der Sturm in Stössen wirkt; nicht die dumpfen Intervalle, wo der Tobsüchtige, besonders der Tobsüchtige ohne Verkehrtheit, wie ein Zorniger, durch äussere Umstände psychisch gehemmt wird, zu wüthen, nicht zu den hellen Zwischenzeiten. Heinrich Julius von Bourbon, der Sohn des grossen Conde, glaubte in einen Hund ver- wandelt zu seyn, und bellte dem zu Folge wie ein Hund. Eines Tages bekam er seinen Anfall in den Zimmern des Königs. Die Gegenwart des Monarchen gebot seiner Narrheit, ohne sie zu zerstören. Er schlich sich ans Fenster, steckte den Kopf hinaus, unterdrückte seine Stimme, und gebehrdete sich bloss wie ein bellender Hund *). Doch ist es mir wahrscheinlich, dieser Mann habe an dem sonderbaren Aufstossen gelit- ten, welches dem Bellen eines Thiers ähnelt. Denn es wird von ihm gesagt, er sey an Vapeurs krank gewesen. In diesem Fall war das Bellen physisch, und nur in sofern mit einer psychischen Krankheit verbunden, als er es von einer Ver- wandelung seiner Art ableitete. Endlich rechnet man die Zeiten im fixen Wahn, wo es dem Kranken an Gelegenheit fehlt, auf seine fixe Idee abzuspringen, nicht zu den hellen Zwischenzeiten. Ein Wärter führte in einem Tollhause die Frem- den herum, und erzählte denselben mit vieler Vernunft die Narrheiten jedes Kranken. Erst an
*)Duclos Mem. secr. sur les regnes de Louis XIV.
der Sturm in Stöſsen wirkt; nicht die dumpfen Intervalle, wo der Tobſüchtige, beſonders der Tobſüchtige ohne Verkehrtheit, wie ein Zorniger, durch äuſsere Umſtände pſychiſch gehemmt wird, zu wüthen, nicht zu den hellen Zwiſchenzeiten. Heinrich Julius von Bourbon, der Sohn des groſsen Condé, glaubte in einen Hund ver- wandelt zu ſeyn, und bellte dem zu Folge wie ein Hund. Eines Tages bekam er ſeinen Anfall in den Zimmern des Königs. Die Gegenwart des Monarchen gebot ſeiner Narrheit, ohne ſie zu zerſtören. Er ſchlich ſich ans Fenſter, ſteckte den Kopf hinaus, unterdrückte ſeine Stimme, und gebehrdete ſich bloſs wie ein bellender Hund *). Doch iſt es mir wahrſcheinlich, dieſer Mann habe an dem ſonderbaren Aufſtoſsen gelit- ten, welches dem Bellen eines Thiers ähnelt. Denn es wird von ihm geſagt, er ſey an Vapeurs krank geweſen. In dieſem Fall war das Bellen phyſiſch, und nur in ſofern mit einer pſychiſchen Krankheit verbunden, als er es von einer Ver- wandelung ſeiner Art ableitete. Endlich rechnet man die Zeiten im fixen Wahn, wo es dem Kranken an Gelegenheit fehlt, auf ſeine fixe Idee abzuſpringen, nicht zu den hellen Zwiſchenzeiten. Ein Wärter führte in einem Tollhauſe die Frem- den herum, und erzählte denſelben mit vieler Vernunft die Narrheiten jedes Kranken. Erſt an
*)Duclos Mém. ſecr. ſur les règnes de Louis XIV.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0446"n="441"/>
der Sturm in Stöſsen wirkt; nicht die dumpfen<lb/>
Intervalle, wo der Tobſüchtige, beſonders der<lb/>
Tobſüchtige ohne Verkehrtheit, wie ein Zorniger,<lb/>
