wühlt deine Eingeweide auf, gräbt die Metalle aus deinen Adern, ſteigert deine Geburten durch Ueberreizung zu Monſtröſitäten und glaubt, dei- nen Schleier aufgehoben zu haben, wenn er dich nöthigt, eine doppelte Erndte aus deinem Füllhorn über ſeine Kartoffelfelder auszuſchüt- ten. Ein anderer balgt die Thiere aus, läuft wie der Knabe mit der Scheere den Schmetter- lingen nach, ſammlet die Leichname der Pflanzen in ſeine Catacomben ein und glaubt, dich dadurch zu erhaſchen, daſs er dich, wie eine Wilde, ſtückweiſe in ſein Kabinet einfängt und den ſpha-
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mehr ans Tageslicht hervortritt. Jene iſt aber
kaum ſkitzirt, geſchweige denn vollendet. Von
dieſem Begriff mögen die Akademieen und Bu-
reau’s des öffentlichen Unterrichts es entlehnen,
was ſie ihr ſchuldig ſind; Urtheile zurückneh-
men, bey welchen der Genius der Kunſt den
Rücken wendet, als ſey bereits für ſie ge-
nug gethan; und Miniſterknechte, Speichel-
lecker und ohnmächtige Achſelträger von den
Tribünen ſtürzen.
Hehre Göttin, Natur! wie wenig verſtehn es
deine Kinder, die du in dem Strome der Zeit wie
Funken von dir ſprühſt, ihre Genealogie nachzu-
weiſen. Jeder lauert dir aus dem Hinterhalte
des Eigennutzes auf und ſpäht in ſo mannichfalti-
gen Geiſtesfeſſeln, als derſelbe Seiten hat, um-
her, bis er den Punkt findet, auf welchem er ſein
Saugwerkzeug anſetzen kann. Der Kameraliſt
wühlt deine Eingeweide auf, gräbt die Metalle
aus deinen Adern, ſteigert deine Geburten durch
Ueberreizung zu Monſtröſitäten und glaubt, dei-
nen Schleier aufgehoben zu haben, wenn er
dich nöthigt, eine doppelte Erndte aus deinem
Füllhorn über ſeine Kartoffelfelder auszuſchüt-
ten. Ein anderer balgt die Thiere aus, läuft
wie der Knabe mit der Scheere den Schmetter-
lingen nach, ſammlet die Leichname der Pflanzen
in ſeine Catacomben ein und glaubt, dich dadurch
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ſtückweiſe in ſein Kabinet einfängt und den ſpha-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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