Uebrigens hat diese Krankheit verschiedne Grade und Modifikationen *). Die Verstandes- schwäche ist kleiner oder grösser, bis sie an Blöd- sinn stösst. Einige Kranke haben noch Sinn für gewisse Dinge, vergessen nicht, was man ihnen verspricht, besinnen sich dessen, wie man ihre Narrenstreiche aufnimmt, entziehn sich durch erdichtete Krankheiten den ihnen zugedachten Züchtigungen, und unterlassen Handlungen, von denen sie wissen, dass sie ihnen nicht ungestraft hingehen. Sie haben noch einiges Ehrgefühl, und können durch Schimpf und Verachtung ge- lenkt werden. Die Krankheit ist meistens an- haltend, selten periodisch, wie der fixe Wahn- sinn und die Raserey. Sie ist zuweilen gemischt mit Zügen der Raserey und des fixen Wahns, wenn sie aus denselben entsprungen ist. Sie kann entstehn von jeder Ursache, die das Gehirn schwächt, von Raserey und fixem Wahnsinn. Der gescheute Mensch wird schwerlich ursprüng- lich ein Narr, sondern geht durch Raserey oder Wahnsinn zur Narrheit über. Nur der Dumm- kopf kann, wenn er heftig erschüttert wird, gleich in diese Krankheit verfallen, weil es ihm zu anderen Geisteszerrüttungen an Kraft fehlt. Daher finden wir auch verhältnissmässig mehr
*) Die kindische Albernheit, der Blödsinn des Alters, niaiserie, radoterie, Paranoia, fatuitas, stoliditas scheinen Benennungen von Seelenzu- ständen zu seyn, die der Narrheit nahe liegen.
Uebrigens hat dieſe Krankheit verſchiedne Grade und Modifikationen *). Die Verſtandes- ſchwäche iſt kleiner oder gröſser, bis ſie an Blöd- ſinn ſtöſst. Einige Kranke haben noch Sinn für gewiſſe Dinge, vergeſſen nicht, was man ihnen verſpricht, beſinnen ſich deſſen, wie man ihre Narrenſtreiche aufnimmt, entziehn ſich durch erdichtete Krankheiten den ihnen zugedachten Züchtigungen, und unterlaſſen Handlungen, von denen ſie wiſſen, daſs ſie ihnen nicht ungeſtraft hingehen. Sie haben noch einiges Ehrgefühl, und können durch Schimpf und Verachtung ge- lenkt werden. Die Krankheit iſt meiſtens an- haltend, ſelten periodiſch, wie der fixe Wahn- ſinn und die Raſerey. Sie iſt zuweilen gemiſcht mit Zügen der Raſerey und des fixen Wahns, wenn ſie aus denſelben entſprungen iſt. Sie kann entſtehn von jeder Urſache, die das Gehirn ſchwächt, von Raſerey und fixem Wahnſinn. Der geſcheute Menſch wird ſchwerlich urſprüng- lich ein Narr, ſondern geht durch Raſerey oder Wahnſinn zur Narrheit über. Nur der Dumm- kopf kann, wenn er heftig erſchüttert wird, gleich in dieſe Krankheit verfallen, weil es ihm zu anderen Geiſteszerrüttungen an Kraft fehlt. Daher finden wir auch verhältniſsmäſsig mehr
*) Die kindiſche Albernheit, der Blödſinn des Alters, niaiſerie, radoterie, Paranoia, fatuitas, ſtoliditas ſcheinen Benennungen von Seelenzu- ſtänden zu ſeyn, die der Narrheit nahe liegen.
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Uebrigens hat dieſe Krankheit verſchiedne
Grade und Modifikationen *). Die Verſtandes-
ſchwäche iſt kleiner oder gröſser, bis ſie an Blöd-
ſinn ſtöſst. Einige Kranke haben noch Sinn für
gewiſſe Dinge, vergeſſen nicht, was man ihnen
verſpricht, beſinnen ſich deſſen, wie man ihre
Narrenſtreiche aufnimmt, entziehn ſich durch
erdichtete Krankheiten den ihnen zugedachten
Züchtigungen, und unterlaſſen Handlungen, von
denen ſie wiſſen, daſs ſie ihnen nicht ungeſtraft
hingehen. Sie haben noch einiges Ehrgefühl,
und können durch Schimpf und Verachtung ge-
lenkt werden. Die Krankheit iſt meiſtens an-
haltend, ſelten periodiſch, wie der fixe Wahn-
ſinn und die Raſerey. Sie iſt zuweilen gemiſcht
mit Zügen der Raſerey und des fixen Wahns,
wenn ſie aus denſelben entſprungen iſt. Sie
kann entſtehn von jeder Urſache, die das Gehirn
ſchwächt, von Raſerey und fixem Wahnſinn.
Der geſcheute Menſch wird ſchwerlich urſprüng-
lich ein Narr, ſondern geht durch Raſerey oder
Wahnſinn zur Narrheit über. Nur der Dumm-
kopf kann, wenn er heftig erſchüttert wird,
gleich in dieſe Krankheit verfallen, weil es ihm
zu anderen Geiſteszerrüttungen an Kraft fehlt.
Daher finden wir auch verhältniſsmäſsig mehr
*) Die kindiſche Albernheit, der Blödſinn des
Alters, niaiſerie, radoterie, Paranoia, fatuitas,
ſtoliditas ſcheinen Benennungen von Seelenzu-
ſtänden zu ſeyn, die der Narrheit nahe liegen.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/404>, abgerufen am 22.11.2024.
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