der letzten Zelle erfuhr man, dass er auch zu den Merkwürdigkeiten des Tollhauses gehöre. Hier, sagte er, sitzt ein Mann, der ein Narr ist, weil er sich für Gott den Sohn hält, ohne es zu seyn. Denn ich müsste es wissen, da ich Gott der Vater bin. Also nur das sind helle Zwischen- räume, wo die Stärke der Krankheit für eine längere Zeit nachlässt, und nicht wo ihre Sym- ptome durch äussere Verhältnisse weniger sicht- bar sind.
Die hellen Zwischenzeiten treten langsam oder plötzlich ein. In dem letzten Falle erwachen die Kranken, wie aus einem Traume, von ihrer Zerrüttung zur Besonnenheit. Dies geschieht vorzüglich leicht in der dumpfen Melancholie und im Irrereden mit Gefässfieber *). Die Tem- peratur der Erregbarkeit ändert sich durch ein Spiel unbekannter Kräfte, die zuweilen von sicht- baren äusseren Einflüssen abhängig sind. Die Zeit der Frühlings- und Herbst-Tag- und Nacht- Gleiche ist ominös. In ihr brechen die meisten und heftigsten Anfälle aus. Kürzere Aufwallungen entstehn, wenn Stürme oder Gewitter sich nähern. Die Kranken sind unruhig, schlafen wenig, gehn mit schnellen Schritten, sprechen für sich, gesti- kuliren, deklamiren, die Rasenden schütteln die Ketten, und unterbrechen eine dumpfe Stille mit einem wilden Geschrey. Kurz alle Phänomene weisen auf einen exaltirten Zustand hin.
*)Reils Fieberlehre 4 B. 370 S.
der letzten Zelle erfuhr man, daſs er auch zu den Merkwürdigkeiten des Tollhauſes gehöre. Hier, ſagte er, ſitzt ein Mann, der ein Narr iſt, weil er ſich für Gott den Sohn hält, ohne es zu ſeyn. Denn ich müſste es wiſſen, da ich Gott der Vater bin. Alſo nur das ſind helle Zwiſchen- räume, wo die Stärke der Krankheit für eine längere Zeit nachläſst, und nicht wo ihre Sym- ptome durch äuſsere Verhältniſſe weniger ſicht- bar ſind.
Die hellen Zwiſchenzeiten treten langſam oder plötzlich ein. In dem letzten Falle erwachen die Kranken, wie aus einem Traume, von ihrer Zerrüttung zur Beſonnenheit. Dies geſchieht vorzüglich leicht in der dumpfen Melancholie und im Irrereden mit Gefäſsfieber *). Die Tem- peratur der Erregbarkeit ändert ſich durch ein Spiel unbekannter Kräfte, die zuweilen von ſicht- baren äuſseren Einflüſſen abhängig ſind. Die Zeit der Frühlings- und Herbſt-Tag- und Nacht- Gleiche iſt ominös. In ihr brechen die meiſten und heftigſten Anfälle aus. Kürzere Aufwallungen entſtehn, wenn Stürme oder Gewitter ſich nähern. Die Kranken ſind unruhig, ſchlafen wenig, gehn mit ſchnellen Schritten, ſprechen für ſich, geſti- kuliren, deklamiren, die Raſenden ſchütteln die Ketten, und unterbrechen eine dumpfe Stille mit einem wilden Geſchrey. Kurz alle Phänomene weiſen auf einen exaltirten Zuſtand hin.
*)Reils Fieberlehre 4 B. 370 S.
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der letzten Zelle erfuhr man, daſs er auch zu
den Merkwürdigkeiten des Tollhauſes gehöre.
Hier, ſagte er, ſitzt ein Mann, der ein Narr iſt,
weil er ſich für Gott den Sohn hält, ohne es zu
ſeyn. Denn ich müſste es wiſſen, da ich Gott
der Vater bin. Alſo nur das ſind helle Zwiſchen-
räume, wo die Stärke der Krankheit für eine
längere Zeit nachläſst, und nicht wo ihre Sym-
ptome durch äuſsere Verhältniſſe weniger ſicht-
bar ſind.
Die hellen Zwiſchenzeiten treten langſam
oder plötzlich ein. In dem letzten Falle erwachen
die Kranken, wie aus einem Traume, von ihrer
Zerrüttung zur Beſonnenheit. Dies geſchieht
vorzüglich leicht in der dumpfen Melancholie
und im Irrereden mit Gefäſsfieber *). Die Tem-
peratur der Erregbarkeit ändert ſich durch ein
Spiel unbekannter Kräfte, die zuweilen von ſicht-
baren äuſseren Einflüſſen abhängig ſind. Die
Zeit der Frühlings- und Herbſt-Tag- und Nacht-
Gleiche iſt ominös. In ihr brechen die meiſten und
heftigſten Anfälle aus. Kürzere Aufwallungen
entſtehn, wenn Stürme oder Gewitter ſich nähern.
Die Kranken ſind unruhig, ſchlafen wenig, gehn
mit ſchnellen Schritten, ſprechen für ſich, geſti-
kuliren, deklamiren, die Raſenden ſchütteln die
Ketten, und unterbrechen eine dumpfe Stille mit
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weiſen auf einen exaltirten Zuſtand hin.
*) Reils Fieberlehre 4 B. 370 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/447>, abgerufen am 22.11.2024.
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