Die hellen Zwischenräume sind periodisch oder erratisch, kürzer oder länger, reiner oder weniger rein. Doch bleibt immer noch, auch in den reinsten Intervallen, eine Abweichung von dem Einklang der Seelenkräfte zur Einheit der Vernunft übrig. Das Zusammenfassen des Or- ganismus zur Individualität und das klare Be- wusstseyn der Persönlichkeit kehren am spätsten in die zerrissene Seele zurück. Der Kranke ist im scheinbar vollen Gebrauch der Vernunft, doch nicht unglücklich. Denn er hat von dem Um- fang seines Seelenzustandes keine deutliche Vor- stellung. Dadurch unterscheidet sich der helle Zwischenraum von der Genesung.
Meistens laufen dem wiederkehrenden An- fall Zufälle vor, die seine Annäherung anmelden. Der Kranke klagt Zusammenschnürungen und ein Brennen in der Magengegend und den Gedärmen, durstet deswegen sehr, hat aber Abneigung gegen Speisen, ist verstopft, unruhig, schlafloss, fährt im Schlaf schreckhaft zusammen. Die Wangen färben sich, das Gesicht glüht, die Halsadern klopfen stärker, das Auge wird roth, die Blicke funkeln. Seine Geberden, die Haltung und Be- wegung seines Körpers sind ungewöhnlich. Er heftet seine Blicke gen Himmel, spricht mit sich, läuft schneller, steht still, nimmt die Mine des Nachsinnens oder einer bedächtigen Ueberlegung an. Einige sind ausgelassen lustig, schwatzhaft und brechen ohne Grund in ein lautes Gelächter
Die hellen Zwiſchenräume ſind periodiſch oder erratiſch, kürzer oder länger, reiner oder weniger rein. Doch bleibt immer noch, auch in den reinſten Intervallen, eine Abweichung von dem Einklang der Seelenkräfte zur Einheit der Vernunft übrig. Das Zuſammenfaſſen des Or- ganiſmus zur Individualität und das klare Be- wuſstſeyn der Perſönlichkeit kehren am ſpätſten in die zerriſſene Seele zurück. Der Kranke iſt im ſcheinbar vollen Gebrauch der Vernunft, doch nicht unglücklich. Denn er hat von dem Um- fang ſeines Seelenzuſtandes keine deutliche Vor- ſtellung. Dadurch unterſcheidet ſich der helle Zwiſchenraum von der Geneſung.
Meiſtens laufen dem wiederkehrenden An- fall Zufälle vor, die ſeine Annäherung anmelden. Der Kranke klagt Zuſammenſchnürungen und ein Brennen in der Magengegend und den Gedärmen, durſtet deswegen ſehr, hat aber Abneigung gegen Speiſen, iſt verſtopft, unruhig, ſchlafloſs, fährt im Schlaf ſchreckhaft zuſammen. Die Wangen färben ſich, das Geſicht glüht, die Halsadern klopfen ſtärker, das Auge wird roth, die Blicke funkeln. Seine Geberden, die Haltung und Be- wegung ſeines Körpers ſind ungewöhnlich. Er heftet ſeine Blicke gen Himmel, ſpricht mit ſich, läuft ſchneller, ſteht ſtill, nimmt die Mine des Nachſinnens oder einer bedächtigen Ueberlegung an. Einige ſind ausgelaſſen luſtig, ſchwatzhaft und brechen ohne Grund in ein lautes Gelächter
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Die hellen Zwiſchenräume ſind periodiſch
oder erratiſch, kürzer oder länger, reiner oder
weniger rein. Doch bleibt immer noch, auch
in den reinſten Intervallen, eine Abweichung von
dem Einklang der Seelenkräfte zur Einheit der
Vernunft übrig. Das Zuſammenfaſſen des Or-
ganiſmus zur Individualität und das klare Be-
wuſstſeyn der Perſönlichkeit kehren am ſpätſten
in die zerriſſene Seele zurück. Der Kranke iſt
im ſcheinbar vollen Gebrauch der Vernunft, doch
nicht unglücklich. Denn er hat von dem Um-
fang ſeines Seelenzuſtandes keine deutliche Vor-
ſtellung. Dadurch unterſcheidet ſich der helle
Zwiſchenraum von der Geneſung.
Meiſtens laufen dem wiederkehrenden An-
fall Zufälle vor, die ſeine Annäherung anmelden.
Der Kranke klagt Zuſammenſchnürungen und ein
Brennen in der Magengegend und den Gedärmen,
durſtet deswegen ſehr, hat aber Abneigung gegen
Speiſen, iſt verſtopft, unruhig, ſchlafloſs, fährt
im Schlaf ſchreckhaft zuſammen. Die Wangen
färben ſich, das Geſicht glüht, die Halsadern
klopfen ſtärker, das Auge wird roth, die Blicke
funkeln. Seine Geberden, die Haltung und Be-
wegung ſeines Körpers ſind ungewöhnlich. Er
heftet ſeine Blicke gen Himmel, ſpricht mit ſich,
läuft ſchneller, ſteht ſtill, nimmt die Mine des
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an. Einige ſind ausgelaſſen luſtig, ſchwatzhaft
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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