im ersten Grade. Seine Aufmerksamkeit ist fast ganz erloschen. Er ist nach den Umständen arg- loss, oder menschenscheu, furchtsam und blöde, besonders gegen fremde Menschen. Er lächelt selbstgefällig, wenn er allein ist, und geniesst ei- ner sichtbaren Wohlbehaglichkeit, die ein Sym- ptom seiner monotonischen Gemüthsstimmung ist. An gewissen äusseren Vorzügen seiner Geburt, des Standes, der Kleidung weidet er sich wie ein Kind, ohne den eigenthümlichen Werth dersel- ben zu begreifen. Zuweilen bemerkt man noch an demselben ein ununterbrochenes Minenspiel, das eine Folge des Wechsels isolirter Vorstellun- gen in ihm ist. Blödsinnige dieses Grades sind schüchtern, misstrauisch, und fliehen den Um- gang der Menschen. Sie sind nur zu oft die Prise des Eigennutzes, der Witzeleien und des Muthwillens anderer Menschen geworden, und fühlen daher die Ueberlegenheit derselben über sich zu sehr. Daher ereifern sie sich leicht über Kleinigkeiten, und finden überall Beleidigungen ihrer Person, weil sie überall böse Absichten vor- aussetzen. Um desto fester halten sie an Gott, von dem sie nicht allein keine Kränkungen fürch- ten, sondern vielmehr Schutz wider dieselben hoffen. Sie sind pünktlich im Singen, Beten, Kirchengehn und in der Erfüllung anderer reli- giöser Gebräuche, so vergesslich sie sonst auch in allen anderen Dingen sind. Doch zuweilen ist der Blödsinnige auch argloss wie ein Kind,
im erſten Grade. Seine Aufmerkſamkeit iſt faſt ganz erloſchen. Er iſt nach den Umſtänden arg- loſs, oder menſchenſcheu, furchtſam und blöde, beſonders gegen fremde Menſchen. Er lächelt ſelbſtgefällig, wenn er allein iſt, und genieſst ei- ner ſichtbaren Wohlbehaglichkeit, die ein Sym- ptom ſeiner monotoniſchen Gemüthsſtimmung iſt. An gewiſſen äuſseren Vorzügen ſeiner Geburt, des Standes, der Kleidung weidet er ſich wie ein Kind, ohne den eigenthümlichen Werth derſel- ben zu begreifen. Zuweilen bemerkt man noch an demſelben ein ununterbrochenes Minenſpiel, das eine Folge des Wechſels iſolirter Vorſtellun- gen in ihm iſt. Blödſinnige dieſes Grades ſind ſchüchtern, miſstrauiſch, und fliehen den Um- gang der Menſchen. Sie ſind nur zu oft die Priſe des Eigennutzes, der Witzeleien und des Muthwillens anderer Menſchen geworden, und fühlen daher die Ueberlegenheit derſelben über ſich zu ſehr. Daher ereifern ſie ſich leicht über Kleinigkeiten, und finden überall Beleidigungen ihrer Perſon, weil ſie überall böſe Abſichten vor- ausſetzen. Um deſto feſter halten ſie an Gott, von dem ſie nicht allein keine Kränkungen fürch- ten, ſondern vielmehr Schutz wider dieſelben hoffen. Sie ſind pünktlich im Singen, Beten, Kirchengehn und in der Erfüllung anderer reli- giöſer Gebräuche, ſo vergeſslich ſie ſonſt auch in allen anderen Dingen ſind. Doch zuweilen iſt der Blödſinnige auch argloſs wie ein Kind,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0420"n="415"/>
im erſten Grade. Seine Aufmerkſamkeit iſt faſt<lb/>
ganz erloſchen. Er iſt nach den Umſtänden arg-<lb/>
