alle Seelenvermögen; nach seiner Dauer, seinen Graden und Zusammensetzungen. Einige seiner vorzüglichsten Modifikationen will ich anführen.
Ich erwähne zuerst der Grade des Blöd- sinns, deren es unendlich viele giebt, die aber nach der Natur intensiver Grössen nirgends einer geometrischen Begränzung fähig sind. Ich werde daher nur einige feste Punkte in denselben hinein- stellen, wozu sich die beiden Endpunkte und die Mitte zwischen beiden am besten passen. Jene be- zeichnen den Anfang und das Ende der Linie, diese theilt sie in gleiche Theile. An diese festen Punkte halten wir, als an Maassstäben die con- creten Fälle und bestimmen die Grösse derselben nach ihrer Annäherung an diesem oder jenen der aufgestellten Punkte. Auch die Kretinen werden in anfangende, halbe oder vollkomme- ne Kretinen getheilt.
Der erste Grad ist am schwersten zu be- stimmen, weil er eine Demarkationslinie zwischen gesundem Menschenverstand und anfangendem Blödsinn voraussetzt, die nicht so leicht gefunden werden kann. Zwischen dem Maximum der See- lenkräfte in dem grössten Genie, dessen Verstand die materielle und intellectuelle Welt umspannt, und der untersten Stufe der Brutalität, auf wel- cher der Kretin steht, finden wir nirgends eine natürliche Scheidung. Wir wollen daher eine gewisse Breite beschreiben, die zwischen den gesunden Menschenverstand und den anfangenden
alle Seelenvermögen; nach ſeiner Dauer, ſeinen Graden und Zuſammenſetzungen. Einige ſeiner vorzüglichſten Modifikationen will ich anführen.
Ich erwähne zuerſt der Grade des Blöd- ſinns, deren es unendlich viele giebt, die aber nach der Natur intenſiver Gröſsen nirgends einer geometriſchen Begränzung fähig ſind. Ich werde daher nur einige feſte Punkte in denſelben hinein- ſtellen, wozu ſich die beiden Endpunkte und die Mitte zwiſchen beiden am beſten paſſen. Jene be- zeichnen den Anfang und das Ende der Linie, dieſe theilt ſie in gleiche Theile. An dieſe feſten Punkte halten wir, als an Maaſsſtäben die con- creten Fälle und beſtimmen die Gröſse derſelben nach ihrer Annäherung an dieſem oder jenen der aufgeſtellten Punkte. Auch die Kretinen werden in anfangende, halbe oder vollkomme- ne Kretinen getheilt.
Der erſte Grad iſt am ſchwerſten zu be- ſtimmen, weil er eine Demarkationslinie zwiſchen geſundem Menſchenverſtand und anfangendem Blödſinn vorausſetzt, die nicht ſo leicht gefunden werden kann. Zwiſchen dem Maximum der See- lenkräfte in dem gröſsten Genie, deſſen Verſtand die materielle und intellectuelle Welt umſpannt, und der unterſten Stufe der Brutalität, auf wel- cher der Kretin ſteht, finden wir nirgends eine natürliche Scheidung. Wir wollen daher eine gewiſſe Breite beſchreiben, die zwiſchen den geſunden Menſchenverſtand und den anfangenden
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alle Seelenvermögen; nach ſeiner Dauer, ſeinen
Graden und Zuſammenſetzungen. Einige ſeiner
vorzüglichſten Modifikationen will ich anführen.
Ich erwähne zuerſt der Grade des Blöd-
ſinns, deren es unendlich viele giebt, die aber
nach der Natur intenſiver Gröſsen nirgends einer
geometriſchen Begränzung fähig ſind. Ich werde
daher nur einige feſte Punkte in denſelben hinein-
ſtellen, wozu ſich die beiden Endpunkte und die
Mitte zwiſchen beiden am beſten paſſen. Jene be-
zeichnen den Anfang und das Ende der Linie,
dieſe theilt ſie in gleiche Theile. An dieſe feſten
Punkte halten wir, als an Maaſsſtäben die con-
creten Fälle und beſtimmen die Gröſse derſelben
nach ihrer Annäherung an dieſem oder jenen der
aufgeſtellten Punkte. Auch die Kretinen werden
in anfangende, halbe oder vollkomme-
ne Kretinen getheilt.
Der erſte Grad iſt am ſchwerſten zu be-
ſtimmen, weil er eine Demarkationslinie zwiſchen
geſundem Menſchenverſtand und anfangendem
Blödſinn vorausſetzt, die nicht ſo leicht gefunden
werden kann. Zwiſchen dem Maximum der See-
lenkräfte in dem gröſsten Genie, deſſen Verſtand
die materielle und intellectuelle Welt umſpannt,
und der unterſten Stufe der Brutalität, auf wel-
cher der Kretin ſteht, finden wir nirgends eine
natürliche Scheidung. Wir wollen daher eine
gewiſſe Breite beſchreiben, die zwiſchen den
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/418>, abgerufen am 22.11.2024.
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