durch äuſsere Umſtände pſychiſch gehemmt wird,<lb/>
zu wüthen, nicht zu den hellen Zwiſchenzeiten.<lb/><hirendition="#g">Heinrich Julius von Bourbon</hi>, der Sohn<lb/>
des groſsen <hirendition="#g">Condé</hi>, glaubte in einen Hund ver-<lb/>
wandelt zu ſeyn, und bellte dem zu Folge wie<lb/>
ein Hund. Eines Tages bekam er ſeinen Anfall<lb/>
in den Zimmern des Königs. Die Gegenwart des<lb/>
Monarchen gebot ſeiner Narrheit, ohne ſie zu<lb/>
zerſtören. Er ſchlich ſich ans Fenſter, ſteckte<lb/>
den Kopf hinaus, unterdrückte ſeine Stimme,<lb/>
und gebehrdete ſich bloſs wie ein bellender<lb/>
Hund <noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#g">Duclos</hi> Mém. ſecr. ſur les règnes de Louis<lb/>
XIV.</note>. Doch iſt es mir wahrſcheinlich, dieſer<lb/>
Mann habe an dem ſonderbaren Aufſtoſsen gelit-<lb/>
ten, welches dem Bellen eines Thiers ähnelt.<lb/>
Denn es wird von ihm geſagt, er ſey an Vapeurs<lb/>
krank geweſen. In dieſem Fall war das Bellen<lb/>
phyſiſch, und nur in ſofern mit einer pſychiſchen<lb/>
Krankheit verbunden, als er es von einer Ver-<lb/>
wandelung ſeiner Art ableitete. Endlich rechnet<lb/>
man die Zeiten im fixen Wahn, wo es dem<lb/>
Kranken an Gelegenheit fehlt, auf ſeine fixe Idee<lb/>
abzuſpringen, nicht zu den hellen Zwiſchenzeiten.<lb/>
Ein Wärter führte in einem Tollhauſe die Frem-<lb/>
den herum, und erzählte denſelben mit vieler<lb/>
Vernunft die Narrheiten jedes Kranken. Erſt an<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[441/0446]
der Sturm in Stöſsen wirkt; nicht die dumpfen
Intervalle, wo der Tobſüchtige, beſonders der
Tobſüchtige ohne Verkehrtheit, wie ein Zorniger,
durch äuſsere Umſtände pſychiſch gehemmt wird,
zu wüthen, nicht zu den hellen Zwiſchenzeiten.
Heinrich Julius von Bourbon, der Sohn
des groſsen Condé, glaubte in einen Hund ver-
wandelt zu ſeyn, und bellte dem zu Folge wie
ein Hund. Eines Tages bekam er ſeinen Anfall
in den Zimmern des Königs. Die Gegenwart des
Monarchen gebot ſeiner Narrheit, ohne ſie zu
zerſtören. Er ſchlich ſich ans Fenſter, ſteckte
den Kopf hinaus, unterdrückte ſeine Stimme,
und gebehrdete ſich bloſs wie ein bellender
Hund *). Doch iſt es mir wahrſcheinlich, dieſer
Mann habe an dem ſonderbaren Aufſtoſsen gelit-
ten, welches dem Bellen eines Thiers ähnelt.
Denn es wird von ihm geſagt, er ſey an Vapeurs
krank geweſen. In dieſem Fall war das Bellen
phyſiſch, und nur in ſofern mit einer pſychiſchen
Krankheit verbunden, als er es von einer Ver-
wandelung ſeiner Art ableitete. Endlich rechnet
man die Zeiten im fixen Wahn, wo es dem
Kranken an Gelegenheit fehlt, auf ſeine fixe Idee
abzuſpringen, nicht zu den hellen Zwiſchenzeiten.
Ein Wärter führte in einem Tollhauſe die Frem-
den herum, und erzählte denſelben mit vieler
Vernunft die Narrheiten jedes Kranken. Erſt an
*) Duclos Mém. ſecr. ſur les règnes de Louis
XIV.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/446>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.