Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Blödsinn fällt. Der Kranke urtheilt noch über
Dinge, mit denen er täglich umgeht und die
keinen sonderlichen Verstand erfordern, mit nö-
thiger Fertigkeit, stockt aber augenblicklich,
wenn er neue auch noch so leichte Gegenstände
beurtheilen soll, zu denen ihm alle Momente ge-
geben sind. Seine Aufmerksamkeit haftet ent-
weder nicht scharf genug auf ein gegebnes Ob-
ject, oder kann sich nicht auf mehrere mit nö-
thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be-
sonnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und
Vergessenheit in den gewöhnlichsten Handlungen.
Die Leidenschaften sind transitorische Aufwallun-
gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn sich auf
Kleinigkeiten. In einigen Vorsätzen schwankt der
Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt,
in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch
Eigensinn behaupten kann. Eben deswegen hängt
er fest an dem, was er einmal gewohnt ist. In
den Geschäfften, denen er gewachsen ist, beob-
achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aengst-
lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch so
leichten Geschäfften verwirrt er sich leicht.

Der mittlere Grad ist von beiden End-
punkten gleich weit entfernt. Der Kranke ist
nicht ganz sinnloss, sondern fasst noch die ein-
fachsten Begriffe, doch ist er zu den gemeinsten
Geschäfften unfähig, wenn sie nicht ganz mecha-
nisch abzumachen sind. Er ist ohne Leidenschaf-
ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als

Blödſinn fällt. Der Kranke urtheilt noch über
Dinge, mit denen er täglich umgeht und die
keinen ſonderlichen Verſtand erfordern, mit nö-
thiger Fertigkeit, ſtockt aber augenblicklich,
wenn er neue auch noch ſo leichte Gegenſtände
beurtheilen ſoll, zu denen ihm alle Momente ge-
geben ſind. Seine Aufmerkſamkeit haftet ent-
weder nicht ſcharf genug auf ein gegebnes Ob-
ject, oder kann ſich nicht auf mehrere mit nö-
thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be-
ſonnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und
Vergeſſenheit in den gewöhnlichſten Handlungen.
Die Leidenſchaften ſind tranſitoriſche Aufwallun-
gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn ſich auf
Kleinigkeiten. In einigen Vorſätzen ſchwankt der
Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt,
in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch
Eigenſinn behaupten kann. Eben deswegen hängt
er feſt an dem, was er einmal gewohnt iſt. In
den Geſchäfften, denen er gewachſen iſt, beob-
achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aengſt-
lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch ſo
leichten Geſchäfften verwirrt er ſich leicht.

Der mittlere Grad iſt von beiden End-
punkten gleich weit entfernt. Der Kranke iſt
nicht ganz ſinnloſs, ſondern faſst noch die ein-
fachſten Begriffe, doch iſt er zu den gemeinſten
Geſchäfften unfähig, wenn ſie nicht ganz mecha-
niſch abzumachen ſind. Er iſt ohne Leidenſchaf-
ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0419" n="414"/>
Blöd&#x017F;inn fällt. Der Kranke urtheilt noch über<lb/>
Dinge, mit denen er täglich umgeht und die<lb/>
keinen &#x017F;onderlichen Ver&#x017F;tand erfordern, mit nö-<lb/>
thiger Fertigkeit, &#x017F;tockt aber augenblicklich,<lb/>
wenn er neue auch noch &#x017F;o leichte Gegen&#x017F;tände<lb/>
beurtheilen &#x017F;oll, zu denen ihm alle Momente ge-<lb/>
geben &#x017F;ind. Seine Aufmerk&#x017F;amkeit haftet ent-<lb/>
weder nicht &#x017F;charf genug auf ein gegebnes Ob-<lb/>
ject, oder kann &#x017F;ich nicht auf mehrere mit nö-<lb/>
thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be-<lb/>
&#x017F;onnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und<lb/>
Verge&#x017F;&#x017F;enheit in den gewöhnlich&#x017F;ten Handlungen.<lb/>
Die Leiden&#x017F;chaften &#x017F;ind tran&#x017F;itori&#x017F;che Aufwallun-<lb/>
gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn &#x017F;ich auf<lb/>
Kleinigkeiten. In einigen Vor&#x017F;ätzen &#x017F;chwankt der<lb/>
Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt,<lb/>
in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch<lb/>
Eigen&#x017F;inn behaupten kann. Eben deswegen hängt<lb/>
er fe&#x017F;t an dem, was er einmal gewohnt i&#x017F;t. In<lb/>
den Ge&#x017F;chäfften, denen er gewach&#x017F;en i&#x017F;t, beob-<lb/>
achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aeng&#x017F;t-<lb/>
lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch &#x017F;o<lb/>
leichten Ge&#x017F;chäfften verwirrt er &#x017F;ich leicht.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">mittlere</hi> Grad i&#x017F;t von beiden End-<lb/>
punkten gleich weit entfernt. Der Kranke i&#x017F;t<lb/>
nicht ganz &#x017F;innlo&#x017F;s, &#x017F;ondern fa&#x017F;st noch die ein-<lb/>
fach&#x017F;ten Begriffe, doch i&#x017F;t er zu den gemein&#x017F;ten<lb/>
Ge&#x017F;chäfften unfähig, wenn &#x017F;ie nicht ganz mecha-<lb/>
ni&#x017F;ch abzumachen &#x017F;ind. Er i&#x017F;t ohne Leiden&#x017F;chaf-<lb/>
ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[414/0419] Blödſinn fällt. Der Kranke urtheilt noch über Dinge, mit denen er täglich umgeht und die keinen ſonderlichen Verſtand erfordern, mit nö- thiger Fertigkeit, ſtockt aber augenblicklich, wenn er neue auch noch ſo leichte Gegenſtände beurtheilen ſoll, zu denen ihm alle Momente ge- geben ſind. Seine Aufmerkſamkeit haftet ent- weder nicht ſcharf genug auf ein gegebnes Ob- ject, oder kann ſich nicht auf mehrere mit nö- thiger Leichtigkeit ausbreiten. Daher wenig Be- ſonnenheit der Vergangenheit und Zukunft, und Vergeſſenheit in den gewöhnlichſten Handlungen. Die Leidenſchaften ſind tranſitoriſche Aufwallun- gen ohne Beharrlichkeit, und beziehn ſich auf Kleinigkeiten. In einigen Vorſätzen ſchwankt der Kranke, wo es auf Vernunftgebrauch ankömmt, in anderen beharrt er hartnäckig, die er durch Eigenſinn behaupten kann. Eben deswegen hängt er feſt an dem, was er einmal gewohnt iſt. In den Geſchäfften, denen er gewachſen iſt, beob- achtet er eine pünktliche Ordnung mit Aengſt- lichkeit; bey ungewöhnlichen auch noch ſo leichten Geſchäfften verwirrt er ſich leicht. Der mittlere Grad iſt von beiden End- punkten gleich weit entfernt. Der Kranke iſt nicht ganz ſinnloſs, ſondern faſst noch die ein- fachſten Begriffe, doch iſt er zu den gemeinſten Geſchäfften unfähig, wenn ſie nicht ganz mecha- niſch abzumachen ſind. Er iſt ohne Leidenſchaf- ten, oder hat noch flüchtigere Aufwallungen als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/419
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/419>, abgerufen am 17.05.2024.