loſs, oder menſchenſcheu, furchtſam und blöde,<lb/>
beſonders gegen fremde Menſchen. Er lächelt<lb/>ſelbſtgefällig, wenn er allein iſt, und genieſst ei-<lb/>
ner ſichtbaren Wohlbehaglichkeit, die ein Sym-<lb/>
ptom ſeiner monotoniſchen Gemüthsſtimmung iſt.<lb/>
An gewiſſen äuſseren Vorzügen ſeiner Geburt, des<lb/>
Standes, der Kleidung weidet er ſich wie ein<lb/>
Kind, ohne den eigenthümlichen Werth derſel-<lb/>
ben zu begreifen. Zuweilen bemerkt man noch<lb/>
an demſelben ein ununterbrochenes Minenſpiel,<lb/>
das eine Folge des Wechſels iſolirter Vorſtellun-<lb/>
gen in ihm iſt. Blödſinnige dieſes Grades ſind<lb/>ſchüchtern, miſstrauiſch, und fliehen den Um-<lb/>
gang der Menſchen. Sie ſind nur zu oft die<lb/>
Priſe des Eigennutzes, der Witzeleien und des<lb/>
Muthwillens anderer Menſchen geworden, und<lb/>
fühlen daher die Ueberlegenheit derſelben über<lb/>ſich zu ſehr. Daher ereifern ſie ſich leicht über<lb/>
Kleinigkeiten, und finden überall Beleidigungen<lb/>
ihrer Perſon, weil ſie überall böſe Abſichten vor-<lb/>
ausſetzen. Um deſto feſter halten ſie an Gott,<lb/>
von dem ſie nicht allein keine Kränkungen fürch-<lb/>
ten, ſondern vielmehr Schutz wider dieſelben<lb/>
hoffen. Sie ſind pünktlich im Singen, Beten,<lb/>
Kirchengehn und in der Erfüllung anderer reli-<lb/>
giöſer Gebräuche, ſo vergeſslich ſie ſonſt auch<lb/>
in allen anderen Dingen ſind. Doch zuweilen<lb/>
iſt der Blödſinnige auch argloſs wie ein Kind,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[415/0420]
im erſten Grade. Seine Aufmerkſamkeit iſt faſt
ganz erloſchen. Er iſt nach den Umſtänden arg-
loſs, oder menſchenſcheu, furchtſam und blöde,
beſonders gegen fremde Menſchen. Er lächelt
ſelbſtgefällig, wenn er allein iſt, und genieſst ei-
ner ſichtbaren Wohlbehaglichkeit, die ein Sym-
ptom ſeiner monotoniſchen Gemüthsſtimmung iſt.
An gewiſſen äuſseren Vorzügen ſeiner Geburt, des
Standes, der Kleidung weidet er ſich wie ein
Kind, ohne den eigenthümlichen Werth derſel-
ben zu begreifen. Zuweilen bemerkt man noch
an demſelben ein ununterbrochenes Minenſpiel,
das eine Folge des Wechſels iſolirter Vorſtellun-
gen in ihm iſt. Blödſinnige dieſes Grades ſind
ſchüchtern, miſstrauiſch, und fliehen den Um-
gang der Menſchen. Sie ſind nur zu oft die
Priſe des Eigennutzes, der Witzeleien und des
Muthwillens anderer Menſchen geworden, und
fühlen daher die Ueberlegenheit derſelben über
ſich zu ſehr. Daher ereifern ſie ſich leicht über
Kleinigkeiten, und finden überall Beleidigungen
ihrer Perſon, weil ſie überall böſe Abſichten vor-
ausſetzen. Um deſto feſter halten ſie an Gott,
von dem ſie nicht allein keine Kränkungen fürch-
ten, ſondern vielmehr Schutz wider dieſelben
hoffen. Sie ſind pünktlich im Singen, Beten,
Kirchengehn und in der Erfüllung anderer reli-
giöſer Gebräuche, ſo vergeſslich ſie ſonſt auch
in allen anderen Dingen ſind. Doch zuweilen
iſt der Blödſinnige auch argloſs wie ein Kind,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/420>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.